Gastkommentar

Ermattet in die Halbzeit

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Halbzeit in der schwarzroten Koalition: die wenigen Reserven zur Umsetzung gemeinsamer Ziele sind aufgebraucht, ermattet geht es in die Sommerpause. Vor Beginn der zweiten Halbzeit gilt es nun, Kraft und Mut für weitere Vorhaben zu tanken. Doch die abzusehenden Projekte sind eher übersichtlich.
Andreas Mihm
Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Berlin

Ermattet stolpert die schwarz-rote Koalition in die Sommerpause. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat zwar auf dem internationalen Parkett geglänzt, aber die Anstrengungen des Weltwirtschaftsgipfels und der EU-Präsidentschaft haben ihre Spuren im Regierungsapparat hinterlassen. Doch es ist nicht nur physische Erschöpfung, die die Union und SPD am Ende der ersten Hälfe der Wahlperiode mehr vorwärts taumeln lassen als mutig drängend. Die wenigen Gemeinsamkeiten sind aufgebraucht. Was belegt das besser als der „Kompromiss“ um die Reform der Pflegeversicherung oder die „Einigung“ beim Mindestlohn. Den, sagte hernach Vizekanzler Franz Müntefering (SPD), müsse man nun „gegen die Union durchsetzen“. Partnerschaft grotesk.

Bei der Pflege fiel man auch nach vielen Ministerrunden hinter den Koalitionsvertrag zurück. Der sieht vor, eine „Demografiereserve“ einzuführen. Jetzt werden die Leistungen und die Beiträge ein wenig angehoben und fertig ist. Das Demografieproblem kann warten. Wann zuvor ist eine so verantwortungslose Politik anschließend als so großartig verkauft worden?

Die Gesundheitsreform lässt grüßen. Die wird jetzt umgesetzt. Zum 1. Juli mussten die Privatversicherer diejenigen wieder aufnehmen, die früher einmal bei ihnen versichert waren, jetzt aber ohne Schutz sind. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) hatte die „Pflicht zur Versicherung“ als den großen Erfolg der Reform gewertet. Niemand müsse mehr ohne Krankenversicherung bleiben. Die Zahl der so Ausgegrenzten war auf bis zu 400 000 geschätzt worden. Tatsächlich haben sich bei den Kassen an die 15 000 ehemalige Versicherte zurückgemeldet, die Privatassekuranz hat gerade einmal 2 200 Rückkehrer gezählt. So schnell relativieren sich Erfolge.

In der Wirtschaftspolitik hat die Koalition gerade noch einmal bewiesen, dass sie in wesentlichen Sachfragen nicht zueinander kommt. Statt Energiepolitik wird Klimaschutz betrieben, Streitfragen werden zum Schaden der Volkswirtschaft vertagt. Ausnahmen wie die Steuersenkung für Unternehmen bestätigten die Regel nur. Gut, dass trotz alledem die Konjunktur boomt. Das hilft dem Finanzminister, den Staatshaushalt zu sanieren und den Sozialkassen, ein paar Rücklagen anzusammeln.

Vor Beginn der zweiten Halbzeit gilt es nun Kraft und Mut zu tanken. Ende August will die Koalition über weitere Vorhaben beraten. Viel steht da nicht mehr an. In der Gesundheitspolitik muss die Pflegereform exekutiert werden. Das unter Rot-Grün schon einmal gescheiterte Präventionsgesetz soll im Herbst noch einmal ins Rennen geschickt werden. Einen dritten Anlauf wird es beim Umbau der Arzneimittelzulassungsbehörde geben. Hier hatte sich die Union im Bundestag quergelegt – auch, um der Ministerin eins auszuwischen. Notwendig, aber kaum zu erwarten, ist eine Verständigung darüber, wie es in der Frage der Klinikfinanzierung weitergehen soll, wenn 2009 die Fallpauschalen scharf geschaltet werden.

Die Projekte für die zweite Halbzeit sind übersichtlich. Das wichtigste wird wohl das Überleben der Regierungskoalition an sich werden. Schon jetzt geben viele Koalitionäre zu, dass allein der Mangel an Alternativen dieser Regierung über ihre gegenseitige Abneigung hinweghilft. Ende Januar 2008 stehen die Landtagswahlen in Hessen und Niedersachen an. Sie werden der große Stimmungstest für die große Koalition. Nach den Ergebnissen richten die Parteien ihre Strategie für die Wahlen in Bayern, vor allem aber für den Bund im Jahr danach aus. Nach der Sommerpause beginnt ein langer Wahlkampf.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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