Die Arzneimittelkommission der BZÄK/KZBV informiert

Management arzneimittelinduzierter Anaphylaxie

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Die Arzneimittelkommission der Bundeszahnärztekammer (AKZ) veröffentlicht jährlich alle von zahnärztlichen Praxen an die Bundeszahnärztekammer gemeldeten unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAWs). Dieser Beitrag beschäftigt sich mit dem Management einer derartigen interaktiven Notfallsituation. Sie sollte in der Praxis durchgesprochen und geübt werden, damit im Fall X schnell und vor allem lebensrettend im Team gehandelt werden kann.

Die von Zahnärzten hauptsächlich eingesetzten beziehungsweise verordneten Arzneimittel gehören vorwiegend zur Gruppe der Lokalanästhetika, Antibiotika und Analgetika. Vor allem unter Behandlung mit Antibiotika, aber auch durch Gabe von Lokalanästhetika und Analgetika werden auch in der Zahnarztpraxis regelmäßig allergische Symptome bis hin zum anaphylaktischen Schock beschrieben. Anaphylaktische Reaktionen sind zwar seltene, aber potentiell lebensbedrohliche Situationen, die sofort erkannt und noch in der Praxis schnellstmöglich medikamentös behandelt werden müssen. Die häufigsten Auslöser anaphylaktischer Reaktionen sind Arzneimittel, Nahrungsmittel, Insektengifte und Latex. Für Arzneimittel wird die Häufigkeit anaphylaktoider Reaktionen in der Literatur mit 0,001 bis 10 Prozent pro applizierter Dosis angegeben [1], ein höheres Risiko besteht nach Gabe von Antibiotika. Reaktionen nach Penicillin treten in einer Häufigkeit von 0,1 bis 0,5 Promille auf und mit tödlich verlaufenden Anaphylaxien ist mit einer Häufigkeit von 1/50 000 – 100 000 Penicillingaben zu rechnen [2].

Definition

Der Begriff „Anaphylaxie“ wird in der Literatur nicht einheitlich verwendet. Meist wird darunter die Maximalvariante einer allergischen Sofortreaktion verstanden, die als akute systemische Reaktion den ganzen Organismus erfassen kann und je nach Schweregrad mit unterschiedlichen Symptomen einhergeht. Unter dem Oberbegriff Anaphylaxie werden aber sowohl die echten allergischen, also die IgE-mediierten Reaktionen, als auch die „anaphylaktoiden“, pseudoallergischen beziehungsweise nicht IgE-mediierten Reaktionen zusammengefasst. Eine pseudoallergische Reaktion ist dosisabhängig und läuft im Allgemeinen milder ab. Die Unterscheidung zwischen allergischer und pseudoallergischer Reaktion ist zur Beurteilung der Pathogenese durchaus sinnvoll, in der Akutsituation aber von untergeordneter Bedeutung. Die klinischen Symptome und die zu ergreifenden therapeutischen Maßnahmen unterscheiden sich nicht.

Pathophysiologie

Die klinischen Symptome einer anaphylaktischen Reaktion resultieren aus der Freisetzung der vasoaktiven Mediatorsubstanz Histamin sowie der Freisetzung weiterer Mediatoren wie Eikosanoiden, plättchenaktivierendem Faktor (PAF) sowie Enzymen und Zytokinen. Letztendlich resultiert eine Gefäßerweiterung im Bereich der Endstrombahn in Permeabilitätsstörungen mit Plasmaaustritt ins Gewebe sowie einer Hypovolämie. Die darauf folgenden hämodynamischen Kreislaufreaktionen reichen stadienabhängig von Tachykardie über Bradykardien und Arrhythmien bis hin zum Herzstillstand (Asystolie).

Klinische Symptomatik

Die typischen Symptome einer allergischen Reaktion manifestieren sich an verschiedenen Organsystemen:

Herz-Kreislauf-System:Tachykardie, Rhythmusstörungen, Hypotonie oder aber auch intermittierend Hypertonie, Schocksymptomatik mit Blässe, Lippenzyanose und Herz-Kreislauf-Versagen.

