Der besondere Fall

Submuköse Velumspalte als Zeichen einer Mikroform der Spaltbildung

233207-flexible-1900
Heftarchiv Zahnmedizin
Fehlbildungen im Lippen-Kiefer-Gaumenbereich kommen in verschiedenen Formen und in unterschiedlicher Ausprägung vor. Doch sie begegnen dem Zahnarzt in freier Praxis eher selten, so dass die Diagnose nicht immer frühzeitig gestellt wird. Da eine Fehlbildung sowohl therapiewürdig als auch mit dem Risiko einer Weitervererbung verbunden sein kann, sollten die Symptome und die Möglichkeiten der Behandlung bekannt sein. Nachfolgend wird eine dieser Fehlbildungen exemplarisch dargestellt.

Ein 14-jähriger Junge wurde uns von seinem Hausarzt zur Beratung zugewiesen, da bei ihm trotz einer längeren logopädischen Behandlung noch immer eine deutliche Hyperrhinophonie vorlag. Die Sprache war im Vorschulalter und in den ersten Schuljahren zunächst unauffällig und durch Lehrer oder Eltern nie bemängelt worden. In letzter Zeit jedoch sei es zu einer zunehmenden Verschlechterung gekommen, die nun deutlich hörbar sei.

Bei der klinischen Untersuchung zeigten sich intraoral ein spätes Wechselgebiss sowie eine ausgebildete Uvula bifida (Abbildung 1). Zusätzlich fiel bei genauer Inspektion des Hart- und Weichgaumens eine bläuliche, längliche Veränderung in der sagittalen Mittellinie auf (Abbildung 1). Der Tastbefund zeigte ein weichgewebiges Defizit in dieser Region. Bei der phonetischen Analyse ließ sich die Hyperrhinophonie bestätigen, so dass die Indikation einer phonationsverbessernden Operation bestand. Aufgrund der Zusammenschau der klinischen Befunde wurde die Diagnose einer submukösen Velumspalte gestellt, die durch die Verkleinerung der Tonsillen nun zu einer velopharyngealen Insuffizienz geführt hatte. In Absprache mit den Eltern wurde zunächst die Durchführung einer intravelaren Velumplastik mit Rekonstruktion der velaren Muskelschlinge aus M. tensor und levator veli palatini geplant. In einer Intubationsnarkose wurden diese Muskeln nach entsprechender Aufpräparation der Velumspalte auf beiden Seiten dargestellt und von der Mundschleimhaut gelöst (Abbildung 2). Anschließend erfolgten die Wiedervereinigung der sogenannten „Spaltmuskeln“ und der Verschluss der Mundschleimhaut in speicheldichter Form (Abbildung 3). Postoperativ zeigte sich eine verbesserte Sprache, so dass die Eltern keine weitere operative Maßnahme mehr wünschten und der Patient befindet sich in regelmäßigen Abständen in der Sprechstunde zur Nachsorge. Die Fortführung der Logopädie ist für die nächsten Monaten geplant.

Diskussion

Lippen-Kiefer-Gaumenspalten sind eine der häufigsten embryonalen Fehlbildungen und treten in Deutschland und weiten Teilen von Europa mit einer Frequenz von 1:500 auf. Diese Häufigkeit hat aufgrund der verringerten Säuglingssterblichkeit in den letzten Jahren stetig zugenommen [Neumann, 1989] und durch verbesserte diagnostische und neonatologische Testverfahren in der Geburtsheilkunde stetig zugenommen [Demircioglu et al., 2008]. Darüber hinaus hat aber auch die Zahl der Geburten bei Eltern mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte zugenommen, da Spaltträger heute aufgrund moderner interdisziplinärer Rehabilitationsmaßnahmen mit intensiver Betreuung gesellschaftlich vollständig integriert sind. Auch darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass Mikroformen von Spaltformen besser diagnostiziert werden als noch vor einigen Jahren, was ebenfalls zu einer erhöhten Gesamtinzidenz dieses Krankheitsbildes führt. Diese Spaltformen sind ebenfalls als Variante der Lippen-Kiefer-Gaumenspalten zu betrachten.Ihrer Diagnostik und – sofern notwendig – auch ihrer Therapie sollte darum ebenso besondere Bedeutung beigemessen werden. Unterschieden werden Mikroformen nach dem Auftreten ihrer Lokalisation, entweder im Lippenkomplex (einschließlich Nase) oder im Gaumenbereich [Kim et al., 2009; Lehman et al., 1976].

Allgemeine Hinweise auf das Vorliegen einer Mikrospalte der Lippe können ein quergestelltes Nasenloch, eine tiefer liegende Apertura piriformis, eine okkulte Kieferspalte, eine Verschmelzung oder Doppelanlage des seitlichen Schneidezahns (Abbildung 4), eine Einziehung des Lippenrotes (Lippenkniff) (Abbildung 5) oder eine Lippenkerbe sein (Abbildung 6) [Kim et al., 2009; Lehman et al., 1976; Mulliken, 2005].

Die subkutane Lippenspalte ist charakterisiert durch eine intakte Hautoberfläche, jedoch mit dünnerem Integument. Die bestehende Muskellücke des M. orbicularis oris unterhalb der Haut kann durch die Oberfläche hindurch tastbar sein. Bei starker Muskellücke kann eine operative Therapie im Sinne einer Rekonstruktion des Muskeldefizits indiziert sein. Eine weitere Mikroform der Lippenspalte stellt die Lippenkerbe dar, die sehr selten ist und sich als narbige Veränderung im Bereich des Lippenrotbereichs ohne Beeinträchtigung des Amorbogens zeigt (Abbildung 6). Sie tritt lateral der Mittellinie auf und kann zusätzlich durch eine Verkürzung des Philtrums auffallen [Kim et al., 2009].

