Bayerns Hausärzte drohen mit GKV-Ausstieg

Viel Druck im Kessel

Einige Tausend bayerische Hausärzte haben in Nürnberg gegen mickrige Honorare und miese Arbeitsbedingungen protestiert. Der Frust ist groß. So groß, dass die Mediziner drohen, aus dem gesetzlichen Kassensystem auszusteigen. Ob der Weg die Zukunft ist oder Harakiri, darin gehen die Meinungen allerdings auseinander.

Insgesamt 9 000 Hausärzte gibt es in Bayern, insgesamt 6 100, also knapp 70 Prozent, sind im Bayerischen Hausärzteverband (BHÄV) organisiert. Mehr als 5 000 waren dem Aufruf des BHÄV gefolgt und brachten am 30. Januar in Nürnberg ihre Wut über das Gesundheitssystem und die aktuelle Gesundheitspolitik zum Ausdruck. Doch damit nicht genug. Den Unmutsbekundungen sollen Taten folgen: Die Mediziner planen, sich aus dem KV-System zu verabschieden.

Die wirtschaftliche Situation der meisten Hausärzte sei mittlerweile untragbar, begründete der BHÄV-Vorsitzende Dr. Wolfgang Hoppenthaller den radikalen Schritt. Von derzeit jährlich etwa 4,4 Milliarden Euro werden den Vertragsärzten etwa 500 Millionen Euro durch den geplanten Gesundheitsfonds verloren gehen.

Der Systemausstieg sei mit Worten Hoppenthallers „die einzig konsequente Antwort auf ein totalitäres System, das es den Kassen erlaubt, uns gesetzeskonform sowohl das Honorar als auch die Tätigkeitsfelder zu entziehen". Die Bundesregierung wolle den Beruf des Hausarztes abschaffen, um „klammheimlich amerikanischen Kapitalgesellschaften die Tür zu unserem Gesundheitssystem zu öffnen." Und da seien die Hausärzte Störfaktoren, folgert Hoppenthaller. „Nachdem man uns nicht exekutieren kann, hungert man uns eben aus." Wer als Hausarzt im System bleibt, müsse 2009 mit Umsatzeinbrüchen von mindestens 20 bis 30 Prozent rechnen. Stattdessen wollen die Protestler direkt mit den Kassen abrechnen. Auf diese ginge dann der Sicherstellungsauftrag über, die KVen wären außen vor. Den KVen sprach Hoppenthaller schlichtweg ab, die Interessen der Vertragsärzte zu vertreten. Sie seien nichts weiter als der verlängerte Arm des Staates.

Zulassung nicht einfach wegwerfen

Die KV Bayerns (KVB) beurteilt die Lage freilich anders: Sie verstehe die Sorgen der Ärzte um ihre Zukunft und setze sich für einen vernünftigen Weg ein, die Herausforderungen zu meistern. Doch der vom Bayerischen Hausärzteverband propagierte Weg sei der falsche. Aussteigen sei keine Lösung, wenn man Änderungen im Gesundheitssystem bewirken wolle. Geben die Ärzte ihre Kassenzulassungen zurück, gefährdeten sie nicht nur das Vertrauensverhältnis zu den Patienten, sondern auch ihre eigene Existenz. „Die Kassenzulassung zurückzugeben, das ist, als enteigneten sich die Ärzte selbst", sagte KVB-Chef Axel Munte in Nürnberg. Er warnte die Hausärzte zugleich vor Illusionen, sie könnten ohne die KVB eigene Verträge mit den Kassen abschließen. „Hier werden Hoffnungen geschürt, die nicht eintreten", ergänzte der stellvertretende KVB-Chef Rudi Bittner.

„Wir können nicht tatenlos zusehen, wie Hausärzte durch die Massenhysterie des Systemausstiegs in den Ruin getrieben werden", erklärten die KV-Vorstände in einem Rundbrief. Sie verglichen das Szenario mit einem „Existenzroulette". „Ich halte nichts davon, jetzt auf Druck des Hausärzteverbands die eigene Existenz aufs Spiel zu setzen", sagte KVB-Mitglied Gabriel Schmidt. Nicht umsonst sei vor knapp 75 Jahren die Vertragspartnerschaft von Krankenkassen und KVen eingerichtet worden, vergegenwärtigte Schmidt, der in der KVB die Hausärzte vertritt. „Dies geschah vor allem deshalb, um den Ärzten Verhandlungen auf gleicher Augenhöhe zu ermöglichen." Er ist überzeugt, dass viele Hausärzte eher gegen die Missstände im Praxisalltag protestieren wollen als wirklich auf ihre Zulassung zu verzichten.

Für den Fall, dass eine größere Zahl von Hausärzten einen Kassenausstieg plane, sei dennoch die Patientenversorgung gesichert, betonten die KVB-Vertreter. Es stünden genügend andere Haus- und Fachärzte bereit. Zudem gebe es einen perfekt organisierten Bereitschaftsdienst, um Versorgungslücken zu schließen.

Unterstützung erhält der BHÄV indes von Medi, dem Bundesverband der Ärztegenossenschaften sowie vom NAV-Virchowbund – Organisationen, die für ihre KV-kritische Haltung bekannt sind. Solidarisch erklärten sich auch die Freie Ärzteschaft, der Verband in der Praxis mitarbeitender Arztfrauen und die Patientenorganisation patient-informiert-sich.de.

Auch in Baden-Württemberg denkt man zurzeit über den Ausstieg nach. Auch dort fürchten die Mediziner Honorarverluste von 500 Millionen Euro, Medi spricht gar von 800 Millionen. Die Lage werde sich noch mehr zuspitzen, meint Munte. Der schwerste Fehler der Politik sei der geplante Gesundheitsfonds. Das KV-System stehe in Baden-Württemberg vor dem Zusammenbruch. Munte: „Das ist erst der Anfang!"

Wind des Wettbewerbs weht rauer

Was in Bayern und Baden-Württemberg passiert, verfolgt die KBV mit Interesse. Sie hatte 2006 eine Umfrage gestartet, bei der ein Drittel der Ärzte angaben, sie hätten schon einmal über einen Systemausstieg nachgedacht. Zwei Drittel erklärten allerdings, dass sie das GKV-Modell für das sicherste hielten. „Man liebt uns nicht, aber den meisten ist klar, dass man uns braucht", bilanzierte KBV-Sprecher Roland Stahl. Er räumt jedoch auch ein: „Der Wind des Wettbewerbs ist rauer geworden."

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