Der besondere Fall

Symmetrische Prämolaren-Extraktion

Heftarchiv Zahnmedizin
Der damals 14-jährige Patient stellte sich erstmalig im Sommer 2008 aus eigenem Antrieb zur kieferorthopädischen Beratung und mit dem Wunsch der Korrektur der Zahnfehlstellung in der Fachpraxis vor.

In derallgemeinen Anamnesedes Patienten lagen keine Besonderheiten vor, während die familiäre Anamnese bereits Anhalt auf ähnliche Zahnfehlstellungsanomalien ergab. Nach Angaben der Mutter hatte der Patient nie gelutscht, und auch sonst lag kein Habit vor.

In der klinischen Untersuchung fand sich extraoral ein Rückgesicht mit symmetrischen Gesichtsmerkmalen in der en face Betrachtung

Intraoral ergab sich ein nahezu kariesfreies permanentes Gebiss mit Fissurenversiegelungen im Bereich der Sechs-Jahr-Molaren. Kieferorthopädisch zeigte sich ein erheblicher Platzmangel im Oberkiefer mit frontalem Engstand. Es stellte sich – nach mesialer Aufwanderung der Zähne 17 bis 14 und 24 bis 27 – ein Platzverlust für die Zähne 13 und 23 mit daraus resultierendem Hochund Außenstand dieser Zähne dar. Zudem lag ein Palatinalstand der Zähne 15, 12, 22 und 25 vor.

Im Unterkiefer dagegen fand sich ein moderater Platzmangel mit Verlängerung der Frontzahngruppe.

Die Beurteilung derBisslageergab nach Rekonstruktion eine nahezu neutrale Bisslage – klinisch stellte sich aber durch die Aufwanderung der Oberkieferseitenzähne eine Einstellung im Bereich der Sechs-Jahr-Molaren um eine Prämolarenbreite nach distal dar. Die Zähne 15, 12, 22, 25 und 26 befanden sich im Kreuzbiss.

In der manuellenFunktionsanalysezeigte sich ein reziprokes rechtsseitiges Kiefergelenksknacken ohne Schmerzsymptomatik. Bei der Lateralbewegung fanden sich Einzelzahnkontakte an Prämolaren und Molaren – ebenso Balancekontakte.

Die Beurteilung desOrthopantomogrammsergab keine Besonderheiten. Im Rahmen des Therapiekonzeptes ist nur zu vermerken, dass zu einem späteren Zeitpunkt eine Entfernung der Weisheitszähne sinnvoll erscheint und auch angewiesen wurde beziehungsweise wird.

Die Auswertung desFernröntgenseitenbildesbestätigte die Rücklage der Kiefer im Schädel, aber eine nahezu neutrale Positionierung der Kiefer zueinander. Der Interinzisalwinkel betrug 129°, während der Nasolabialwinkel einen relativ großen Wert von 123° ergab.

Therapiekonzept

Aufgrund des Schwierigkeitsgrades wurde eine Behandlung über einen Zeitraum von drei Jahren geplant. Zunächst wurde eine festsitzende konventionelle Multibracketapparatur im Ober- und Unterkiefer eingegliedert. Unmittelbar danach wurden die Zähne 14 und 24 zur Extraktion angewiesen. Mittels open coil und Achter-Ligatur wurde dann eine Distalisierung der Oberkiefereckzähne angestrebt.

Nachdem auch die seitlichen Schneidezähne über einen Umgehungsbogen in den Zahnbogen eingeordnet werden konnten, bekam der Patient die Aufgabe, kurze Klasse II-Gummizüge über die Oberkiefereckzähne einzuhängen. Um den seitlichen Kreuzbiss zu überstellen, musste der Patient zusätzlich CrissCross-Gummizüge tragen.

Nach einem dreiviertel Jahr resultierte eine neutrale Verzahnung im Eckzahnbereich und weiterhin eine distale Verzahnung im Molarenbereich um eine Prämolarenbreite. Der Platzmangel im Oberkiefer konnte aufgelöst und die Kreuzbisse beseitigt werden. Die festsitzende Apparatur wurde nach einer Behandlungsdauer von etwas mehr als 22 Monaten entfernt. Mittels Positioner findet nun eine Feineinstellung und im Anschluss daran die Retention statt.

Funktionsanalytisch konnte keine Verschlechterung des Anfangsbefundes festgestellt werden.

Der Interinzisalwinkel und der Nasolabialwinkel betrugen nach Entfernung der festsitzenden Apparatur 127° und 123°. Somit betrugen die Abweichungen lediglich 1,55 Prozent beziehungsweise null Prozent .

Diskussion

Die isolierte Extraktion von Prämolaren in nur einem Kiefer ist kontrovers zu betrachten. Zum einem bietet sie eine gute Möglichkeit, wenn im Gegenkiefer nahezu keine Engstände vorliegen und der puberale Wachstumsschub überschritten ist, um frontale Engstände aufzulösen oder auch sagittale Frontzahnstufen zu kompensieren [3].

Zum anderen bleibt aber als Extraktionsfolge oft die Gefahr eines dish face, da der Nasolabialwinkel durch anhaltendes Wachstum der Nase und unter Umständen therapeutische Retraktion der Oberkieferfrontzähne im Rahmen des Lückenschlusses einen zu großen Wert erhalten kann [2]. Der Normwert wird hier in der Analyse von Hasund und Segner mit 109.8° angegeben, während Burston und Legan in ihrer Analyse für die orthognathe Chirurgie einen Wert von 102° ± 8° vorgeben [6].

Um diese Gefahr zu minimieren, wurde im vorliegenden Fall eine Positionsveränderung der Oberkieferfrontzähne vermieden, so dass es zu keiner Verstärkung des konkaven Gesichtsprofils und des von Beginn an schon großen Nasolabialwinkels kommen konnte.

Zur Distalisierung kamen hier sowohl inter- als auch intramaxilläre Mechaniken zur Anwendung.

Intermaxillär wurde sowohl über die Achter-Ligatur als auch über „open coil“ agiert.

Es erfolgte allein eine Distalisierung der Eckzähne. Die Frontzahngruppe als Verankerungseinheit und auch die Sechs-Jahr-Molaren erfuhren lediglich einen geringen Verankerungsverlust im Sinne einer Protrusion beziehungsweise Mesialisierung. Die gewählte Verankerungsart muss als Kombination zwischen einer maximalen und moderaten Verankerung betrachtet werden [1, 3, 4]. Ein gewisser Verankerungsverlust war und ist zu verzeichnen. Daher kann es sich nicht um eine maximale Verankerung handeln. Jedoch hat die Verankerung auch keinen moderaten Charakter, da der Lückenschluss ebenfalls nicht im Sinne eines reziproken Lückenschlusses, in dem anteriores und posteriores Segment gleich große entgegengesetzte Bewegungen vollziehen, erfolgte [4].

Die Gummizüge, die der Patient nach erfolgter Einordnung der seitlichen Schneidezähne im Oberkiefer im Rahmen einer Klasse-II-Mechanik verwenden sollte, sind als intermaxilläre Verankerungsmaßnahme zu betrachten. Hierbei wird die Verankerungseinheit im Gegenkiefer gesucht.

Es handelt sich um eine moderate Verankerung, bei der ein wesentliches Augenmerk auf die vertikale Kontrolle der beanspruchten Zähne gelegt werden muss, da eine unerwünschte Extrusion oder Kippung der Molaren oder gar der Frontzähne vermieden werden sollte [1, 3, 4].

Dr. Sabine WeimarDr. Mathias HöschelBerliner Allee 6140212 Düsseldorfs.weimar@dr-hoeschel.de

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