Differentialdiagnose der präaurikulären Schwellung im Kindesalter

Epithelioma calcificans Malherbe (Pilomatrixom)

209746-flexible-1900

Ein zweijähriger Junge wurde in unserer Kinderambulanz vorgestellt, nachdem eine bereits im Rahmen der pädiatrischen Vorsorgeuntersuchungen im ersten Lebensjahr aufgefallene, brettharte Schwellung präaurikulär links über mehr als ein Jahr persistierte und nun, nach Einschätzung der Mutter, eine gewisse Größenzunahme zeigte (Abbildung 1). Klinisch handelte es sich um eine extrem feste, etwa 2 x 1 Zentimeter durchmessende, gegenüber der Haut und der Parotis verschiebliche Läsion mit einer leicht höckerig erscheinenden Oberfläche. Schmerzen oder Funktionseinschränkungen waren nicht aufgetreten.

In der sonographischen Untersuchung fielen vor allem ein deutliches Oberflächenecho und die ausgeprägte dorsale Schallauslöschung auf (Abbildung 2), beides Kriterien, die auf einen hohen Hartgewebsanteil der Läsion hindeuten.

Der Befund wurde über eine kleine präaurikuläre Inzision aufgesucht und stellte sich intraoperativ als gut abgegrenzter Tumor in der Subkutis dar (Abbildung 3). Nach der Enukleation handelte es sich makroskopisch um ein solides Gebilde, auf dessen Schnittfläche grießartige, weiß-gelbe Kalzifikationen auffielen (Abbildung 4). Die pathohistologische Aufarbeitung des Resektates zeigte in der HE-Färbung die für ein Pilomatrixom typischen Aggregate von Epithelgewebe mit Verkalkungszonen, eingebettet in ein fibröses Stroma. Besonders auffällig waren Konglomerate eosinophiler Zellen, deren blasse Kerne beziehungsweise Kern-Residuen kein typisches Chromatin mehr aufwiesen und die daher als „Schatten“- oder „Geisterzellen“ (so genannte ghost-cells) bezeichnet werden. Ebenfalls charakteristisch für diese Tumorentität sind die Bereiche mit regressiv veränderten und teilweise dystrophisch-kalzifizierten, basaloiden Epithelzellen (Abbildung 5) sowie Ansammlungen mehrkerniger Fremdkörper-Riesenzellen.

Diskussion

Die Erstbeschreibung des Epithelioma calcificans wird Malherbe und Chenantais Ende des 19. Jahrhunderts zugeschrieben, die den Ursprung dieses gutartigen Tumors aufgrund histologischer Kriterien wie dem Auftreten von Klarzellen in den Glandulae sebaccaeae sahen [Malherbe and Chenantais, 1880]. Durch neuere immunhistochemische Untersuchungen konnte jedoch die Abstammung aus dem Epithel der Haarwurzelscheide gezeigt werden, so dass diese Tumorentität heute als Pilomatrixom bezeichnet wird [Kizawa, 2005].

Anamnestisch wird häufig über eine langsam wachsende und symptomarme Raumforderung der Wangen- oder Periorbitalregion berichtet. Es findet sich meist ein solitärer, schmerzfreier, subkutan gelegener Knoten, der in der Palpation knochenhart imponiert. Schmerzen und Funktionsausfälle benachbarter anatomischer Strukturen sind selten und dann meist Folge einer Drucknekrose oder sekundären Infektion [Duflo S, 1998]. Das Alter der Patienten wird bei leichter Dominanz des weiblichen Geschlechts zweigipflig bei zwei bis fünf Jahren sowie um das 65. Lebensjahr angegeben [Julian, 1998]. In der Literatur finden sich mehrere Fallberichte bei denen multiple Pilomatrixome im Zusammenhang mit einer Trisomie 21, dem Gardner Syndrom und der myotonen Dystonie auftraten und hierbei eine familiäre Häufung nachweisbar war. Insgesamt sind bislang knapp 80 Fälle einer malignen Transformation beschrieben, bei denen es letztlich auch zu einer peripheren Metastasierung kam. Die malignen Fälle betrafen aber vorwiegend ältere Patienten im fünften Lebensjahrzent.

Obwohl das Pilomatrixom mit 20 Prozent zu den häufigsten soliden Tumoren der Speicheldrüsenregion im Kindesalter zählt und der steinharte Befund auf Palpation eigentlich pathognomonisch ist, werden lediglich 50 Prozent dieser Läsionen klinisch korrekt diagnostiziert. Tatsächlich war die Entität in einer Befragung den meisten ärztliche Kollegen unbekannt [Bentz, 2000].

Die Verdachtsdiagnose kann in der Regel allein durch Patientenalter, Verlaufsdaten und dem klinischen Befund gestellt werden. In der B-Mode-Sonografie imponiert eine relativ glatt begrenzte subkutan gelegene, echodichte Raumforderung. Durch die charakteristische Schallauslöschung kann allerdings eine Beurteilung in der Tiefe erschwert sein, sodass eine Abgrenzung zum Drüsengewebe eventuell nicht unmittelbar gelingt. Eine zusätzliche Bildgebung (MRT/CT) ist aber dennoch in der Regel nicht erforderlich.

Für die zahnärztliche Praxis soll dieser Fall an die zahlreichen Auffälligkeiten der perioralen Gewebe erinnern, die sämtlich im diagnostischen Blickfeld des Zahnarztes liegen. Die besondere diagnostische Bedeutung liegt in der Abgrenzung zu Speicheldrüsentumoren aber auch zu Fehlbildungen des branchiogenen Apparates.

Dr. Maximilian MoergelPD Dr. Dr. Martin KunkelKlinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz Augustusplatz 2, 55131 Mainz

Das histologische Präparat wurde freundlicherweise von Dr. Wiltrud Coerdt, Institut für Kinderpathologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, zur Verfügung gestellt.

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.