Differentialdiagnose einer unilateralen Halsschwellung

Submandibuläre arteriovenöse Gefäßmalformation

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Heftarchiv Zahnmedizin

Ein junger Mann stellte sich aufgrund einer akut aufgetretenen, schmerzlosen Schwellung im Bereich der linken Halsregion am Übergang zum Unterkiefer vor. Er gab an, dass diese Schwellung erst seit einem Tag bestehe und plötzlich neu aufgetreten sei. Ein Trauma wurde verneint, die allgemeine Anamnese war unauffällig. Dyspnoe oder Schluckbeschwerden bestanden nicht und es lag keine erhöhte Körpertemperatur vor. Ein Zusammenhang zur Nahrungsaufnahme im Sinne einer Okklusionssymptomatik war nicht erkennbar.

Bei der Erstuntersuchung war der 26 Jahre alte Patient in einem guten Allgemein- und Ernährungszustand. Palpatorisch imponierte eine faustgroße Schwellung von weicher Konsistenz, die sich von der linken Kieferwinkelregion bis nach caudal bis auf Höhe des Hyoids erstreckte (Abbildung 1). Bei tiefer Impresssion wurde eine diskrete Druckdolenz angegeben. Das Hautareal über der Schwellung war in Farbe und Textur ohne pathologischen Befund. Die Funktion der mimischen Muskulatur war ebenfalls ungestört. Laborchemisch fanden sich keine erhöhten Entzündungsparameter.

Intraoral gab es keinen Anhalt für einen dentogenen entzündlichen Fokus. Sonographisch zeigte sich eine gut 2,5 cm x 3,5 cm x 1,5 cm durchmessende polyzystische Raumforderung mit deutlichem flow-Signal, die der linken Glandula submandibularis caudal anlag und teilweise keine eindeutige Abgrenzung zur Drüse aufwies (Abbildung 2). Die Computertomographie mit Kontrastmittel zeigte die gesamte Ausdehnung der scharf abgrenzbaren Raumforderung in der Submandibularloge mit verdrängendem Charakter und ohne Anhalt für eine Infiltration in umliegende Nachbarstrukturen.

Es erfolgte die operative Entfernung des Befunds über einen submandibulären Zugang unter Intubationsnarkose. Intraoperativ zeigte sich ein unmittelbar der Glandula submandibularis angelagerter, stark vaskularisierter Tumor mit teils perfundierten, teils thrombosierten Gefäßanteilen. Die histopathologische Aufbereitung bestätigte die intraoperative Verdachtsdiagnose einer arteriovenösen Malformation.

Diskussion

Akute submandibuläre Schwellungen sind in der weitaus überwiegenden Zahl Ausdruck einer odontogenen Infektion, einer Lymphadenitis oder aber durch eine Okklusion und Infektion der Glandula submandibularis bedingt. Durch die inflammatorische Genese dieser Schwellungen ist das führende Symptom der Schmerz, der in der Regel zur zahnärztlichen oder ärztlichen Konsultation führt. Chronische, langsam progrediente und vor allem derbe schmerzlose Raumforderungen sind hingegen häufig neoplastischer Natur.

Eine (nahezu) schmerzfreie, innerhalb von wenigen Stunden entstandene Schwellung ist demgegenüber eine seltene Konstellation, die nahezu pathognomonisch für verschiedene Varianten von Gefäß-Malformationen ist. Bei arteriovenösen oder venösen Malformationen können solche akuten Schwellungen durch lokale Einblutungen, beispielsweise durch ein banales Trauma, entstehen oder aber die Begleitreaktion einer lokalen Thrombose darstellen. Lymphatische Malformationen können analog einer unspezifischen Lymphadenitis bei regionären Infektionen sehr schnell eine massive Begleitschwellung entwickeln. In all diesen Fällen imponiert für den Patienten ohne erkennbare Prodromi eine plötzliche Schwellung, die in kürzester Zeit massive Ausmaße annehmen kann. Durch die Ansammlung ektatischer, flüssigkeitsgefüllter Hohlräume entsteht ein weicher, mitunter fluktuierender Eindruck bei der Palpation.

Richtungsweisend ist neben der klinischen Untersuchung die Sonographie, die zum einen die Morphologie der schwammartigen Gefäßlumina abbildet, zum anderen aber auch im Doppler-Modus die Durchfluss-Intensität erfassen lässt. Abhängig vom vaskulären Versorgungstyp, von der Dimension der Gefäßlumina und von der Durchflussgeschwindigkeit können vaskuläre Malformationen entweder – wie hier – allein operativ versorgt werden oder eine präoperative Embolisation zuführender kaliberstarker Gefäße erfordern. Kapilläre Läsionen sind eine Domäne der Lasertherapie oder auch der intravaskulären Sklerosierungsbehandlung.

Für die zahnärztliche Praxis soll der Fall auf die seltene Variante der akuten schmerzlosen Schwellung im Kiefer-Gesichts-Bereich hinweisen. Für die diagnostische Einordnung ist hier vor allem die Dynamik des Verlaufs entscheidend. Während perakute, innerhalb von Stunden entstandene, schmerzlose, weiche Schwellungen typisch für die hier besprochenen vaskulären Läsionen sind, muss bei über Tage oder wenige Wochen stark expansiven und insbesondere derben Raumforderungen vor allem an schnell wachsende solide Neoplasien oder auch maligne Systemerkrankungen gedacht werden. In allen Fällen ist die histologische Diagnosesicherung obligat.

Dr. Tarik MizzianiProf. Dr. Dr. Martin KunkelKlinik für Mund-, Kiefer- undplastische GesichtschirurgieRuhr-Universität BochumKnappschaftskrankenhausBochum-LangendreerIn der Schornau 23-2544892 Bochumtarik.mizziani@ruhr-uni-bochum.demartin.kunkel@ruhr-uni-bochum.de

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