Atemtrakt:Heiserkeit, Niesreiz, Rhinorrhoe, Stridor, oropharyngeales beziehungsweise laryngeales Ödem, Glottisödem, Husten, Dyspnoe, Bronchospasmus, Atemstillstand.

Haut und Schleimhaut:Flush, Erythem Juckreiz, Urtikaria, Angioödem, makulopapulöses Exanthem; Gaumenjucken, Kribbeln am Hals wie im Rachen werden oftmals als frühe Symptome angegeben.

Gastrointestinaltrakt:Allgemeine Übelkeit (teilweise auch kreislaufbedingt), Erbrechen, Abdominalschmerzen, Krämpfe, Uteruskontraktionen.

Man geht davon aus, dass eine direkte Korrelation zwischen der Stärke und der Geschwindigkeit des Auftretens von Symptomen nach Exposition mit dem auslösenden Medikament besteht. Das heißt je schneller und stärker Symptome auftreten, desto lebensbedrohlicher ist die Reaktion einzuschätzen. Die meisten Symptome einer Anaphylaxie treten innerhalb von Minuten auf, doch gelegentlich kann es bis zu einer Stunde dauern, bis erste Symptome auftreten. Die typische Symptomatik kann einphasig verlaufen und es kommt nach Behandlung innerhalb von Stunden zum Nachlassen der Symptome. In 20 Prozent der Fälle verläuft die anaphylaktische Reaktion aber zweiphasig und es kann 24 bis 38 Stunden nach der Antigenexposition nochmals eine klinische Symptomatik auftreten [3]. Nach Literaturangaben verläuft etwa ein Drittel der Zweitphasen schwerer als die initiale Phase, ein Drittel etwa gleich stark und ein Drittel schwächer. Heute wird von den meisten Autoren die systemische Gabe von Kortikosteroiden empfohlen, um die Symptome der zweiten Phase zu minimieren beziehungsweise abzuschwächen. Auch bei sofortiger Steroidgabe kann die zweite Phase einer anaphylaktischen Symptomatik jedoch nicht mit Sicherheit vermieden werden. Die Zuordnung der Symptome zu den Stadien I bis IV ist der Tabelle 1 zu entnehmen.

Therapie

Die Akuttherapie einer arzneimittelinduzierten anaphylaktischen Reaktion richtet sich nach der Intensität der Symptomatik. Bei schnellem und protrahiertem Verlauf anaphylaktischer Symptome muss unbedingt daran gedacht werden, so früh wie möglich im zeitlichen Verlauf – am besten über das medizinische Hilfspersonal – die Rettungsleitstelle zu informieren und den Notarzt anzufordern.

Ein handelsüblicher Notfallkoffer („Ulmer Koffer“) sollte in jeder Zahnarztpraxis vorhanden sein (siehe hierzu auch: Arzneimittelkommission der Bundeszahnärztekammer: „Informationen über Zahnärztliche Arzneimittel (IZA)“, Kapitel 11: Behandlung von Notfällen, Auflage 2006, im Internet verfügbar unter: www.bzaek.de/service/ oav10/artikel.asp?lnr=657).

Bis zum Eintreffen des Notarztes sollten allgemeine Maßnahmen und gezielte medikamentöse Therapie durch den Zahnarzt durchgeführt werden.

Allgemeine Maßnahmen

Der Patient muss flach gelagert werden. Die Zufuhr des potentiell auslösenden Medikaments muss sofort unterbrochen werden. Bei Atemnot und/oder Zyanose sollten 2 bis 3 l/min. Sauerstoff gegeben werden (gegebenenfalls auf 4 bis 6 l/min. steigerbar). Wenn irgend möglich, sollte versucht werden, einen periphervenösen Zugang zu legen. Bei vorwiegend kardialer Symptomatik kommt der Volumensubstitution mit Elektrolytlösungen (wie physiologische Kochsalzlösung) eine entscheidende therapeutische Bedeutung zu.

