Gastkommentar

Die Zäsur

pr
SPD und Union verspielen die Erfolge ihrer Politik und verlieren die Legitimation zur großen Koalition.

Walter Kannengießer
Sozialpolitik-Journalist

Münteferings Rücktritt bedeute für die große Koalition eine Zäsur. So kommentierte Andrea Nahles, die linke Flügelfrau der SPD, des Vizekanzlers Schritt. Recht hat sie. Die Parteitaktiker dominieren noch mehr als bisher die Politik. Die Erwartung, dass die Koalition bis 2009 halten könnte, hat einen Dämpfer bekommen.

Der politischen Logik hätte es entsprochen, wenn der SPD-Vorsitzende Beck in die Bundesregierung eingerückt wäre. Er wolle die große Koalition bis 2009 fortsetzen, aber „von Außen mehr Druck machen“, sagte Beck. Er will also mitregieren und zugleich opponieren. Das kann nicht gut gehen. Müntefering war eine wichtige Stütze der Koalition, er arbeitete mit Frau Merkel geräuschlos und vertrauensvoll zusammen. Diese für den Bestand der Koalition so wichtige Funktion kann der neue Vizekanzler Steinmeier nicht ausfüllen, selbst wenn er es wollte. Kein SPD-Minister wird sich dem „Druck von Außen“ entziehen können.

Beck hat die SPD nach links geführt. Die Union kann der SPD auf diesem Weg nicht folgen. Sie würde die bürgerliche Mitte verlieren. Frau Merkel sieht sich schon heute dem Vorwurf aus der CDU ausgesetzt, der SPD immer wieder zu weit entgegenzukommen. Gemessen an den Leipziger Parteitagsbeschlüssen ist das sicherlich richtig. Doch die Zwänge der Koalition sind nun einmal groß, und das für die Union enttäuschende Wahlergebnis von 2005 hat die Reformer in der Partei entmutigt und den Verteilungspolitikern Auftrieb gegeben.

Beck geht hohe Risiken ein. Zwar ist es ihm gelungen, die SPD hinter sich zu scharen und seinen Führungsanspruch abzusichern. Aber solange die SPD mit der Union regiert, kann sie den Wettlauf mit den linken Populisten Lafontaine/Gysi nicht gewinnen. Beck hätte seinen Anspruch, Kanzlerkandidat seiner Partei zu sein, unterstrichen, wenn er nach Berlin gewechselt wäre. So bleibt er der das Risiko scheuende Provinzfürst in Mainz. Schröders Kanzleramtschef Steinmeier soll nun als Vizekanzler die von Müntefering hinterlassene Lücke schließen. Als Politiker ist er ein Vollprofi, ihm fehlt jedoch der „Stallgeruch“ seiner Partei. Aber er hat die besten Umfragewerte. Das zählt. Er ist also potentieller Konkurrent für Beck um die Kanzlerkandidatur. Dieser hat ihn zu seinem Vize befördert. Das begründet Loyalitäten. Doch Steinmeier kann sich auch nicht aus der Kabinettsdisziplin und der Loyalität gegenüber Frau Merkel verabschieden. Das Heil der SPD wird ihm dennoch näher liegen als der Erfolg der Regierung. So lebt er mit der Gefahr, politisch zwischen Beck und Frau Merkel verschlissen zu werden.

Was der Zäsur folgt, wird davon abhängen, ob sich Becks SPD in den nächsten Landtagswahlen gegenüber den Linken und der CDU/CSU behaupten kann und ob die Wirtschaft auf Wachstumskurs bleibt. Sollte es mit der SPD weiter abwärts gehen oder die Konjunktur schwächeln, so hat die Koalition neue politische und finanzielle Probleme. Schon hat sich die Tonlage zwischen den „Partnern“ verschärft. Die SPD hat mit dem Thema Mindestlohn den Dauerwahlkampf eröffnet. Der Mindestlohn ist ökonomisch falsch, aber populär. Das wird die SPD gegen die Union ausspielen.

Die Sozialkassen schreiben wieder schwarze Zahlen. Der Beitrag der Nürnberger Anstalt soll von 4,2 auf 3,3 Prozent gesenkt werden. Das ist mehr als die Fachleute für vernünftig halten. Die Reform der Pflegeversicherung wird dagegen zu steigenden Beiträgen führen. Hier sieht die SPD neue Profilierungschancen. Sie will die Privatversicherten an der Finanzierung der gesetzlichen Pflegekassen beteiligen; die Union lehnt dies ab. Müntefering stand für die Rente mit 67. Dieses Konzept dürfte nun durchlöchert werden.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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