Finanzielle Anreize im Gesundheitswesen

Bonusregelung auf dem Prüfstand

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Die Gesundheitspolitik setzt zunehmend auf Formen der Verhaltens- und Nachfragesteuerung durch finanzielle Anreize. Wie plausibel ist in dieser Hinsicht die Bonusregelung in der zahnmedizinischen Versorgung? Sie macht nicht nur in der jetzigen Form ihren speziellen Sinn, wie diese Kurzexpertise belegt, sondern könnte auch auf andere Bereiche ausgedehnt werden.

Generell kann das Gesundheitsverhalten der Versicherten zum einen durch die Gewährung eines individuellen Vorteils (Bonus), zum anderen durch die Androhung von Sanktionen (Malus) beeinflusst werden. So wird in dem „Entwurf eines GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes (GKVWSG)“ vom 24. Oktober 2006 eine finanzielle Malusregelung bei Nichtteilnahme an Krebsfrüherkennungsuntersuchungen vorgeschlagen. Damit will der Gesetzgeber die Teilnahme an den Krebsfrüherkennungsuntersuchungen erhöhen. Derzeit werden die gesetzlich eingeführten Programme zur Krebsfrüherkennung lediglich von rund 20 Prozent der Männer und etwa 50 Prozent der Frauen in Anspruch genommen.

In der Anhörung des gesundheitspolitischen Ausschusses vom 6. November 2006 wurde diese Malusregelung heftig kritisiert mit dem Hinweis, es gebe generell keinerlei Evidenz für die gesundheitspolitisch positive Wirksamkeit von Bonus-/Malussystemen. In diesem Zusammenhang wies Prof. Rolf Rosenbrock, Leiter der AG Public Health am Wissenschaftszentrum Berlin und Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, darauf hin, dass auch das Bonussystem in der Zahnprothetik nicht evaluiert worden sei. Ein Nachweis der Wirksamkeit stehe hier noch aus.

Anders als bei der Einführung des Systems befundbezogener Festzuschüsse im Jahr 2005 – hier hatte man sich im Gemeinsamen Bundesausschuss zu einer begleitenden Evaluation der Auswirkungen des Festzuschussmodells verpflichtet [Klingenberger und Micheelis, 2005] – gab es bei der Einführung des Bonussystems durch das Gesundheits-Reformgesetz (GRG) vom 20. Dezember 1988 in der Tat keinerlei Bestrebungen des Gesetzgebers, die Wirkungen dieses Instrumentes in der Zahnmedizin begleitend zu erforschen. Immerhin hatte das Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ) im Juni 1988 eine Vorab-Wirkungsabschätzung in Form eines Simulationsmodells vorgelegt [Schneider, 1988].

Wegen mangelnder Evaluierung lassen sich die Wirkungen des Bonussystems in der Zahnprothetik heute zwar nicht mehr eindeutig kausal rekonstruieren, aber doch anhand einiger Indikatoren relativ verlässlich abschätzen – und zwar anhand der Daten aus den verschiedenen bundesweiten, bevölkerungsrepräsentativen Mundgesundheitsstudien (DMS I bis IV), die vom Institut der Deutschen Zahnärzte im Zeitraum von 1989 bis 2005 durchgeführt wurden. Materiell- rechtlich griff die Bonusregelung in der zahnprothetischen Versorgung ab dem 1. Januar 1991, so dass mit den Daten aus der DMS I (Feldphase: April bis August 1989) quasi eine „Nullmessung“ aus der Zeit vor dem Wirksamwerden des Bonussystems existiert [Micheelis und Bauch, 1991]. Mit den epidemiologischen Ergebnissen aus der DMS III von 1997 [Micheelis und Reich, 1999] und der aktuellen DMS IV aus dem Jahre 2005 [Micheelis und Schiffner, 2006] sind zwei weitere Messpunkte im Abstand von jeweils acht Jahren gesetzt, die zur Abschätzung der Wirkungen des Bonussystems herangezogen werden können. Als Wirkungsindikatoren eignen sich zum einen der Anteil der „kontrollorientiert“ handelnden Probanden, die mindestens einmal jährlich einen Zahnarzt zur Kontrolle der Gebisssituation aufsuchen, zum anderen die Anzahl der unversorgten kariösen Zähne, die sich im sogenannten DT-Wert („decayed teeth“) niederschlägt.

Im Zeitverlauf zeigt sich ein deutlicher Anstieg der kontrollorientierten Inanspruchnahme zahnärztlicher Dienste seit 1989, der mit einem ebenso deutlichen Rückgang der Anzahl der unversorgten kariösen Zähne korrespondiert. Die Veränderungsraten lagen in dem ersten Acht-Jahres-Zeitraum (1989-1997) deutlich höher als in der zweiten Periode (1997-2005), was darauf hindeutet, dass die positiven Veränderungen im Mundgesundheitsverhalten und in der Versorgung der Patienten nicht allein einer allgemein gestiegenen „dental awareness“ in der Gesellschaft zugeschrieben werden können, sondern auch durch die Anreizstrukturen des Bonussystems induziert sind. Der Anstieg der Persoenn mit kontrollorientierter Inanspruchnahme um etwa zwei Drittel und die gleichzeitige Reduktion der unversorgten kariösen Zähne in der Gruppe der kontrollorientiert handelnden Patienten auf ein Fünftel kann auch als Erfolgsausweis des Bonussystems betrachtet werden. Direkte Konsequenz dieser Erfolge in der Kariesbekämpfung ist indes – wie die Ergebnisse der DMS IV verdeutlichen –, dass die Parodontalerkrankungen auf dem Vormarsch sind. Weil die Menschen heute ihre Zähne länger behalten, steigt ihr Parodontitisrisiko. Deshalb wäre zu prüfen, ob das Bonusheft als positives Anreizsystem nicht auch das parodontale Gesundheitsbewusstsein fördern könnte. Gleichzeitig könnte das Bonussystem zur Erhöhung der kontrollorientierten Inanspruchnahme des Zahnarztes für Screening und Frühbehandlung – entsprechend den in der Zahnheilkunde erfolgreich eingeführten präventiven Strategien [Fedderwitz, 1998; Fedderwitz, 2004; Oesterreich und Ziller, 2005] – eingesetzt werden. Zusätzlich könnte die Anreizwirkung des Bonussystems auch in der Recallphase genutzt werden, um die Compliance [Herforth, 1986; Plagmann et al.,1990] auf diesem Therapiefeld positiv zu beeinflussen.

Dr. David KlingenbergerDr. Wolfgang MicheelisInstitut der Deutschen Zahnärzte (IDZ)Universitätsstr. 7350931 Köln

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Anteil der kontroll-

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orientierten Inan-spruchnahme an der Gesamtstichprobe

DT (unversorgte Karies – Mittelwerte)

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von Probanden mit beschwerde-orientierter Inanspruchnahme

von Probanden mit kontroll- orientierter Inanspruchnahme

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DMS I (1989)

45,6 %

2,0

1,6

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DMS III (1997 ⁠ )

64,3 %

0,9

0,3

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DMS IV (2005)

74,9 %

0,9

0,3

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