Bundeswehr leistet chirurgische Hilfe in Afghanistian

Eine Frau erhält ihr Gesicht zurück

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Heftarchiv Gesellschaft
Ein Familiendrama führte dazu, dass eine junge afghanische Frau fürchterliche Gesichtsverletzungen erhielt. Dank des Einsatzes eines Militär-Zahnarztes in Kabul und der Unterstützung der Bundeswehr konnte sie gerettet werden. Eine Falldarstellung aus Kabul und Mazar-e-Sharif.

Der Verdener Zahnarzt und Oralchirurg Dr. Volker Kranz hat in seinem militärischen Leben schon viel erlebt. Als Flottillenarzt im Sanitätsdienst der Bundeswehr hat er schon in Thailand bei der Tsunamikatastrophe geholfen. Auch Afghanistan ist für ihn kein Fremdwort. Nach 2004 und 2006 in Kabul war er jetzt zum dritten Mal beim deutschen ISAF-Afghanistankontingent im Einsatz – diesesmal im neuen deutschen Hauptstützpunkt Mazar-e-Sharif.

Im Camp Marmal holte ihn jetzt die auch für ihn außergewöhnliche Geschichte einer afghanischen Patientin ein, der er vor einem Jahr im deutschen Feldlazarett in Kabul zusammen mit einer ärztlichen Kollegin das Leben gerettet hatte. „Es war am Anfang – trotz freier Kapazitäten im Lazarett – keine leichte Entscheidung den Fall anzunehmen.“ berichtet Kranz. „Die Patientin kam per Zufall aus einem afghanischen Krankenhaus, das sie nicht weiter behandeln konnte und wollte zu uns. Es war eine komplexe Mittelgesichtsfraktur. Wenn wir es nicht gemacht hätten, wäre aber wohl gar keine Versorgung erfolgt. Die Frau wäre dann höchstwahrscheinlich elend zugrundegegangen – und dies musste aus menschlicher und ärztlicher Sicht verhindert werden.”

Familiendrama

Damals im Mai 2006 war die 23-jährige Kabulerin Sini Masoma ins Feldlazarett im Camp Warehouse eingeliefert worden, von ihrem Ehemann mit einem Dolch lebensgefährlich verletzt. Der Mann hatte der zweifachen Mutter, die schon im Alter von 14 Jahren heiraten musste, das Gesicht und den Kiefer zerfetzt. Der Anlass des Dramas: Sini Masoma führte ein eigenständiges Leben, nachdem ihr Mann sich sang- und klanglos in den Iran abgesetzt hatte. Die hübsche Frau trug Schmuck statt Burka und arbeitete beim afghanischen Fernsehen. Als ihr Mann plötzlich nach zwei Jahren auftauchte, und sie aufforderte, ihm in den Iran zu folgen, kam es zu der schrecklichen Tat vor den Augen des ältesten Sohnes. Mit dem Schmuck von Sini Masoma flüchtete er – vermutlich in den Iran zurück. Nur weil Oralchirurg Kranz und eine HNO-Kollegin aus dem Bundeswehrkrankenhaus Koblenz zufällig gerade in Kabul Dienst taten, konnten Kieferhöhle und Gesichtsverletzungen in einer fünfstündigen Operation erstversorgt werden: Plattenostesynthese mit einer Oberkiefer- und Unterkieferschienung mit IMF, sowie eine Kieferhöhlenrevision und schwieriger plastischer Deckung der eine Woche alten Mund-Antrum Verbindung.

Erschreckend für den Verdener Spezialisten in Uniform war, dass seine afghanischen Dolmetscher – ebenfalls gelernte Mediziner (!) – das Familiendrama als für Afghanistan völlig normal einstuften: „Für uns als deutsche Ärzte unfassbar. Es war tragisch anzusehen, wie eine junge hübsche erfolgreiche Frau und Mutter von ihrem Mann so verletzt wurde. Für mich war das Anlass, die Problematik Frauen in Afghanistan etwas genauer anzusehen und viel darüber zu lesen.”

