Zahnarztbesuch in Großbritannien

Versorgungslage spitzt sich zu

Heftarchiv Gesellschaft
Trotz aller Versprechen des neuen britischen Premierministers Gordon Brown scheint die zahnärztliche Versorgung in Großbritannien immer schlechter zu werden. Immer mehr Patienten gehen laut Presseberichten außerdem dazu über, im Notfall selbst ihre Zähne zu ziehen, weil das billiger ist.

Jeder fünfte Patient im Königreich verzichtet entweder regelmäßig oder zumindest gelegentlich auf zahnärztliche Untersuchungen und Behandlungen, weil kein staatlicher Zahnarzt verfügbar ist und dem Patienten das Geld für private Behandlungen fehlt.

Britische Hausärzte streiten sich seit einigen Wochen bereits mit britischen Zahnärzten und dem Londoner Gesundheitsministerium, nachdem der stellvertretende Gesundheitsminister Ben Bradshaw Patienten mit Zahnschmerzen geraten hatte, anstatt zum Zahnarzt zum Hausarzt zu gehen. Hintergrund ist auch hier der Mangel an Zahnärzten. Die hausärztlichen Berufsverbände im Königreich sind empört.

Die Versorgungskrise in der staatlichen britischen Zahnmedizin ist nichts neues. Seit Jahren sorgen Schlagzeilen über immer größer werdende Versorgungslücken im staatlichen Gesundheitsdienst (National Health Service, NHS) für Unmut sowohl bei den Patienten als auch innerhalb der Ärzteschaft. In zahlreichen Landesteilen, darunter in der Hauptstadt London, ist es NHSPatienten heute nicht mehr möglich, einen für den staatlichen Gesundheitsdienst praktizierenden Zahnarzt zu finden. Den Patienten bleibt nichts anderes übrig, als sich privat behandeln zu lassen. Sozial schwache Patienten können sich das oftmals nicht leisten.

Einfach zum Hausarzt

Der stellvertretende Gesundheitsminister Bradshaw riet diesen Patienten, „einfach zum Hausarzt“ zu gehen. Der Hausarzt habe „die Pflicht“, schmerzgeplagten Patienten zu helfen. Britische Primärärzte sind empört. Sie weigern sich, in ihren Praxen Zahnarzt-Patienten zu behandeln. „Hausärzte sind nicht qualifiziert, um Patienten mit Zahnproblemen zu helfen“, sagte ein Sprecher des britischen Ärztebundes (British Medical Association, BMA) in London. Die BMA verlangt vom Gesundheitsministerium eine Verbesserung der zahnmedizinischen Versorgung und die Einstellung von Tausenden zusätzlicher NHS-Zahnärzte.

Zähne selber ziehen

Unterdessen berichten britische Medien immer häufiger über verzweifelte Patienten, die sich ihre Zähne selbst ziehen, weil sie kein Geld für eine Privatbehandlung haben. Die Organisation „Patient and Public Involvement (PPI)“ fand in einer aktuellen Umfrage heraus, dass jeder fünfte britische Patient auf einen Besuch beim Zahnarzt verzichtet, weil das zu teuer ist. Immerhin sechs Prozent der von PPI befragten Patienten gaben an, sich bereits einmal selbst „zahnärztlich“ behandelt zu haben. Auch das zeigt nach Ansicht des Zahnärzteverbandes (British Dental Association, BDA), wie prekär die Versorgungslage sei. Die BDA sprach von „haarsträubenden Zuständen“.

Wie aus einer PPI-Befragung von mehr als 5 200 Patienten und rund 750 britischen Zahnärzten hervorgeht, haben 78 Prozent der britischen Privatpatienten dem staatlichen Gesundheitsdienst den Rücken gekehrt, weil der eigene vormals staatliche Zahnarzt nicht länger NHS-Patienten behandele. Und: jeder dritte Privatpatient würde sich zwar gerne wieder von einem staatlich praktizierenden Zahnarzt behandeln lassen, wenn es denn in der Nachbarschaft einen gäbe.

Laut PPI ist lediglich jeder 15. britische Privatpatient der Ansicht, dass private zahnärztliche Versorgung „grundsätzlich besser“ sei als staatliche Fürsorge. 58 Prozent der befragten Zahnärzte sind der Meinung, dass die staatliche Versorgung seit der Einführung von neuen Arbeitsverträgen vor rund 18 Monaten „deutlich schlechter“ geworden sei. Jeder zweite NHS-Zahnarzt nimmt laut Umfrage heute keine neuen NHS-Patienten mehr an. Premierminister Gordon Brown steht unter Druck, diese schlechte Versorgungslage mittels einer besseren Finanzierung zu verbessern.

Arndt StrieglerGrove House32 Vauxhall GroveGB-London SW8 1SY

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