Pharmaindustrie und Wissenschaft

Interessenskonflikte

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Woher kommen die Informationen, die überall zu lesen sind? Wer bezahlt groß angelegte Studien? Wie verhalten sich Wissenschaftler, die „im Auftrag“ forschen? Wo bleiben ihre Ergebnisse, die nicht im Sinne des Auftraggebers sind? Der nachfolgende Beitrag ist mehr als kritisch und deckt das eine oder andere Dilemma auf, das im ärztlichen Bereich an der Tagesordnung ist, und dokumentiert, in welcher Problematik unsere Wissenschaftswelt heute steckt. Hier im Nachdruck eine (äußerst) kritische Betrachtung des dpa-Wissenschaftsdienstes. (zm)

Ein großer Teil der medizinischen Fachliteratur wird hinter den Kulissen von den pharmazeutischen Unternehmen beeinflusst und kontrolliert, schreibt Sergio Sismondo von der Queen’s University in Kingston (Kanada) in einem Essay des frei zugänglichen Journals „PLoS Medicine“. Über Kommunikationsexperten und eigens angeheuerte Autoren lanciere die Industrie Aufsätze in medizinischen Fachzeitschriften und bleibe dabei als Auftraggeber unsichtbar, ergänzt Sismondo. Dieses Vorgehen, das der Autor analog zum „Ghostwriting“ als „Ghost Management“ kritisiert, sei vermutlich viel weiter verbreitet als gemeinhin angenommen. Mit solchen Hinweisen ist der kanadische Forscher nicht allein – es gibt mehrere viele weitere Hinweise auf die Einflussnahme der Industrie.

Bezahlte Agenturen

In extremen Fällen analysierten die Firmen Daten von Studien im eigenen Haus, ließen Profis das Manuskript schreiben, fragten Akademiker, als Autoren zu fungieren und bezahlten Kommunikationsagenturen, damit sie die Resultate in den besten Journals veröffentlichten. Diese Artikel beeinflussten die medizinische Literatur und würden dazu benutzt, bei Ärzten für neue Wirkstoffe zu werben, heißt es in dem Journal.

Eines der gängigsten Verfahren sei es, angesehene Forscher in Fachaufsätzen als Autoren zu verpflichten, obwohl diese Wissenschaftler an der Untersuchung selbst gar nicht oder nur in unwesentlichem Maße Anteil gehabt hätten. Da dies gemeinhin als legitim betrachtet werde, hätten viele Forscher kein Problem mit ihrer Rolle als „Ehren- Autor“, erklärt Sismondo.

Diese Praxis berge aber Gefahren, warnt Sismondo und nennt als Beispiel einen Bericht der New York Times über eine in den „Annals of Internal Medicine“ erschienene Studie zu dem Medikament Vioxx des Unternehmens Merck. Darin seien Todesfälle unter den Probanden verschwiegen worden. Als dies bekannt wurde, habe sich der Erstautor von der Studie distanziert und berichtet, dass Merck die Untersuchung geplant, bezahlt und ausgeführt habe und erst nach ihrem Ende mit einem vorgefertigten Artikel zu ihm gekommen sei.

Doch die Einflussnahme der Industrie gehe über die Verpflichtung solcher Autoren noch hinaus: So beauftragten die meisten Pharma-Unternehmen medizinische Kommunikationsagenturen, die über ein weitverzweigtes Beziehungsgeflecht die Verbreitung gewünschter Aussagen steuerten. So seien Pfizer, Sanofi-Aventis, Wyeth, Astra Zeneca und weitere große Unternehmen Kunde der Complete Healthcare Communication (CHC), einer Agentur, die sich der Vermarktung pharmazeutischer Forschungsergebnisse verschrieben habe, schreibt Sismondo in „PLoS Medicine“.

Das intellektuelle Herz des Pharmazie-Marketings

Das scheint mit dem Blick auf die Selbstdarstellung des Unternehmens als glaubwürdig. Man habe seit mehr als 13 Jahren mit einigen der weltgrößten Pharma- und Biotechnikfirmen zusammengearbeitet, heißt es da. CHC habe alle Werkzeuge und Fähigkeiten, um „das intellektuelle Herz des Pharmazie- Marketings“, den „Publikationsplan“, zu entwickeln.

Sismondo stützt sich in seiner Argumentation auch auf eine Untersuchung der beiden Mediziner David Healy und Dinah Cattell vom North Wales Department of Psychological Medicine an der University of Wales College of Medicine in Bangor (Großbritannien). Sie hatten sich mit einem Fall von Ghost Management beim Pharmaunternehmen Pfizer beschäftigt. Ihre Studie erschien im „British Journal of Psychiatry“ (Bd. 183, S. 22).

Pfizer hatte diesen Angaben zufolge eine Kommunikationsagentur beauftragt, um sein gegen Depressionen wirkendes Medikament Sertralin zu vermarkten. Im Zuge eines Gerichtsverfahrens sei nun ein Dokument bekannt geworden, in dem diese Agentur 85 eigene wissenschaftliche Manuskripte über das Medikament auflistete.

