Britische Erstklässler

Zahngesundheit lässt zu wünschen übrig

pr
Die Zahn- und Mundgesundheit von britischen Schulanfängern wird immer schlechter. Die British Dental Association sieht die Ursachen im Versorgungssystem und in der sozialen Schieflage. Sie verspricht sich eine Verbesserung, wenn mehr Geld ins staatliche Gesundheitssystem gepumpt wird. Eine Lösung des Problems steht noch aus.

In Großbritannien werden immer mehr Kinder eingeschult, die bereits als Erstklässler kariöse beziehungsweise durch Karies ganz zerstörte Zähne haben. Der britische Zahnärztebund (British Dental Association, BDA) schlug jetzt öffentlich Alarm und bezeichnete die Zahn- und Mundgesundheit von britischen Schulkindern als „skandalös schlecht“. Freilich: Bislang deutet nichts darauf hin, dass das Londoner Gesundheitsministerium die Warnungen ernst nimmt und handelt.

Wie aus aktuellen Zahlen der BDA hervor geht, hat der durchschnittliche Fünfjährige in Großbritannien bereits 1,5 kariöse Zähne. In vielen Landesteilen, wie zum Beispiel in den nordenglischen Städten Blackburn und Manchester sowie im schottischen Glasgow, weisen fünfjährige Schulanfänger durchschnittlich drei kariöse Zähne auf. Die britische Sonntagszeitung „Sunday Telegraph“ berichtete kürzlich in einem ganzseitigen Feature über die desolaten Zustände, dass jeder vierte Schulanfänger in Großbritannien „mindestens zwei Zähne“ hat, die entweder kariös sind oder die bereits gefüllt sind oder ganz fehlen. Die Überschrift des Artikels lautete: „Three rotten teeth by age of five, as dental system decays“ („Drei verfaulte Zähne im Alter von fünf Jahren und das zahnärztliche Versorgungssystem vergammelt“).

Damit hat sich die Zahngesundheit von Kindern seit 1999 „merklich verschlechtert“, so die BDA. Der Zahnärztebund wies darauf hin, dass es die erste Verschlechterung der Zahngesundheit bei britischen Kindern und Jugendlichen „seit Jahrzehnten“ ist. „Das ist sehr besorgniserregend und deutet darauf hin, dass sich die Zustände innerhalb der staatlichen Zahnmedizin weiter verschlechtern“, so eine BDA-Sprecherin in London.

Lückenhafte Versorgung

Großbritannien hat seit mehr als 60 Jahren ein staatliches Gesundheitssystem (National Health Service, NHS). Grundsätzlich steht damit jedem Bürger der kostenlose Zugang zu einem NHS-Zahnarzt zu. Allerdings mangelt es in vielen Landesteilen an staatlichen Zahnärzten. In der Praxis bedeutet das, dass Patienten oftmals unversorgt bleiben. Diese lückenhafte Versorgung ist nach Einschätzung der BDA ein wichtiger Grund, warum sich die Zahngesundheit gerade bei Kindern und Jugendlichen in den vergangenen Jahren deutlich verschlechtert hat. Landesweit haben laut Zahnärztebund „zehntausende Patienten Probleme, einen staatlichen Zahnarzt zu finden“. Wer kein Geld hat für eine Privatbehandlung, geht leer aus. Laut BDA bestehe ein kausaler Zusammenhang zwischen Geldmangel und schlechter Zahngesundheit. So liege die Zahl jener Schulkinder, die mit kariösen Zähnen eingeschult würden, in den ärmeren und sozialschwachen Landesgegenden deutlich höher als in den wohlhabenden Landesteilen. Die BDA verlangt von Gesundheitsminister Alan Johnson ein gesundheitspolitisches Sofortprogramm, um die Versorgungslage zu verbessern.

Einer der Ansatzpunkte sollte sein, mehr junge Zahnärzte zu motivieren, anstatt in privater Praxis zu arbeiten, lieber für den NHS zu praktizieren. Die BDA wies darauf hin, dass der „alarmierende Mangel an staatlichen Zahnärzten“ einer der Hauptgründe sei, warum sich die Zahngesundheit von Kindern und Jugendlichen in den vergangenen Jahren deutlich verschlechtert habe. Der mangel an NHS-Zahnärzten habe nämlich zur Folge, dass immer weniger Kinder und Jugendliche Zugang zu regelmäßigen Check-ups haben. Gleichzeitig würden diese Vorsorgeuntersuchungen immer seltener in den britischen Kindergärten und Schulen angeboten. Folge: Junge Briten blieben unversorgt, Zahnerkrankungen blieben immer öfter unerkannt oder würden zu spät diagnostiziert.

Dr. Susie Sanderson von der BDA: „Es herrschen wirklich alarmierende Zustände! In einigen Landesteilen haben Fünfjährige bereits mehrere ausgefallene Zähne. Großbritannien kann es sich nicht leisten, diese Situation weiter zu ignorieren. Da tickt eine Zeitbombe!“ Die BDA verlangt von Gesundheitsminister Alan Johnson unverzügliche Verhandlungen mit den zahnärztlichen Berufsverbänden im Königreich, um NHS-Zahnärzten bessere Arbeitsverträge und Honorare anbieten zu können. Der Privatsektor biete jungen Zahnärzten sowohl wesentlich mehr Geld als auch angenehmere Arbeitsbedingungen an. Das führe dazu, dass viele Stellen innerhalb des staatlichen Versorgungssystems nicht länger besetzt werden können.

Interessant: Während es beispielsweise in der staatlichen britischen Primärmedizin in den vergangenen Jahren gelang, freie Arztstellen mit ausländischen Bewerbern – zum Beispiel aus den neuen osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten – zu besetzen, ist dies in der staatlichen Zahnmedizin bisher nicht gelungen. Grund dafür sind nach Meinung gesundheitspolitischer Beobachter die schlechten Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten für staatliche Zahnärzte. „Zahnärzte lieben ihren Beruf. Doch von Liebe allein kann auf die Dauer kein Zahnarzt überleben“, so der Londoner Zahnarzt Dr. Andrew Kay im Gespräch mit den zm.

Immerhin sicherte Gesundheitsminister Alan Johnson den Berufsverbänden Gesprächsbereitschaft zu. Man werde „gemeinsam nach Verbesserungsmöglichkeiten“ suchen, so Johnson in London. Doch die britische Zahnärzteschaft ist skeptisch. Zu häufig habe sich die staatliche Zahnmedizin in den vergangenen Jahren als „das Stiefkind der Gesundheitspolitiker“ erwiesen.

Arndt StrieglerGrove House32 Vauxhall GroveGB-London SW8 1SY

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