Differentialdiagnose der Wangenschwellung

Hämangiom im Bereich des M. masseter

214776-flexible-1900
Heftarchiv Zahnmedizin

Ein 43-jähriger Patient wurde mit der Verdachtsdiagnose eines pleomorphen Adenoms der linken Glandula (Gl.) parotis zur operativen Therapie verwiesen.

Anamnestisch berichtete der Patient bei der Erstvorstellung über eine seit drei Jahren bestehende, zuletzt druckschmerzhafte und an Größe kontinuierlich zunehmende Schwellung im Bereich der linken Wange. Zudem schien die Schwellung insbesondere am Morgen, nach körperlicher Anstrengung, nach übermäßigem Alkoholgenuss und nach Saunagängen an Volumen zuzunehmen. Auf Nachfrage berichtete er von einem Wangentrauma vor zehn Jahren, das mit einem ausgedehnten Hämatom einhergegangen war.

Bei klinischer Inspektion imponierte extraoral eine etwa 2 x 3 cm große, gut abgrenzbare, gering verschiebliche und nicht gerötete Schwellung von prallelastischer Konsistenz und mäßiger Druckdolenz im Bereich des linken M. masseter (Abbildung 1). Intraoral zeigte sich eine blande Wangenschleimhaut bei gepflegtem, konservativ versorgtem Gebiss, ohne Avitalität oder Klopfempfindlichkeit der angrenzenden Zähne (Abbildungen 2 und 3). Auf Stimulation der Gl. parotis hin entleerte sich klares Sekret aus dem Stenon’schen Gang.

Eine durchgeführte Sonographie der linken Wangenregion deutete auf eine Raumforderung im Bereich des linken M. masseter hin. In der daraufhin durchgeführten Magnetresonanztomographie zeigte sich eine etwa 3,5 x 2,5 x 3,0 cm große Kontrastmittel aufnehmende, signalintense Raumforderung im linken M. masseter, vereinbar mit einem Hämangiom (Abbildung 4).

Aufgrund der Blutungsgefahr wurde nun von einer primären operativen Exzision des Befunds abgesehen. In der stattdessen durchgeführten Angiographie konnte die ausgeprägte Vaskularisation des Tumors dargestellt werden (Abbildung 5). Die zwei hauptversorgenden Äste wurden mittels Onyx®, einem flüssigen Ethylenvinylalkoholcopolymer unmittelbar embolisiert, so dass sich die Blutversorgung als weitestgehend ausgeschaltet darstellte.

Die geplante operative Entfernung des Hämangioms am Folgetag konnte auf Wunsch des Patienten nicht durchgeführt werden. Stattdessen wurde eine angiographische Kontrolle nach zehn Wochen mit erneuter Embolisation und anschließender Tumor- Entfernung vereinbart.

Diskussion

Hämangiome umfassen eine Gruppe benigner Gefäßneoplasien, die im Gegensatz zu den vaskulären Malformationen durch eine Proliferation der Endothelzellen gekennzeichnet sind [Neville et al., 2009]. In der Regel sind Säuglinge im ersten Lebensjahr betroffen. Der Tumor imponiert dabei durch ein rasches Wachstum in den ersten Wochen mit Spontaninvolution im weiteren Verlauf. Hämangiome können am ganzen Körper vorkommen, zu etwa 60 Prozent finden sie sich im Kopf-Hals-Bereich. Weniger als ein Prozent der Hämangiome treten in der Skelettmuskulatur auf, wobei für den Kopf-Hals- Bereich der M. masseter, gefolgt vom M. trapezius die häufigste Lokalisation darstellt [Capote et al., 2008]. Die im Fall beschriebene Manifestation eines Hämangioms im M. masseter bei einem 43-jährigen Patienten ist selten, jedoch sind die Tumoren auch für Erwachsene in der Literatur beschrieben [Riedel et al., 2000; Güden et al., 2002; Mandel et al., 2004; Capote et al., 2008]. Klinisch stellt sich das intramuskuläre Hämangiom als langsam wachsender, prallelastischer Tumor mit Schmerzen bei zunehmender Ausdehnung dar. Die vom Patienten im Fallbericht beschriebene Größenzunahme am morgen ist typisch, da im Liegen der venöse Rückfluss über die V. cava superior durch die Schwerkraft gehemmt ist [Mendel et al., 2004]. Alkoholgenuss, körperliche Anstrengung oder starke Erwärmungen führen ebenfalls zu einer Gefäßerweiterung und somit zur Vergrößerung des Tumors.