Spendenaktionen

Trotz des Umzuges von Kabul nach Mazare-Sharif kümmerten sich die im Camp Warehouse verbliebenen deutschen Soldaten auch weiter um Sini Masoma. Spendenaktionen wurden organisiert, damit die Familie überleben konnte, nachdem Sini als Hauptverdiener zunächst ausfiel. Klar war auch, dass weitere Operationen notwendig waren obwohl der Heilungsprozess nach der Operation im Mai 2006 sehr gut verlief. Notwendig waren Zahnersatz, aber auch Nachbehandlung der entstellenden Narben, die eine Frau im archaischen afghanischen Gesellschaftsbild ächten und bloßstellen.

Dass dies im Mai/Juni 2007 im neuen High- tech-Einsatzlazarett im Camp Marmal durch Flottillenarzt Kranz und einem chirurgischen Kollegen aus Hamburg in mehreren Operationen innerhalb von nur zehn Tagen passieren konnte, grenzt schon an ein kleines Wunder: „Über Zeitpunkt, Umfang und Art der Versorgung haben wir in Deutschland lange gerätselt. Erst vor Ort in Mazar-e-Sharif ergab sich jedoch die glückliche Konstellation der Zusammenarbeit mit Oberfeldarzt Dr. Max Leßle und meinem Heimatdentallabor in Celle. Wir wählten nicht eine mit vielen Risiken behaftete Maximalversorgung sondern eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche herausnehmbare Klammerprothese, welche auch in Afghanistan gegebenenfalls später einmal erweitert oder verändert werden kann”, so Kranz.

Mit einer Transall der Bundeswehr flogen Sini, ihre Mutter (keine afghanische Frau kann allein reisen) und ihr kleiner Sohn von Kabul nach Mazar-e-Sharif. Mit Hilfe von Kranz’ Mitarbeiter in der Bundeswehrzahnarztgruppe Munster wurde das Abdruckmaterial für den Zahnersatz zeitgerecht zwischen Mazar-e-Sharif – Munster – Flughafen Köln hin und her geshuttelt. Das Celler Dentallabor stellte unbürokratisch die Prothese kostenlos zur Verfügung. Der Kirchlintelner Zahnarzt: „Es passte alles zusammen – ein zweiter glücklicher Zufall für Sini Masoma – und das noch im Krisengebiet Afghanistan. Die deutsch-afghanischen Transport- und Botenwege über 5 000 Kilometer waren abenteuerlich. Da hat auch der Obergefreitendienstweg kräftig mitgeholfen.”

Trotz des hervorragenden Kreiskrankenhausstandards im Feldlazarett waren die Operationen für beide Mediziner eine Herausforderung. Besonders schwierig war die in der Kürze der Zeit notwendige Operation an den Wangennarben, der intraoralen Narbenkorrektur mit der Entfernung von zwei nicht zu erhaltenden Zähnen und der gleichzeitigen Abdrucknahme sowie einer Bissregistrierung. Es fehlten Teile des Alveolarkammes des Oberkiefers links (Regio 16 bis 13). Zähne 16 bis 24 wurden herausnehmbar ersetzt.

Maximales Ergebnis

Beide Bundeswehrärzte waren mit dem erreichten Ergebnis voll zufrieden: „Es galt mit möglichst geringem Umfang ein maximales Ergebnis zu erreichen, das natürlich langfristig halten soll. Dank der langjährigen Zusammenarbeit mit dem Labor in Celle hat die Prothese ohne große Korrekturen sofort gepasst. Die Patientin konnte nach einer kurzen Eingewöhnungszeit von nur zwei Tagen auch schon mittlere Kost gut essen. Auch die junge Frau war mit der Funktion und der Ästhetik sehr zufrieden. Die Narbenkorrektur ist ebenfalls gut verlaufen. Eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität unserer Patientin”, resümiert Volker Kranz ein klein wenig stolz. Auch die adhoc fachübergreifende Zusammenarbeit mit Lerneffekten für Ärzte, Schwestern und Pfleger war für das Team eine besonders positive Erfahrung.

Um die Stellung der Frau ist es in Afghanistan auch fünfeinhalb Jahre nach dem Sturz des Taliban-Regimes nicht gut bestellt. Der Fall Sini Masoma hat das Dr. Kranz und seinen deutschen Kameraden in bedrückender Weise vor Augen geführt – aber ihrer aller Hilfe hat in Sini Masoma ein konkretes Gesicht bekommen.

Klaus Geier, OberstleutnantLeiter Presse beim EinsUstgVbd KABULPressestelle Landeskommando SachsenAlbertstadtkaserneMarienallee 1401099 Dresden

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