Der Stoff, der Seminare füllt

Junge Kollegen bei Dr. House

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Prominente haben eine ungeheure Anziehungskraft. Auf einfache aber auch auf bildungswillige Menschen gleichermaßen. Das bestätigt sich jetzt einmal mehr: Die Aussicht, mit einem Promi zu arbeiten, lockt Studenten in die Uni. Samstags früh strömen über 100 angehende Mediziner morgens um neun Uhr in die Philipps-Universität zu Marburg, um sich an Dr. House ein Beispiel zu nehmen, einige von ihnen kommen extra von der Mainzer Universität herüber gefahren.

Nun gut, live erleben die Studenten die populäre Koryphäe für seltene Fälle nicht, aber sozusagen hautnah. Denn in der Seminarreihe um „Dr. House“ an der Medizinischen Fakultät haben die Teilnehmer stets eine ausgewählte Folge der TV-Serie „Dr. House“ vor Augen, um den Inhalt Schritt für Schritt zu analysieren.

Ein exotisches Lehrangebot, das aus dem Rahmen fällt: Dieses Semester hat die Medizinische Fakultät der Philipps-Universität Marburg deshalb samstags um neun ihre Türen für Lernwillige geöffnet. Über 100 Medizinstudenten im 3. klinischen Studienjahr, also kurz vor dem Praktischen Jahr, lernen die Detektivarbeit der Diagnostik im Klinikalltag aus einer neuen Perspektive kennen. Sie wandeln auf den diagnostischen Spuren jenes Dr. House, der als ungehobelter Klotz seit zwei Jahren fast jeden Dienstag Abend auch auf deutschen Bildschirmen Kollegen und Patienten das Leben schwer macht, es letzteren dafür aber in vielen Folgen rettet.

Abseits der Norm

Initiiert und umgesetzt hat das ungewöhnliche interdisziplinäre Lernangebot Professor Jürgen Schäfer, von Haus aus interventioneller Kardiologe, Intensivmediziner, Endokrinologe und Diabetologe, in seiner aktuellen Funktion als „Akademischer Direktor der Philipps-Universität“. Die extreme Art, auf die die Serie wahre Sachverhalte vermittelt, begeistert nicht nur Schäfer, sondern macht das TV-Format auch zu Zuschauers Liebling.

House holt seine Fan-Gemeinde regelmäßig vor den Bildschirm und begeistert sie für medizinische Fachfragen derart, dass auch die Laien unter ihnen die behandelten Krankheitsbilder nachschlagen.

Wissen wollen, was dahinter steckt, das täte auch den angehenden Kollegen gut, dachte der engagierte Dozent Schäfer, überlegte sich ein Lehrkonzept, das ebenfalls abseits der Norm liegt – und gewann Kollegen aus den anderen Fachbereichen für seine Idee. So entstand die Seminarreihe für Differentialdiagnostik, fächerübergreifend ausgerichtet. Eingebracht haben sich unter anderem Kollegen aus der Inneren Medizin und der Chef der Onkologie. Ein Neurologe unterrichtete im Dezember anhand einer Episode mit einem Tollwutfall, bei dem die Seminarteilnehmer dem Tollwutvirus hinterher spürten, das in der Mainzer Uniklinik einen (realen) Patienten letztes Jahr das Leben kostete. Die Einbindung eines Ethikprofessors in die interdisziplinäre Reihe soll zur Entwicklung einer guten Arztpersönlichkeit bei den Teilnehmern positive Anreize liefern.

Halbteufel in Weiß

Nach jedem Schritt der TV-Ärzte auf dem Weg zur wahren Erkenntnis macht der Dozent einen Cut und lässt die Studenten in Gruppen das Gesehene auswerten. Dafür bietet sich die Serie mit standardisiertem Grundschema an:

– House trifft auf den Patienten, der erste Symptome bemerkt hat oder zeigt,

– die angesetzte Therapie greift, aber nur scheinbar, der Zustand des Patienten wird kritisch,

– House macht Kollegen wegen deren unzulänglicher Spurensuche fertig

– erkennt die wahre Ursache und

– rettet mit unkonventionellen Ideen den oder die Patienten.

Doch wie? Seine Fälle sind so ungewöhnlich wie er als Halbteufel in Weiß, seine Diagnosen und seine Wege dorthin ebenfalls. „Herzstillstand bei einem Zehnjährigen – gibt’s so was? Ja, man muss nur dran denken“, betont Schäfer. Ein genetischer Defekt kann sich auf den Stoffwechsel auswirken, wie House ausführlich erläutert. Wie geht man vor bei der Reanimation? Schrittweise und damit nachvollziehbar hangelt sich das Team durch die Serie. Das macht sie schon für Laien spannend, seltene Krankheitsbilder wie Morbus Cushing oder Addison, Bilharziose sind für House-Fans mittlerweile ein bekanntes Terrain.

