Bedeutung oraler Risikoläsionen

Die Früherkennung

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Im Teil 1 der Trilogie „Erkennung oraler Risikoläsionen in der zahnärztlichen Praxis“ [zm 1/2008] wurde das klinische Erscheinungsbild der Vorläuferläsionen des oralen Plattenepithelkarzinoms und ihre histopathologische Einteilung nach der 2005 neu erschienenen WHO-Klassifikation vorgestellt. Der vorliegende Teil 2 beschreibt nun systematisch die typische, klinische Untersuchungs-Sequenz der Mundschleimhaut und das weitere empfohlene Vorgehen nach Identifikation etwaiger Läsionen.

Anamnese

Die Vorgänge der malignen Transformation und frühen Tumorprogression vollziehen sich an der Mundschleimhaut typischerweise ohne subjektive Beschwerden. Aus diesen Gründen ist die Anamnese hinsichtlich möglicher Symptome von Frühläsionen abgesehen von der Erfassung potentieller Risikofaktoren (Rauchen, Alkoholkonsum) in der Regel unergiebig. Es zählen im Gegenteil gerade die Schmerzfreiheit und Symptomarmut einer Läsion zu den wichtigsten Hinweisen auf die neoplastische Natur einer Mundschleimhautveränderung.

Klinische Untersuchung

Der entscheidende Aspekt der Vorsorgeuntersuchung ist die Vollständigkeit der Mundschleimhaut-Inspektion. Um sämtliche Regionen sicher eingesehen zu haben, sollte die Untersuchung unabhängig von einem eventuell bekannten Befund immer nach einem einheitlichen Schema, in der gleichen Reihenfolge geschehen [Reichert et al., 1991]. Damit minimiert sich das Risiko, etwaige Mundschleimhautveränderungen zu übersehen. Die nachfolgenden Bilder zeigen eine typische Untersuchungs-Sequenz:

Intraorale Inspektion

Die Untersuchung der Mundschleimhaut sollte grundsätzlich mit zwei Mundspiegeln vorgenommen werden, um größere Areale ungestört einsehen zu können. Ein herausnehmbarer Zahnersatz ist stets vor der Inspektion zu entfernen.

Der Mund wird weit geöffnet und die Wange mit zwei Spiegeln zeltförmig aufgespannt. Die inneren Mundwinkel sollten bewusst betrachtet werden, da diese Region bei der Untersuchung häufig durch die Spiegelflächen abgedeckt bleibt und Läsionen hier leicht übersehen werden.

• Die Abbildungen sind fortlaufend zu Teil 1 nummeriert.

Der Patient wird aufgefordert, seinen Kopf dorsal zu überstrecken und "Ah" zu sagen. Mit dem Mundspiegel wird der Zungengrund behutsam nach kaudal gedrückt. Eine Akupressur in der Mitte der Mentalfalte mit dem Daumen kann helfen, einen etwaigen Würgereflex vorübergehend auszuschalten.

Intraorale Palpation

Alle verdächtigen Läsionen sollten stets mit zwei oder drei Fingern durch gegenläufige Bewegungen palpiert werden. Hierbei darf die Palpation des Zungenrückens nicht vergessen werden. Am Zungengrund können Verhärtungen mit dem Mundspiegel getastet werden. Die Weichgewebe des Mundbodens werden bimanuell, kombiniert intra- und extraoral palpiert.

Alarmsignal

Die Palpation des harten Gaumens vervollständigt die klinische Untersuchung. Störungen der Verhornung oder der Oberflächenintegrität treten bereits in frühen Stadien der malignen Transformation auf. Vorläuferläsionen sind daher in der Regel allein durch eine eingehende klinische Untersuchung zu erkennen. Allerdings korreliert die klinische Auffälligkeit einer Läsion nicht immer mit dem Schweregrad der Dysplasie. Obwohl der Wechsel hyperkeratorischer und erosiver Zonen innerhalb einer Läsion oder eine allein erosive Veränderung als klinische Alarmsymptome zu betrachten sind, bestehen doch fließende Grenzen zwischen den verschiedenen Dysplasiegraden und auch gegenüber frühinvasiven Karzinomen [Hawkins et al., 1999; Reibel, 2003] (Abbildung 25).

Tabelle 3 fasst Befunde zusammen, die den Untersucher alarmieren sollten.

