Wilhelm-Fabry-Museum

Schmerz lass nach

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Heftarchiv Medizin
Statt Medizingeschichte präsentiert das Wilhelm-Fabry-Museum in Hilden derzeit Kunstwerke zu einer negativen Alltagserfahrung. „Schmerz – Bilder vom Menschen“ heißt die aktuelle Themenausstellung. Bis Mitte Februar lädt sie zum Schauen, Schaudern und Mitleiden ein.

54 Injektionsspritzen hat die Künstlerin Gerta Bauer in einer weißen Holzbox installiert. Unterschiedlich weit aufgezogen ragen die Spritzen von rechts und links in die Mitte des Kastens und stecken die Silhouette einer Frau ab. Den einen Betrachter fasziniert das Muster, der nächste bekommt eine Gänsehaut.

Im Mittelpunkt der sechsten Themenausstellung in Hilden steht ein komplexes Sinnes- und Gefühlserlebnis: der Schmerz. Chronisch oder immer wiederkehrend plagt er nach Einschätzung von Fachgesellschaften rund 20 Millionen Deutsche.

Die Schau belegt, wie Künstler aus heutiger Sicht mit der Pein umgehen. In drei Räumen stellt das Wilhelm-Fabry-Museum insgesamt 63 Werke von 58 Kreativen aus ganz Deutschland aus. Dazu zählen Gemälde, Collagen, Radierungen, Fotografien, Installationen und Skulpturen.

Erst Herz, später Schmerz

Seit 1999 gehören Themenausstellungen zum Museumsprogramm. „Nach der ersten Schau dieser Art ‚Hallo mein Herz’, die ein großer Erfolg war, suchen wir immer wieder nach Themen, die die Künstler zur freien Assoziation anregen und ein breiteres Publikum ansprechen sollen“, sagt Dr. Wolfgang Antweiler, Leiter des Museums und der historischen Kornbrennerei. Aus fast 700 Arbeiten von 353 Bewerbern wählte die Jury diesmal die Exponate aus. „Aus Platzgründen konnten wir uns leider nur die Rosinen herauspicken“, betont Museumsmitarbeiterin und Kunsthistorikerin Dr. Sandra Abend. Die „Rosinen“ zeigen Schmerz sowohl in seiner körperlichen als auch in seiner psychischen Form.

Auf beide Aspekte bezieht sich Bärbel Laumanns Werk „Gravitas corporis et animi“, krankhafter Zustand von Körper und Seele. Sie hat symbolträchtige Wörter wie „Not“, „krank“, „hilflos“ und „Angst“ auf ein altes Praxishandtuch gestickt und dann auf ein Samtkissen genäht. Andere Künstler arbeiten mit den Begriffen „Schmerz“ und „aua“ oder „Heimweh und „Fernweh“.

Mit Handschrift spielt Ruth Grünbein bei ihrem Bild „Schmerzprotokoll“. „Es zeigt ein scheinbares Schriftbild, welches sich bei näherem Hinschauen als unlesbar erweist und zu einem schemenhaften, unruhigen Muster verschwimmt“, erklärt Kunsthistorikerin Abend.

Mal sanft, mal schlagend

Das Gefühl sei mit den Mitteln der Kunst nur annähernd zu fassen, heißt es im Katalog. Doch die künstlerische Auseinandersetzung mit Schmerz habe eine lange Tradition. Mal werde das Empfinden wütend, reißend, pochend oder schlagend, mal mild, sanft, flimmernd oder pulsierend ausgedrückt.

Ähnliche Schattierungen treffen im Fabry-Museum aufeinander. Vom Liebesleid erzählt leise das „Narbenherz“. Sandra Zarth hat kleine Stiche mit rotem Faden in die Tuschezeichnung einer zierlichen Frau gesetzt. Dagegen habe der Betrachter bei Marlies Blüchers Ölgemälde „Schrei Variation (schwarz)“ „imaginär das ohrenbetäubende Geräusch eines ausgestoßenen Schreies“ im Ohr, sagt Abend. Übergroß erscheint der weit geöffnete Mund der abgebildeten Person. Der Schrei ist auch hier ein Ausdruck stärkster Emotion.

Eine Reihe von Arbeiten habt einen zeitgeschichtlichen Bezug. Sie erinnern an die Opfer der Konzentrationslager im Zweiten Weltkrieg oder an Guantanamo. Das Thema Folter hat etwa Barbara Ring collagenartig in ihrem Werk „Gesichter des Schmerzes (I-VI)“ in Szene gesetzt. Themen wie Zwangsbeschneidung, Vertreibung und Katastrophen spart die Ausstellung ebenfalls nicht aus.

Maria, Samt und Zähne

„Das Sakrale kommt nicht oft vor“, sagt Abend über die Hildener Auswahl. Deutlich wird es jedoch bei Barbara Joliets „Votivgabe/Marienaltar“: In einem mit blauem Samt ausgelegten Holzkästchen hat die Künstlerin eine Marienstatue und Zähne – mit Gold und Füllungsmaterialien – angeordnet. Auf einem Schild daneben steht „Salus infirmorum“ (du Heil der Kranken) und „Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“.

Zentral sind Zähne außerdem bei Yeyun Zhangs „Ausziehen“. Ein Patient liegt auf dem Behandlungsstuhl, daneben ein Zahnarzt und eine Assistentin. Eine Reihe von Kunstwerken tragen Krankheiten als Titel. Die Skulptur „Kopfschmerz“ von Urban Stark macht die Pein im Schädel sichtbar: Ein expressiv modellierter Kopf ist in einer Klemme eingespannt. „Migräne“ heißt eine Arbeit mit Ton und Nägeln von Marlis Backhaus. „Zittrig, wacklig, zerfetzt“ charakterisiert Abend ein Exponat namens „Parkinson III“.

Mit Gicht, Diphtherie, Masern, Mumps und Windpocken finden die Besucher weitere Krankheiten als Aufschriften über die drei Räume verteilt. Im medizinischen Kontext steht zudem die fotografische Arbeit „Zeichen 14“ zu Phantomschmerzen. Valerie Wagner setzt einen Baumstumpf mit einem Armstumpf in Verbindung. Das Thema Amputation greift auch Ono Ludwig mit zwei Fotografien auf.

Linderung für Geplagte

Weh tun kann auch die Spritze zur Linderung. An diese paradoxe Erfahrung erinnern, wie Museumsmitarbeiterin Abend betont, gleich zwei Kunstwerke. Das eine zeigt Latexhandschuh und Spritze, das andere Infusionen. Gleichwohl lässt die Ausstellung nicht vergessen, welche Bedeutung die moderne Medizin und ihre betäubenden, stillenden Mittel für Geplagte haben. So manchem Quälgeist rücken die Ärzte mit Instrumenten und Medikamenten zu Leibe, wie eine Fotografie von Karl-Heinz Krauskopf verdeutlicht. Am 15. Februar kommenden Jahres hat „Schmerz – Bilder von Menschen“ ein Ende. Zum Abschied gibt es eine Finissage mit Publikumspreis. jr

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