Professionelle Ghostwriter

Zumindest ein Teil dieser Manuskripte sei von professionellen Ghostwritern verfasst worden, die meisten davon seien in renommierten Fachzeitschriften erschienen, schreibt Sismondo. Seiner eigenen Literatursuche zufolge haben die von Pfizer gesteuerten Veröffentlichungen einen Anteil von 18 bis 40 Prozent an der gesamten Literatur zu dem Medikament ausgemacht. Das sei ein beträchtlicher Einfluss auf die Fachwelt. Einer Analyse der Mediziner Healy und Cattell zufolge seien die Veröffentlichungen durchweg positiv gewesen, Nebenwirkungen zum Teil verschwiegen worden.

Zu diesem Vorwurf erklärte der Sprecher der Pfizer Pharma GmbH in Karlsruhe, Martin Fensch, dass Pfizer kein Ghost Management von Artikeln erlaube. „Wir können zwar bestätigen, dass das Unternehmen Publikationen der Ergebnisse unserer Studien finanziell unterstützt (eine Anforderung im Zusammenhang mit klinischen Studien), doch lassen wir die Beteiligung von Marketing oder Sales an den Publikationsgremien, die von medizinischen und wissenschaftlichen Mitarbeitern von Pfizer geleitet werden, nicht zu.“

Der Wirkstoff Sertralin habe in der Vergangenheit seine Wirksamkeit und seinen Nutzen für Patienten mit ernsten Erkrankungen unter Beweis gestellt. „Alle Daten aus klinischen Studien zu Sertralin sind von den entsprechenden Aufsichtsbehörden geprüft worden. Pfizer hat sehr hohe medizinische und wissenschaftliche Standards. Den Vorwurf, diese verletzt zu haben, weisen wir zurück“, erklärte Fensch zudem.

Versuch der Ärzte-Beeinflussung

Sismondo hingegen ist überzeugt, dass solche Maßnahmen gängige Praxis seien und die verschreibenden Ärzte – und damit letztlich auch die Patienten – maßgeblich beeinflussen. Um dies zu beenden, müssten die wissenschaftlichen Fachzeitschriften von den Autoren verlangen, ihren Anteil an veröffentlichten Untersuchungen deutlich zu machen. Zusammenarbeit mit Kommunikationsagenturen sollten die Fachjournale grundsätzlich meiden. Universitäten sollten Verträge mit Sponsoren verbieten, durch die diese direkten Einfluss auf Manuskripte oder die Veröffentlichung von Daten nehmen könnten. Gegen Ghostwriter sollte ebenfalls disziplinarisch vorgegangen werden.

In diesem Zusammenhang hilft ein Blick auf das International Committee of Medical Journal Editors (ICMJE). Darin haben sich die Herausgeber mehrerer hochrangiger Journale zusammengeschlossen, um gemeinsame Standards für die Publikation von Studien festzulegen. Eine ihrer Vorschriften: Als Autoren sollten jene Forscher genannt werden, die substanzielle Beiträge zu der Studie geleistet haben.

Maßgebliche Autoren der Unternehmen verschwiegen

Dieses Ansinnen findet aber nicht immer Anklang: Von Pharmafirmen finanzierte Studien werden dänischen Forschern zufolge häufig von Mitarbeitern erstellt, die in den Publikationen gar nicht erwähnt werden. Bei etwa drei Viertel der Arbeiten würden maßgeblich beteiligte Autoren der Unternehmen verschwiegen, schreibt eine Gruppe um Peter Gøtzsche vom Nordic Cochrane Centre in Kopenhagen, ebenfalls im Journal „PLoS Medicine“. Die Firmenmitarbeiter werden nach Ansicht der Gruppe wahrscheinlich verschwiegen, um die Glaubwürdigkeit der Studien zu erhöhen. Die Cochrane Collaboration ist ein internationales Netzwerk von Wissenschaftlern und Ärzten, die systematische Übersichtsarbeiten zur Bewertung von Therapien erstellen. Ihr Ziel ist es, ein objektives Bild einer Behandlung zu schaffen.

Die Gruppe um Gøtzsche hatte 44 Anträge von Pharmafirmen bei den Ethikkommissionen in Kopenhagen und Frederiksberg mit den entsprechenden Publikationen in medizinischen Fachjournalen verglichen. 43 der Studien waren von internationalen Konzernen, eine von einem regionalen Unternehmen initiiert worden.

Als „Ghostwriter“ wurden Mitarbeiter angesehen, die das Versuchsprotokoll geschrieben, die statistische Analyse vorgenommen oder das Manuskript zur Veröffentlichung geschrieben hatten, in der Publikation aber nicht namentlich erwähnt wurden. In 33 der Untersuchungen wurden solche „verschwiegenen“ Mitarbeiter identifiziert. Meist handelte es sich dabei um Statistiker. Die tatsächliche Zahl liege wahrscheinlich noch viel höher, da nur begrenzte Informationen zu den Studien vorgelegen hätten, schreiben die Wissenschaftler.

Anja Garms,Thilo ResenhoeftWissenschaftsdienst dpa

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