Klinische Merkmale

Erosion oder Ulzeration der Schleimhaut ohne eindeutige mechanische Ursache Inhomogenität (Wechsel von hyperkeratotischen weißen und erosiven roten Bezirken) Induration der Schleimhautläsion Fehlende spontane Schmerzhaftigkeit insbesondere bei Erosion oder Ulzeration Progress der Läsion insbesondere nach Ausschalten möglicher Ursachen

Tabelle 3: Klinische Alarmsignale als Hinweis auf den neoplastischen Charakter einer Mundschleimhautläsion

Werden ein oder mehrere dieser klinischen Merkmale erkannt, besteht der Verdacht auf eine Vorläuferläsion oder ein Karzinom. Ergeben sich gemäß Tabelle 3 Hinweise auf ein Karzinom oder eine Vorläuferläsion sollte von weiteren diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen in der zahnärztlichen Praxis abgesehen werden und der Patient zu einem Facharzt oder zu einer spezialisierten Einrichtung weitergeleitet werden. Liegen keine der oben genannten Hinweise auf ein Karzinom oder eine Vorläuferläsion vor, kann, gegebenenfalls nach Beseitigung vermuteter Ursachen, zunächst für 14 Tage die spontane Rückbildung der Läsion abgewartet werden. Nachdem bei solchen Läsionen zunächst keine Skalpellbiopsie erfolgt, stellt die Bürstenbiopsie in dieser Indikation eine einfache und praktikable Ergänzung einer Beobachtungsstrategie dar, die durchaus auch bei klinisch als ungefährlich eingestuften Läsionen zu der überraschenden Diagnose eines Mundschleimhautkarzinoms führt [Kosicki et al., 2007]. Bildet sich eine Mundschleimhautläsion nach dem Ausschalten mechanisch irritativer Ursachen innerhalb von zwei Wochen nicht zurück, ist eine Biopsie und histologische Untersuchung durch den Facharzt oder die weiterbehandelnde Klinik angezeigt [Kujan et al., 2005].

Probeexzision

Da gerade zur Beurteilung dysplastischer Schleimhautläsionen die Architektur der Schleimhaut betrachtet werden muss, ist eine Quetschung des Gewebes dringend zu vermeiden. Das Exzisat sollte daher an den Rändern und möglichst mit einer chirurgischen Pinzette gefasst werden.

Überweisung an die weiterbehandelnde Klinik

Da durch jede Biopsie das klinische Erscheinungsbild einer Mundschleimhautläsion verändert wird, und insbesondere die Grenzen zwischen pathologischem Befund und gesunder Mundschleimhaut verwischt werden, sollte eine Gewebeentnahme bei klinisch karzinomverdächtigen Läsionen in der Regel erst in der weiterbehandelnden Klinik erfolgen oder eine aussagekräftige Fotodokumentation vor Biopsie durchgeführt werden.

Priv.-Doz. Dr. Dr. Oliver DriemelProf. Dr. Dr. Torsten E. ReichertKlinik und Poliklinik für Mund-,Kiefer- und GesichtschirurgieUniversität RegensburgFranz-Josef-Strauß-Alle 1193053 Regensburgoliver.driemel@klinik.uniregensburg.de Prof. Dr. Dr. Martin KunkelKlinik und Poliklinik für Mund-,Kiefer- und GesichtschirurgieJohannes Gutenberg-Universität Mainz Prof. Dr. Arne BurkhardtPathologie Praxis und InstitutReutlingen Prof. Dr. Dr. Alexander HemprichProf. Dr. Torsten RemmerbachKlinik und Poliklinik für Mund-,Kiefer- und PlastischeGesichtschirurgieUniversitätsklinikum Leipzig AöR Prof. Dr. Dr. Hans Peter HowaldtKlinik und Poliklinik für Mund-,Kiefer- und GesichtschirurgieUniverstität Gießen Prof. Dr. Hartwig KosmehlInstitut für PathologieHELIOS Klinikum Erfurt Prof. Dr. Dr. Christopher MohrUniversitätsklinik für MKG-Chirurgiean den Kliniken Essen Mitte Prof. Dr. Peter A. ReichartZentrum für ZahnmedizinAbteilung Oralchirurgie und ZahnärztlicheRöntgenologieCharité Campus Virchow-Klinikum Prof. Dr. Dr. Klaus-Dietrich WolffKlinik und Poliklinik für Mund-,Kiefer-, GesichtschirurgieTechnische Universität München

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