Vermeidung von Rollenkonflikten

Klarheit von innen nach außen

Zahnärzte unterliegen einer ganzen Reihe von Erwartungen – denen ihrer Patienten, denen ihrer Praxismitarbeiter, denen aus der Politik, letztlich auch eigenen. Wie schafft man es, angesichts dieser Rollenzuweisungen sich selbst treu zu bleiben und nicht in Rollenkonflikte zu geraten?

Die Motivation von Frau Br. Zahnmedizin zu studieren war der Wunsch, Menschen zu helfen. Und bei der Übernahme der Zahnarztpraxis eines aus Altersgründen ausgeschiedenen Kollegen hatte sie die Vorstellung eines harmonischen Miteinanders in der Praxis mit genügend Zeit für die Patienten. Der Kostendruck durch die Verschuldung zur Finanzierung der Praxisübernahme einerseits, aber auch ständig neue Regelungen seitens der Gesundheitsbürokratie andererseits führten sie allerdings immer wieder zu Entscheidungen, die ihre ursprünglichen Vorstellungen in den Hintergrund rücken ließen. Sie hatte zunehmend den Eindruck, den eigenen Idealen nicht mehr gerecht werden zu können. Auch hinsichtlich der Personalführung musste sie von einigen Vorstellungen Abschied nehmen, so zum Beispiel, dass die eigenen Angestellten immer motiviert mit ihr zusammen „an einem Strang ziehen“ würden. Fluktuation und Konflikte in ihrem Team waren zwar nicht „an der Tagesordnung“, begleiteten sie aber dennoch mehrfach durch schlaflose Nächte. Sogar eine Abmahnung musste sie in der Zwischenzeit aussprechen.

Zweifel am Beruf

Hin- und hergerissen zwischen ihren Idealen und den Notwendigkeiten der täglichen Praxisführung wird sie zunehmend zynischer und unausgeglichener. Ihre Mitarbeiterinnen erhalten widersprüchliche Anweisungen. Patienten erleben sie ungewohnt launisch. In stillen Momenten fragt sie sich, ob das mit der Praxisübernahme nicht vielleicht doch der falsche Schritt war?

Wie sieht die Ausgangslage für einen Praxisinhaber aus? Verschiedene Kräfte ziehen an ihm, oftmals in ganz unterschiedliche Richtungen, und können eine innere Zerrissenheit produzieren. Direkt mit Gründung oder Übernahme einer Praxis kommen widersprüchliche (Rollen-)Anforderungen auf den Zahnarzt zu, auf die ihn das – auf eine wissenschaftlich fundierte Zahnarzttätigkeit fokussierte – Zahnmedizin-Studium nur unzureichend vorbereitet hat. Als sein eigener Kaufmann muss der Praxisinhaber zugleich eine ökonomische Strategie entwickeln, die die Praxiseinnahmen in Übereinstimmung mit einem eventuell vorhandenen notwendigen Abbau von Verschuldung einerseits und den eigenen privaten materiellen Ansprüchen andererseits bringt.

Fragen über Fragen

Und als sein eigener Marketingstratege hat sich der Praxisinhaber zu entscheiden: Mit welchem Profil positioniert er seine Praxis, auch im Vergleich zu den anderen Praxen in seiner Umgebung? Wie macht er dieses Profil in der Öffentlichkeit bekannt? Wie bewegt er seine Patienten dazu, sich auch für notwendige, aber selbst zu finanzierende Zusatzleistungen zu entscheiden?

Als Arbeitgeber hat er sich mit allen Fragen der Personalführung auseinander zu setzen und muss für seine Praxis die passenden Antworten finden: Wie gestaltet er Arbeitszeit und Vergütung seiner Angestellten? Wie kritisiert er angemessen bei nicht erwünschtem Verhalten? Wie hält er die Kompetenzen seines Teams auf dem aktuellen Stand? Wie fördert er ein gutes Klima untereinander und zu den Patienten?

Zu diesen widersprüchlichen Erwartungen aus seinem äußeren Umfeld kommen widerstreitende Kräfte aus dem Inneren der Persönlichkeit des Praxisinhabers hinzu: persönliche Wertvorstellungen in Bezug auf Zahnarzttätigkeit oder Menschenführung, Ansprüche an die eigene Arbeit und eigene materielle Ansprüche im Privaten. Durch die ständigen Veränderungen im Gesundheitswesen wird diese Rollenkomplexität noch weiter erhöht. (Innere) Konflikte in diesem Umfeld teilweise widersprüchlicher Erwartungen sind nicht zu vermeiden.

Den eigenen Weg finden

„In einer erfolgreichen Praxis ist das Rollenverständnis geglückt“, könnte man sagen. Aber was ist ein gutes und professionelles Rollenverständnis? Zunächst bedeutet ein professionelles Rollenbewusstsein für den Zahnarzt, zu wissen, in welcher Situation er sich in welcher Rolle befindet und welches rollenspezifische Verhalten dann jeweils von ihm verlangt wird. In einem zweiten Schritt muss er für sich klären, wie sein konkretes Verhalten innerhalb der an ihn gestellten Rollenerwartungen aussieht, damit er mit sich weitgehend im Reinen bleibt. Jedem Praxisinhaber ist damit kontinuierlich die Aufgabe gestellt, immer wieder neu einen eigenen Weg durch das Geflecht der vielen Erwartungen zu finden.

