Streitfall Scoring

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Heftarchiv Gesellschaft
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Ein längst vergessener Arztbesuch gerät plötzlich zum Bumerang. Und zwar dann, wenn man eine Police gegen Berufsunfähigkeit abschließen will. Abgelehnt, heißt es da lapidar im Antwortschreiben der Versicherung. Denn ist der Kunde einmal wegen bestimmter Krankheiten oder falscher Angaben erfasst, bekommt er kaum noch eine Zusage. Ein Teufelskreis für Verbraucher, die sich absichern wollen – weil der Staat immer weniger in solchen Notlagen einspringt. Und weil die Versicherer immer mehr persönliche Daten horten.

In den USA gehört der Gang zum Psychotherapeuten ebenso zum guten Ton wie manikürte Fingernägel – in Deutschland versperrt er dem Kunden den Zugang zu einer der wichtigsten Versicherungen überhaupt: der Police gegen Berufsunfähigkeit. Warum? Ganz einfach: Er muss frühere Erkrankungen angeben. Psychische Probleme eingeschlossen. Und da diese immer häufiger zur Arbeitsunfähigkeit führen, scheuen die Versicherer solche Risiken.

Die Guten ins Töpfchen...

Scoring heißt das umstrittene Verfahren, mit dem die Anbieter jene aufspüren wollen, die bei ihrer Gesundheit flunkern oder erwartungsgemäß krank werden und kosten. Scoring, das bedeutet zählen oder auswerten, ist bei Banken, Kaufhäusern und Mobilfunkunternehmen schon lange ein beliebtes Instrument zur Auslese. Will der Kunde etwa einen Kredit aufnehmen, prüft die Bank, ob er seine Raten der Wahrscheinlichkeit halber pünktlich zahlen wird. Statistische Daten liegen der Bonitätsprüfung zugrunde. Der Check orientiert sich nämlich daran, wie sich bestimmte Personengruppen im Regelfall verhalten. Definiert wird eine Gruppe über Kriterien wie Beruf, Familienstand, Einkommen oder Wohnlage. Mit einem befristeten Arbeitsvertrag und einer Wohnung im falschen Viertel hat man schon mal schlechte Karten. Aber auch die Tatsache, dass jemand nur ein Handy und keinen Festnetzanschluss hat, wirkt sich unter Umständen negativ aus. Am Ende wird der Bewerber in die Gruppe einsortiert, in die er aufgrund seines Profils am besten passt – unabhängig davon, ob sein persönliches Verhalten mit dem statistisch konstruierten Gesamtbild übereinstimmt.

Triebfeder für die abstrakte Rechnung ist folgendes Problem: Der Kunde hat gegenüber dem Versicherer immer einen Informationsvorsprung, Wirtschaftswissenschaftler sprechen von „asymmetrischer Information“. Denn ob die Krankengeschichte stimmt, die der Kunde dem Versicherer auftischt, kann dieser nicht unbedingt überprüfen. Vielleicht hat der Bewerber seit kurzem Rückenschmerzen, war aber noch nicht beim Arzt. Wenn er sein Leiden im Versicherungsantrag verschweigt, ist dies für die Versicherer nicht nachzuweisen. Um dem Dilemma zu entkommen, benutzen sie zunehmend das Scoring.

Versicherungen arbeiten grundsätzlich nach ein und demselben Prinzip: Sie ermitteln die Wahrscheinlichkeit dafür, dass bei einem potenziellen Kunden ein Schadensfall eintreten wird. Je nach dem, wie hoch dieses Risiko ist, entscheidet der Versicherer, ob er den Kunden akzeptiert und wenn ja, zu welchem Preis.

...die Schlechten ins Kröpfchen

Das klingt erstmal plausibel – schließlich wollen die Assekuranzen nicht jeder Notlüge aufsitzen. Außerdem fußt das Scoring-Verfahren auf wissenschaftlichen Auswertungen. Ob der Sachbearbeiter den Kunden mag, spielt keine Rolle. Und dennoch schlagen Verbraucherschützer Alarm. Weil inzwischen riesige Datenbanken existieren, in denen das Wissen über Kunden abgespeichert wird. Weil hochsensible Informationen zusammengetragen werden. Und weil mittlerweile immer mehr Menschen abgelehnt werden, die sich privat absichern wollen.

Eine der größten Datenbanken mit etwa fünf Millionen Einträgen führt die Versicherungswirtschaft selbst. Ursprünglich 1993 vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) zur Aufdeckung von Versicherungsbetrügereien eingeführt, dient das Hinweis- und Informationssystem (HIS) mittlerweile auch zur Prüfung von Angaben in Versicherungsanträgen. Falsche Angaben bei der Berufsunfähigkeits- oder privaten Krankenversicherung aufzuspüren, wird so ein Leichtes, zumal die Versicherer zusätzliche Infos von externen Dienstleistern hinzukaufen.

Verbraucherschützer kritisieren insbesondere, dass die Kunden nichts von den internen Abfragen erfahren. Häufig seien die gespeicherten Angaben zudem falsch – weil er von nichts weiß, kann sich der Antragsteller freilich nicht wehren, geschweige denn, die Fehler richtig stellen. Auch wenn bestimmte Daten fehlen, flattert ihm häufig die Ablehnung ins Haus. Schwierig ist dabei auch, dass der Versicherer die Zurückweisung des Antrags nicht begründen muss. Auf der anderen Seite steht der Verbraucher aber in der Pflicht, diese Absage anzugeben, wenn er bei einer anderen Gesellschaft einen Antrag stellt. Nach Angaben des Branchendienstes Map-Report führt inzwischen jeder achte Antrag auf eine Berufsunfähigkeitsversicherung zu einer Ablehnung. Noch vor fünf Jahren wurde nur jeder 25ste nicht in den Kreis der Versicherten aufgenommen.

Wer glaubt, er könnte die Versicherung austricksen, indem er einige Wehwehchen unter den Tisch fallen lässt, irrt. Verbraucher sollten im Gegenteil die Gesundheitsfragen penibel beantworten, da sie sonst im Leistungsfall mit leeren Händen dastehen. Die Verbraucherschutzzentralen argwöhnen nämlich, dass etliche Versicherungen die Policen verkaufen und die Daten erst dann prüfen, wenn der Versicherte Leistungen in Anspruch nehmen will. Häufig werden die Versicherer fündig, wenn sie die Datenbanken befragen. Am Ende hat der Kunde zwar jahrelang Beiträge eingezahlt, erhält am Ende aber keinen Pfennig.

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