Finanzierung europäischer Patientengruppen

Gelder kommen von der Industrie

pr
Zwei Drittel der Patientenorganisationen, die mit der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) in London zusammenarbeiten, erhalten einer aktuellen Untersuchung zufolge Gelder von Pharmaunternehmen. Weniger als die Hälfte der Gruppen macht zudem ausreichend transparent, von wem sie in welcher Höhe finanzielle Unterstützung bekommen. EU-Politiker fordern strengere Regeln.

Patientenverbände versuchen mehr und mehr, Einfluss auf gesundheitspolitische Entscheidungen sowohl auf nationaler als auch die europäischer Ebene zu nehmen. Mit Stellungnahmen, Pressemitteilungen und Konferenzen bringen sich die Interessenvertreter in Diskussionen über die Entwicklung von Therapien, Initiativen, Strategien und Gesetzgebungsprozesse ein.

Mitunter arbeiten Patientengruppen auch eng mit Institutionen zusammen, wie mit der für die EU-weite Arzneimittelzulassung und -überwachung zuständigen Europä- ischen Arzneimittelagentur (EMA) in London. Schwerpunkt bilden Aktivitäten in den für die Beurteilung von Humanarzneimitteln eingerichteten wissenschaftlichen Ausschüssen und Arbeitsgruppen.

Transparenzgebot

Voraussetzung für die Zusammenarbeit mit der EMA ist, dass die Patientenvertreter ihre Finanzierung offenlegen. So sehen es jedenfalls von der Agentur festgelegte Verfahrensregeln vor. Das Transparenzgebot betrifft sowohl die Nennung der Finanzierungsquellen als auch Angaben über die Höhe der gesponserten Gelder sowie deren Anteil am gesamten Finanzierungsvolumen.

Wie eine aktuelle Studie des unabhän- gigen internationalen Gesundheitsnetzwerks Health Action International (HAI) ergab, nehmen es die Organisationen hiermit allerdings nicht so genau. Weniger als die Hälfte der 23 Verbände, die regelmäßig mit der EMA zusammenarbeiten, haben demnach ausreichend dargelegt, von wem sie zwischen 2006 und 2008 Mittel in welcher Höhe erhalten haben.

Recherchen von HAI im Internet und bei den Vereinigungen ergaben indes, dass zwei Drittel der Organisationen zu mehr oder weniger großen Teilen von der Pharma- industrie unterstützt werden. Bei 15 der 23 Organisationen beteiligten sich die Arzneimittelhersteller mit zwei bis 99 Prozent an der Finanzierung. Dabei stieg der Anteil der Sponsorengelder von Jahr zu Jahr. Lagen die Zuschüsse 2006 noch bei durchschnittlich 185 500 Euro, betrugen sie 2008 bereits 321 230 Euro.

Untersuchungen anderer unabhängiger Stellen, wie vom europäischen Analyse- institut Corporate Europe Observatory (CEO) stützen die These, dass sich EU-weit tätige Patientenorganisationen größtenteils über die Industrie finanzieren und dies nicht ausreichend öffentlich machen.

So erhält die International Alliance of Patients Organizations (IAPO) 97 Prozent ihrer Mittel von Unternehmen aus der Gesundheitswirtschaft, darunter Pfizer, GlaxoSmithKline und andere große Pharmakonzerne. Das European Patients‘ Forum (EPF), dem 44 Patientenorganisationen angehören und das nach eigenen Angaben die Interessen von rund 150 Millionen Patienten in Europa vertritt, bestreitet 88 Prozent seiner Einnahmen über die Industrie. Das EPF arbeitet zudem seit rund vier Jahren eng mit der EU-Kommission zusammen.

Mittel aus dem EU-Haushalt wiederum haben in den Jahren 2008 und 2009 nur drei europaweit tätige Organisationen erhalten. Dies waren die Europäische Multiple Sklerose Plattform, Alzheimer Europe und Eurodis, eine europäische Selbsthilfeorganisation für Patienten mit seltenen Erkrankungen.

Für Betroffene sprechen

„Wir müssen in Europa noch stärker als in Deutschland darauf achten, dass Patientenselbsthilfegruppen wirklich für die Betroffenen sprechen“, kommentiert der gesundheitspolitische Sprecher der größten Frak- tion im Europäischen Parlament (EP) Dr. Peter Liese das Finanzierungsgebaren der Patientenorganisationen. „Denn“, so Liese, „wes Brot ich ess, des Lied ich sing.“ Der CDU-Politiker fordert daher eine stärkere Unterstützung von Patientenorganisationen durch öffentliche Stellen und strenge Regeln für die Finanzierung der Interessenvertretungen durch die pharmazeutische Industrie.

Dabei haben sich auf EU-Ebene tätige Interessenvertretungen Ende 2009 sogar selbst einen Kodex für den Umgang mit der Gesundheitsindustrie auferlegt. Der Kodex wird von 16 europäischen Patientengruppen unterstützt. Den Regeln zufolge verpflichten sich die Organisationen, ihre Geldquellen offenzulegen und der Öffentlichkeit jederzeit Zugang zu entsprechenden Dokumenten, wie Geschäftsberichten oder Online-Informationen, zu gewähren. Auch sollen die jeweiligen Anteile der Sponsoren am gesamten Finanzierungsaufkommen transparent gemacht werden. Um einseitige Abhängigkeiten zu vermeiden, sollen die Selbsthilfegruppen möglichst mehrere Finanzierungsquellen haben.

Patientenvertretungen müssten bei ihren Kontakten mit der Gesundheitsindustrie unabhängig und transparent auftreten, um glaubwürdig zu bleiben, so Francois Houyez, Direktor Gesundheitspolitik bei Eurodis, das den Kodex unterstützt. Eine Antwort auf die Frage, warum dies in der Praxis offensichtlich nicht funktioniert, wie die Unter- suchungen von HAI und CEO nahelegen, hat Eurodis bis heute nicht geliefert.

Auch die EMA scheint ihre eigenen, bereits im Jahr 2005 eingeführten Verfahrensregeln nicht wirklich ernst zu nehmen. Jedenfalls dürfen auch die Selbsthilfegruppen, die ihre Finanzierungsquellen nur unzureichend offengelegt hatten, weiter an Sitzungen der Agentur teilnehmen.

Petra SpielbergChristian-Gau-Straße 24, 50933 Köln

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