Die Ätiologie der Hämangiome ist letztlich unklar. Diskutiert wird eine angeborene genetische Komponente, ebenso ein hormoneller Wachstumsstimulus, etwa durch Östrogene und Progesteron [Narayanan et al., 2009]. Wiederholt wird auch ein traumatischer Wachstumsstimulus angeführt [Odabasi et al., 1999; Mandel et al., 2004; Capote et al., 2008]. Dies könnte als Erklärung für das späte Auftreten der Neoplasie im beschriebenen Fall dienen, auch hier konnte in der Anamnese ein Wangentrauma mit nachfolgender Hämatomentstehung eruiert werden.

Hämangiome können entsprechend ihres Gefäßdurchmessers in einen kapillären, einen kavernösen und einen gemischten Subtyp unterschieden werden, wobei der kapilläre Typ häufiger in der Kopf-Hals- Region auftritt, der kavernöse Typ überwiegend im Stamm- und Extremitätenbereich lokalisiert ist.

Aufgrund der geringen Inzidenz und dem Mangel klinischer Symptome werden 90 Prozent der intramuskulären Hämangiome fehldiagnostiziert [Lee and Kwon, 2007]. So wurde auch der eigene Patient mit der Verdachtsdiagnose eines pleomorphen Adenoms der Gl. parotis überwiesen. Neben Tumoren können auch entzündliche (Sialadenitis) und nichtentzündliche (Sialolithiasis, Sialadenose) Prozesse der Ohrspeicheldrüsen als Wangenschwellung imponieren. Hier ist auf die typischen Entzündungszeichen, die Konsistenz des Speichelsekrets, den Zeitpunkt der Schwellung sowie auf bestehende Grunderkrankungen oder Mangelzustände zu achten. Der Zahnstatus ist zu überprüfen, um einen odontogenen Fokus auszuschließen. Weitere Differentialdiagnosen umfassen funktionelle Muskelveränderungen, etwa eine Masseterhypertrophie oder eine Myogelose. Ferner sollten zystische Läsionen, Lymphadenopathien, Lymphangiome oder sehr selten auch Sarkome in Erwägung gezogen werden.

Mittel der Wahl zur Diagnostik eines intramuskulären Hämangioms ist die Magnetresonanztherapie (MRT), die der Sonographie und der Computertomographie (CT) überlegen zu sein scheint. Das MRT ermöglicht eine hervorragende Abgrenzung des Tumors gegenüber dem umgebenden Muskel- und Speicheldrüsengewebe. Wie im eigenen Fall demonstriert, zeigt sich in der T2-Wichtung aufgrund des erhöhten Gehalts an stationärer Flüssigkeit in den Blutgefäßen eine markante Hyperintensität [Lee and Kwon, 2007]. Um die Gefäßversorgung des Tumors darzustellen, kann wie beim eigenen Patienten geschehen eine Angiographie durchgeführt werden. Diese bietet zudem die Möglichkeit, insbesondere bei sogenannten „high-flow“-Läsionen, die tumorversorgenden Gefäße mittels Alkoholderivaten, Gewebekleber, Metallspiralen oder auch Polymerpartikeln zu embolisieren. Die Embolisation eines Hämangioms des M. masseter birgt das Risiko schwerer neurologischer Ausfallserscheinungen wie zum Beispiel Hemiparesen, Paralysen der Hirnnerven bis hin zum Visusverlust. Ferner sind Haut und Schleimhautnekrosen beschrieben [Capote et al., 2008]. Die Gesamtkomplikationsrate variiert zwischen fünf und zehn Prozent [Huk und Becker, 2009].

Da es nach zwei bis drei Wochen zu einer Rekanalisierung der Blutgefäße und zur Bildung von Kollateralen kommt, sollte der Embolisation in der Regel nach etwa 24 bis 48 Stunden die chirurgische Exzision des Tumors folgen. Dies wäre aufgrund des bestehenden Komplikationsrisikos einer Embolisation auch beim eigenen Patienten wünschenswert gewesen. Der operative Eingriff kann dann sowohl von enoral als auch von extraoral über einen präaurikulären Zugang unter Schonung des N. facialis durchgeführt werden [Capote et al., 2008]. Lokalrezidive können auftreten und sind zumeist Folge einer inkompletten Exzision [Odabasi et al., 1999; Riedel et al., 2000].

Dr. Dr. Tobias EttlDr. Dr. Martin GosauProf. Dr. Dr. Torsten E. ReichertKlinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- undGesichtschirurgieUniversität RegensburgFranz-Josef-Strauß-Allee 1193053 RegensburgMartin.Gosau@klinik.uni-regensburg.de

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