Onkologie

Neupräparat gegen aggressiven Lungenkrebs

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Patienten, die an einem fortgeschrittenen kleinzelligen Lungenkarzinom (SCLC) leiden, haben nur eine geringe Überlebenschance. Bevor eine wirksame Chemotherapie verfügbar war, lag ihre Überlebenserwartung ab Diagnose bei drei bis fünf Monaten. Diese Zeit erhöhte sich durch Einsatz von mehreren Chemotherapeutika auf zwölf bis 18 Monate. Die Symptomatik wurde kaum beeinflusst. Seit Januar steht ein neuartiges Präparat zur Verfügung, das diese Überlebenszeit mit deutlich besserer Lebensqualität ermöglicht.

Das Lungenkarzinom gehört zu den häufigsten Malignomen bei Patienten in den westlichen Industrienationen. Bei Männern ist es der häufigste Tumor, bei Frauen der dritthäufigste – mit steigender Tendenz durch die Zunahme des Zigarettenrauchens bei den Frauen. Neun von zehn Patienten sind Raucher.

15 bis 25 Prozent der Lungenkarzinome sind in der Histologie kleinzellig (englisch small cell lung cancer = SCLC) und damit besonders bösartig. Bei fast allen Patienten ist der Tumor zum Zeitpunkt der Diagnose bereits fortgeschritten.

Bei der Stadieneinteilung unterscheidet man im Wesentlichen drei Grade: Patienten mit einer begrenzten Tumorausbreitung auf nur einen Lungenflügel = LD (limited disease). Patienten mit einer stärkeren Dissemination des Tumors = ED (extensive disease). ED-1 betrifft Patienten mit Stadium LD plus einem kontralateralen hilären Lymphknotenbefall, ED-2 sind Patienten mit Metastasen in der anderen Lungenseite und/oder Fernmetastasen.

Nur anfänglich gute Therapieerfolge

Weil das SCLC eine sehr aggressive Erkrankung mit einer hohen Tumorwachstumsrate und einer frühzeitigen Tendenz zur Metastasierung ist, kommt es darauf an, möglichst frühzeitig zu behandeln, was in der Regel mit Chemotherapeutika und Bestrahlung erfolgt und fast immer zunächst zu einem Rückgang des Tumors führt. Patienten mit Tumoren in den Stadien LD/ED-1 können kurativ behandelt werden. Bei Patienten mit Tumoren im Stadium ED-2 besteht keine Heilungschance mehr. Wegen der beachtlichen Aggressivität der SCLCTumoren ist das Risiko eines erneuten Tumorwachstums bereits unter der Therapie – also die Rezidivgefahr – erheblich. Auch sind die Tumorzellen genetisch heterogen. Es finden sich fast immer schon während der ersten Therapiewochen Zelllinien, die gegen die eingesetzten Chemotherapeutika unempfindlich sind. Diese vermögen unter der Behandlung hochzuwachsen und machen so den Tumor therapieresistent.

Diese Fähigkeit zur Resistenz machte es in der Vergangenheit erforderlich, eine Reihe von Chemotherapeutika mit unterschiedlichem Wirkmechanismus gleichzeitig einzusetzen, um überhaupt eine gewisse Chance auf Erfolg zu haben. Als am wirksamsten erwies sich die Kombination aus Cyclophosphamid, Adriamycin und Vincristin (CAV), unter der sich – meist ohne Einfluss auf die mehr und mehr belastende Symptomatik – die oben genannten Verbesserungen in der Überlebenszeit erzielen ließen.

Nun wurde ein Tumorpräparat mit einem völlig neuen Wirkprinzip, nämlich der Hemmung auf die Topoisomerase-I gefunden, das in der Monotherapie die gleichen Effekte wie das Schema CAV bewirkt, allerdings bei einer wesentlich besseren Symptomkontrolle und damit relativ guten Lebensqualität der Patienten. Dies gilt angesichts der geringen Lebenserwartung und besonders auch in der palliativen Indikation bei den ED-2-Patienten als ein erheblicher Fortschritt.

Erfolgreiche Hemmung der Topoisomerase

Topoisomerasen werden in allen Körperzellen benötigt, um im Zellteilungszyklus die während der Stoffwechselvorgänge ausgebreiteten DNA-Stränge wieder in die Chromosomen zusammenzufalten. Die durch das neuartige Topotecan (Hycamtin®) gehemmte Topoisomerase-I ist relativ tumorspezifisch, so dass sich schnell teilende nicht-maligne Zellen, wie in den Schleimhäuten, durch die Therapie nicht wesentlich geschädigt werden.

Die im Folgenden zitierten Studiendaten haben die europäische Zulassungsbehörde EMEA so sehr beeindruckt, dass Topotecan Mitte Januar diesen Jahres für SCLC-Patienten zugelassen wurde, die für eine weitere Behandlung mit den für die Rezidivtherapie zugelassenen Präparaten (zum Beispiel im Schema CAV) etwa wegen Resistenzentwicklung nicht (mehr) in Frage kommen. Grundlage für die Entscheidung der EMEA ist nicht eine Verbesserung der Therapieergebnisse quoad vitam, sondern die deutlich verbesserte Lebensqualität der Patienten unter der Therapie gewesen. Topotecan ist bereits seit zehn Jahren in der Behandlung von Patientinnen mit rezidivierendem Ovarialkarzinom erfolgreich im Einsatz.

Die Daten einer Phase-III-Studie, in der bei 211 Patienten mit rezidiviertem SCLC Topotecan gegen CAV geprüft wurde, erläuterte Dr. Joachim von Pawel aus dem Zentralkrankenhaus Gauting bei München Anfang des Jahres vor der Fachpresse in Frankfurt am Main. Die Ergebnisse zeigten unter Topotecan bei 44 Prozent, unter CAV bei 30 Prozent der Patienten eine Stabilisierung oder einen Rückgang des Tumors. Die Überlebenszeit war vergleichbar. Sie betrug im Median unter Topotecan 25 Wochen und unter CAV 24,7 Wochen. Der Unterschied ist nicht signifikant.

Bei etwa gleichen Nebenwirkungen auf das Blutbild wurden nur unter Topotecan die am meisten belastenden Symptome wie Atemnot, körperliche Schwäche, Beeinträchtigung der täglichen Aktivitäten, Abmagerung und Heiserkeit deutlich verringert, so dass die Patienten die ihnen noch verbleibende Lebenszeit besser nutzen konnten. Inzwischen sind durch eine Reduktion der Einstiegsdosis von Topotecan auf 1,25 mg/m2/d i.v. während der ersten fünf Tage bei gleicher Symptomkontrolle auch die hämatologischen Nebenwirkungen im Vergleich zu CAV deutlich verringert worden.

In weiteren Studien konnte inzwischen gezeigt werden, dass es vorteilhaft sein kann, Topotecan auch sofort nach Diagnosestellung einzusetzen und nicht erst das Rezidiv der Primär- oder der Sekundärtherapie abzuwarten, wie Prof. Martin Wolf vom Klinikum Kassel und Prof. Michael Thomas vom Universitätsklinikum Heidelberg anhand eigener Daten erläuterten. Für diesen Einsatz liegt jedoch noch keine Zulassung vor, so dass Patienten nur innerhalb von Studien eine entsprechende Therapiechance haben.

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