Gezielte medikamentöse Therapie

Antihistaminika

Im Stadium I, beziehungsweise bei hauptsächlich dermaler Manifestation der Symptome ohne Kreislaufreaktion, kann zunächst ein Antihistaminikum (H1-Antagonist) appliziert werden. Zur i.v.-Applikation (intravenös) stehen Clemastin (Tavegil®) und Dimetinden (Fenistil®) zur Verfügung. Die Überlegenheit einer Kombination von H1- und H2-Antagonisten ist in der Prophylaxe vor allem pseudoallergischer Reaktionen sowie bei der chronischen Urtikaria gut belegt. In der Akuttherapie fehlen bisher jedoch ausreichende Daten und entsprechende Empfehlungen.

Adrenalin

Bei protrahierter Symptomatik ist die Gabe von Adrenalin indiziert. Adrenalin wirkt durch Stimulation sympathischer â1-Rezeptoren positiv inotrop und chronotrop und ist das wichtigste Medikament zur Behandlung des anaphylaktischen Schocks, des Herzstillstandes und der drohenden Erstickung bei Bronchospasmus und Larynxödem.

Adrenalin ist rasch bioverfügbar und kann i.v., i.m. (intramusculär), s.c. (subcutan), sublingual, endobronchial (nach Intubation) oder als Aerosol appliziert werden. Bei Bronchospasmus wirkt Adrenalin durch b-Rezeptorstimulation antiödematös, bei vorherrschender kardiovaskulärer Symptomatik steht die alphamimetische Wirkung im Vordergrund. Am sichersten ist die sehr langsame i.v.-Injektion von 0,5 bis 1,0 ml der Suprarenin®-Lösung 1:1000 (= 0,5 bis 1,0 mg Epinephrin), verdünnt auf das 10-fache Volumen mit Ringer- oder 0,9-prozentiger Kochsalzlösung. Für den Zahnarzt stellt die sublinguale Injektion von 0,5 ml der unverdünnten Suprarenin®-Lösung in den Zungengrund eine Alternative dar (kann nach 15 Minuten wiederholt werden).

Bei Kreislaufversagen und Herzstillstand ist Adrenalin in gleicher Weise anzuwenden wie beim anaphylaktischen Schock. Die Adrenalingabe muss unter ständiger Pulskontrolle (Frequenz, Füllungszustand) gegebenenfalls ein- bis maximal zweimal im Abstand von fünf Minuten wiederholt werden. Bei Herzstillstand muss eine extrathorakale Herzmassage (Verhältnis Kompression zu Atemspende: 30 : 2) durchgeführt werden, um eine gewisse Blutzirkulation im Organismus aufrecht zu erhalten. Diese Zirkulation ist zwingend erforderlich, damit das Adrenalin seinen Wirkort erreichen kann. Ohne das Aufrechterhalten einer minimalen Blutzirkulation bleibt die Gabe von Adrenalin wirkungslos.

Beta-2-Sympathomimetika

Bei vorherrschender Bronchospastik ist die Gabe von â2-Sympathomimetika indiziert. Terbutalin, Fenoterol, Salbutamol und Formoterol können als Dosieraerosol alternativ zur Adrenalingabe eingesetzt werden. Als dosisabhängig auftretende Nebenwirkungen von â2-Sympathomimetika sind Tachykardie und Tremor zu beachten.

Theophyllin

Theophyllin führt zu einer Relaxation der glatten Muskulatur der Bronchien und Pulmonalgefäße. Deshalb ist das Medikament ein wichtiger Bestandteil der Therapie bronchospastischer Zustände, wenn â2- Sympathomimetika nicht ausreichend wirken. Aufgrund seines positiv chronotropen beziehungsweise proarrhythmischen Effektes ist Theophyllin im anaphylaktischen Schock kein Mittel erster Wahl.

Glukokortikoide

Ihnen kommt eine zentrale Bedeutung bei der Behandlung des anaphylaktischen Schocks zu. Aufgrund des Wirkungseintritts erst nach 15 Minuten sind sie im Stadium III und IV nicht zur Monotherapie des anaphylaktischen Schocks geeignet, sondern werden zusätzlich zu Adrenalin aufgrund ihrer antiinflammatorischen und membranstabilisierenden Effekte eingesetzt. Prednisolon und Methylprednisolon werden in Dosen von 250 bis 1000 mg langsam intravenös, oder bis 250 mg auch i.m., zum Beispiel in die ventrale Zungenmuskulaur, injiziert.