Zu versuchen, allen Rollenerwartungen gleichzeitig gerecht zu werden, um Konflikte zu vermeiden, ist dabei allerdings der falsche Weg. Denn dies würde bedeuten, sich beim Versuch, es allen recht zu machen, aufzureiben, kräftemäßig auszubrennen und die eigenen Konturen zu verlieren.

Vielmehr sollte man sich bei diesem Weg davon leiten lassen, die diversen Erwartungspole auszutarieren. Da sowohl die vielfältigen Erwartungen von außen als auch die eigenen inneren Persönlichkeitsanteile ihre Berechtigung haben, geht es darum, diese vorhandenen Kräfte zumindest ein Stück weit miteinander zu versöhnen und auszubalancieren. Abstriche von Maximalpositionen sind dabei auf allen Seiten erforderlich. Wesentliche Elemente nicht miteinander zu versöhnen oder gar dauerhaft nicht zu berücksichtigen, würde jedoch eine permanente Zerreißprobe bedeuten. Mittelfristig schlägt dies sowohl auf das Privatleben und die Gesundheit des Zahnarztes als auch auf die Kommunikation zum Patienten zurück. Beides wird den Erfolg der Praxis schmälern, wenn nicht gar gefährden.

Einheit statt Zerrissenheit

Nehmen wir ein typisches Beispiel: Ursprünglich stark vom Wunsch des Helfens im Sinne des Hippokratischen Eides angetrieben, versucht der heutige Zahnarzt darüber hinaus, sich und seine Praxis (über privat bezahlte Zusatzleistungen) weiter zu optimieren. Diese Zusatzleistungen muss der Zahnarzt anbieten und bewerben beziehungsweise seine Mitarbeiterinnen dazu anhalten, dies zu tun. Gelingt es dem Zahnarzt nicht, in diesem Spannungsfeld zwischen Hippokrates und Betriebswirtschaft zu einem ausbalancierten Umgang mit dieser Situation zu gelangen, könnte es passieren, dass in seinem inneren Dialog

• der helfen wollende Mediziner den Ökonomen als „geldgeil“ und „Seelenverkäufer“ beschimpft, und

• umgekehrt der kühl rechnende Praxisinhaber den ethisch motivierten Mediziner als „altmodisch“ und „idealistisch“ verspottet, der „von den aktuellen Trends nichts verstanden hat“.

Gelingt es dem Zahnarzt nun nicht, diese beiden Stimmen miteinander zu versöhnen, wird diese innere Zerrissenheit – neben der Belastung für den Zahnarzt selber – zu widersprüchlichen Signalen sowohl in der Kommunikation zu den Mitarbeiterinnen als auch zu den Patienten führen. Denn je unklarer man mit sich selber ist, desto unklarer und widersprüchlicher wird die eigene Kommunikation sein, je nachdem welche Stimme gerade die Oberhand hat. So könnte dieser Zahnarzt versuchen, demselben Patienten in der einen Situation geschäftstüchtig und zielstrebig Produkte der eigenen Praxis anzubieten, um ihm dann in einer anderen Situation zu erläutern, welchen gesellschaftlichen Werteverfall der Kostendruck im Gesundheitswesen produzieren würde. Seine Mitarbeiterinnen wird er einerseits dazu anhalten, ökonomisch und effizient die Praxis auf Ergebnisoptimierung auszurichten, in anderen Situationen kritisiert er ihre „Kälte“ im Umgang mit den Patienten.

Austausch und Dialog

In einem zweiten Schritt ist der Austausch hierüber mit anderen Personen wichtig, um im Dialog neue Anregungen für oft bereits festgefahrene Perspektiven zu erhalten. Dies kann ein „Sparring“ mit anderen (Zahn)Ärzten oder Ärztinnen sein, da sich im aktuellen Gesundheitswesen vielen (Zahn)Ärzten strukturell sehr ähnliche Herausforderungen stellen. Dies kann in Grenzen auch der Austausch mit dem eigenen Partner oder der Partnerin sein. Oder man nutzt die Unterstützung durch einen externen Coach, der aufgrund seiner neutralen Sicht Hilfestellung bietet, die unterschiedlichen Rollenerwartungen in Einklang mit den persönlichen Präferenzen zu bringen und dadurch auszubalancieren.

Kein Patentrezept

Bei alldem gilt: Es gibt nichts umsonst im Leben und jede Entscheidung hat ihren Preis. Es gibt daher nicht die beste Entscheidung im Spannungsfeld zwischen den an den Zahnarzt gestellten Erwartungen einerseits und seiner Persönlichkeit andererseits. Sondern es gibt nur Entscheidungen, deren Preis man persönlich zu zahlen bereit ist. Diese Entscheidungen führen am ehesten zu einer erfolgreichen und beglückenden Tätigkeit als Zahnarzt, weil die gefundene innere Balance und Integration auf den Patienten ausstrahlt.

Thorsten PaustianDiplom-PsychologeBlumenstraße 5253359 Rheinbachthorsten.paustian@t-online.de

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.