Die saubere Recherche der medizinischen Basics macht die Serie wiederum für junge Mediziner wertvoll. „Denn es geht um ungewöhnliche Krankheiten, die die Studenten höchst selten in realiter erleben“, weiß Schäfer. Entsprechend sollen sie – die simulierte Situation vor Augen – überlegen, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse die jeweilige These stützen oder widerlegen. Wie bei einem Krimi sollen sie nach und nach die einzelnen Puzzleteile finden und zu einem stimmigen Ganzen fügen.

Das exotische Seminar will entsprechend intensiv vorbereitet sein: Immerhin braucht Schäfer je Seminartag mehrere Tage, um die Folgen zu sichten und auszuwerten, entsprechend der Arbeitsschritte die erforderlichen Filmclips zu unterteilen, zu schneiden und zusammen zu stellen. Manche Diagnosen fordern den Medizinrechtler regelrecht heraus: Dann schlägt er auch schon einmal selber nach, ob Therapie und Diagnostik stimmig (inszeniert) sind.

Der ausgefallene Wochenendtermin beruhe übrigens nicht etwa darauf, dass er sich ähnliche Allüren zugelegt habe, wie der griesgrämig TV-Kollege, versichert Schäfer schmunzelnd. Die Terminierung habe vielmehr dem Alltagszwang gehorcht: Als Kliniker sei er bis abends um 20.00 Uhr beschäftigt, doch „am Wochenende habe ich frei, da kann ich.“

Rüpel im hippokratischen Eid

Das bloße Studium der Literatur könnte gerade bei seltenen Krankheiten die ungewöhnlichen Fakten schwerlich so einprägen wie die direkte Schelte des überheblichen Könners House im konkreten Fall, ist Schäfer überzeugt. Und diese Schelte holen sich die Studenten alle naselang ab. Auch wenn ihnen der unmittelbare Kontakt zum Tyrannen erspart bleibt und sie mit einem Medizinprofessor zusammenarbeiten, der – trotz aller Wertschätzung medizinischen Know-Hows – den mobbenden House als Leitbild für eine Arztpersönlichkeit absolut ablehnt und stattdessen auf Teamwork und -geist setzt.

Zwischen Manie und Berufung

Als angehende Mediziner müssen die Studenten die Persönlichkeit des TV-Arztes mal außen vorlassen, die die Zuschauer an den Schirm lockt. „Mich wundert’s, dass 5 Millionen Zuschauer die Serie mögen: Was hat der Laie davon? Denn die Leute, die Interesse haben, lesen nach: Diesen Effekt hat er auch bei Studenten beobachtet. Wissen wollen, was dahinter steckt an der Diagnose, was dran ist an dem Plot.

Haben die Studenten ihre Diagnose gestellt, wird der zweite Part abgespult und gecheckt, ob, wie und worin sich die eigenen Einschätzungen mit denen im Film decken. Oder warum eben nicht. Dann ... schlägt House zu.

Aber auch sein Vorgehen wird kritisch unter die Lupe genommen: „Man muss nicht immer gleich den Brustkorb öffnen“, schmunzelt Schäfer, der derart drastische Maßnahmen als Tribut an die Quotenjagd klar stellt; als Kliniker unterscheide man schnell zwischen den drei Vierteln Fakten und dem einen Viertel Fiktion als Zugeständnis an die Dramaturgie. Auch, dass ein anders Mal gleich die gesamte Palette verfügbarer Untersuchungsgeräte ausgereizt wird, müsse für echte Mediziner ein (Wunsch)traum bleiben.

Das House-Seminar ist ein Renner. Und selbst im Internet ein Thema für Studenten- Blogs. Als TV-Serie sicherte „Dr. House“ sich inzwischen sogar einen Eintrag ins Guinness- Buch der Rekorde als beliebteste Sendung in den Kritiken. „Was für mich signalisiert, dass viele Dr. House mit anderen Augen sehen. Er ist kein Spinner, sondern ein Arzt in einer gut recherchierten Serie.“, steht Schäfer hinter seinem Konzept. Das Seminar wird – wie die Serie – fortgesetzt. 60 bis 70 Sequenzen will Schäfer mit Studenten auf House Spuren wandeln, zur Zeit sind die ersten 20 Folgen und außer der Reihe besonders interessante Fälle in Arbeit.

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