Rezidivprophylaxe anaphylaktischer Events

Nach erfolgreicher Akuttherapie sollte der Patient einer geeigneten allergologischen Diagnostik zugeführt werden [4]. Diese dient der Ermittlung des auslösenden Wirkstoffes, der Beschreibung des für das allergische Geschehen relevanten Pathomechanismus (wie IgE) und vor allem dem Auffinden eines verträglichen Alternativpräparats bei bestehender Arzneimittelunverträglichkeit.

Resümee

Anaphylaktische Reaktionen nach Applikation von Arzneimitteln in der Zahnarztpraxis sind selten, erfordern aber, wenn sie tatsächlich auftreten, ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit und ein optimales Therapiemanagement durch den Zahnarzt bis zum Eintreffen des Notarztes. Zur Grundausstattung jeder Zahnarztpraxis sollte ein Notfallkoffer gehören, in welchem die wesentlichen Medikamente zur Behandlung anaphylaktischer Reaktionen (Antihistaminikum, â2-Sympathomimetikum, Adrenalin, Glucocorticoid) vorgehalten werden. Antihistaminika und Glucocorticoide werden insgesamt am häufigsten eingesetzt, sind aber nur für anaphylaktische Reaktionen ohne schwere Kreislaufbeteiligung ausreichend. Adrenalin ist das Mittel der Wahl bei mittelschwerer bis starker Kreislaufbeteiligung und wird in der Praxis immer noch zu zurückhaltend eingesetzt.

Dr. med. Christoph SchindlerProf. Dr. med. Dr. med. dent. Wilhelm KirchInstitut für Klinische PharmakologieTechnische Universität DresdenFiedlerstraße 27, 01307 Dresden

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Schwere

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Beschreibung

Herz-Kreislauf

Atmung

Haut

GI-Trakt

\n

0

Lokal-reaktion

Rötung, Juckreiz

\n

I

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Leichte

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Allgemein-reaktion

Husten, Dyspnoe

Juckreiz, Urtikaria, Flush, kalte Extremitäten

Nausea

\n

II

Ausgeprägte

\n

Allgemein-

\n

reaktion

Tachykardie, Arrhythmie

Dyspnoe,Bronchospasmus

Juckreiz, Urtikaria, Flush, kalte Extremitäten

Nausea, Stuhldrang

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III

Bedrohliche

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Allgemein-reaktion

Hypotension,Blässe, Schock, Bewusstseinstrübung

Schwere Dyspnoe

Juckreiz, Urtikaria, Flush, kalte Extremitäten

Erbrechen, Defäkation

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IV

Vitales

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Organ-versagen

Kreislauf-stillstand

Atemstillstand

Juckreiz, Urtikaria, Flush, kalte Extremitäten

Erbrechen, Defäkation

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Beschreibung

Herz-Kreislauf

Atmung

Haut

GI-Trakt

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Lokal-reaktion

Rötung, Juckreiz

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Leichte

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Allgemein-reaktion

Husten, Dyspnoe

Juckreiz, Urtikaria, Flush, kalte Extremitäten

Nausea

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Ausgeprägte

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Allgemein-

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reaktion

Tachykardie, Arrhythmie

Dyspnoe,Bronchospasmus

Juckreiz, Urtikaria, Flush, kalte Extremitäten

Nausea, Stuhldrang

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III

Bedrohliche

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Allgemein-reaktion

Hypotension,Blässe, Schock, Bewusstseinstrübung

Schwere Dyspnoe

Juckreiz, Urtikaria, Flush, kalte Extremitäten

Erbrechen, Defäkation

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Vitales

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Organ-versagen

Kreislauf-stillstand

Atemstillstand

Juckreiz, Urtikaria, Flush, kalte Extremitäten

Erbrechen, Defäkation

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