Die isolierte Kieferrandkerbe ist ebenfalls sehr selten und zeigt sich häufig in der Einziehung des Oberkieferkamms zwischen dem zweiten Schneide- und dem Eckzahn [Ranta et al., 1988; Ranta et al., 1989]. Sie kann verschiedene Ausprägungen haben und beeinträchtigt die Patienten in aller Regel nicht. Durch den fehlenden Kieferknochen im Spaltbereich kann es zu Durchbruchstörungen des zweiten Incisivus kommen. Ebenso treten Malformation oder Dysplasien (Zapfenzahn, Doppeltanlagen hypoplastischer Zähne, einzelner hypoplastischer Zahn, komplette Aplasie) desselben auf [Ranta et al., 1988; Ranta et al., 1989]. Diese entwicklungsbedingten Störungen des seitlichen Incisivus und auch eine Fehlstellung des Zahnes können auf eine Mikroform der Spaltbildung hinweisen (Abbildung 4).

Die asymmetrische Verziehung des Nasenflügels nach lateral kann ebenfalls als Mikrospaltform betrachtet werden [Onizuka et al., 1991]. Durch fehlende Anteile beziehungsweise unterentwickelte Partien im Bereich der Maxilla, die den knöchernen Anteil des Nasenbodens bilden, kann es zu einer Verziehung im Bereich der Nasenöffnung nach lateral kommen. Der somit unzureichend ausgeformte Nasenflügel bewirkt häufig eine Abflachung und damit eine Asymmetrie der Nase [Onizuka et al., 1991]. Eine wichtige Abgrenzung dieser Form stellt jedoch die nur schwierig zu differenzierende Form einer individuell vorhandenen Asymmetrie der Nase sowie konsekutiv des Naseneingangs dar [Farkas et al., 1979].

Darüber hinaus gibt es isolierte Spalten des weichen Gaumens und der Uvula, die ebenfalls als Mikroformen zu betrachten sind (Abbildung 7). Während die vollständigen Spalten am Hinterrand des harten Gaumens beginnen und die Uvula mit einbeziehen, durchsetzen unvollständige Spalten nur einen Teil des weichen Gaumens und/oder die Uvula.

Die okkulte Gaumenspalte, die meist nur aufgrund einer verstärkten Nasalität der Sprache (Rhinolalia aperta) diagnostiziert wird, findet sich im Bereich des weichen Gaumens.

Die Uvula bifida ist eine Längsspaltung des Zäpfchens. Diese Spaltung kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Sie geht von einer leichten Einkerbung der Spitze bis hin zur kompletten Spaltung des Zäpfchens (Abbildung 7) [Shapiro et al., 1971]. Einige Autoren diskutieren jedoch, ob es sich bei dieser Form um eine Mikroform einer Gaumenspalte handelt und diese auch als solche angesehen werden soll, da sie bei Neugeborenen etwa zehnmal so häufig auftritt wie bei Erwachsenen [Cohen et al., 1993; Shprintzen et al., 1985]. Daher wurde ein selbstständiger Verschluss durch eine bisher nicht vollständig abgeschlossene Entwicklung im Bereich der Uvula diskutiert. Es bleibt jedoch festzustellen, dass eine Uvula bifida sehr häufig mit einer submukösen Velumspalte vergesellschaftet ist [Shprintzen et al., 1985].

Bei der submukösen Velumspalte ist nur die Gaumenmuskulatur von der Spaltbildung betroffen, während die nasalen und oralen Schleimhäute intakt sind [Lewin, 1984; Garcia Velasco et al., 1988]. Die Symptomentrias besteht aus Uvula bifida, einer V-förmigen Kerbe am Hinterrand des harten Gaumens und einem mittelständigen muskulären Defekt (levator veli palatini, tensor veli palatini) des weichen Gaumens. Sie kann vielfach mit weiteren Fehlbildungen assoziiert sein [Shprintzen et al., 1985]. Diese bestehen in einer fakultativen maxillären Hypoplasie, in einem modifizierten Lippenrot- oder -weiß-Verlauf, in Anomalien des äußeren Ohres und in einer Hypodontie (insbesondere des Lateralen) [Garcia Velasco et al., 1988].

Allgemein geht man bei den Spaltbildungen von einer multifaktoriellen Entstehung mit der Einwirkung von einerseits verschiedenen exogenen Faktoren aus, die die Embryonalentwicklung stören. Andererseits ist von einer endogen polygenetischen Vererbung in circa 15 bis 30 Prozent auszugehen, da, wenn ein oder beide Familienmitglieder Spaltträger sind, das Risiko für ein Auftreten bei den Nachkommen signifikant erhöht ist (Abbildung 6). Bei Familien, die mit einem erhöhten erblichen Fehlbildungsrisiko belastet sind, sind prophylaktische Maßnahmen sinnvoll. Das betrifft den Schutz der Mutter vor schädlichen peristatischen Einflüssen, um die Schwelle zur Merkmalsauslösung nicht exogen herabzusetzen. Davon muss die medikamentöse Prophylaxe unterschieden werden.

Als gesichert gelten die protektiven Wirkungen von Vitamin B1, B2 und B6 sowie Folsäure [Grimm et al., 1979], da der Bedarf daran in der Schwangerschaft in der Regel nicht sicher gedeckt ist. Die Substitution erscheint deshalb bei Risikoschwangerschaften erfolgversprechend [Grimm et al., 1979].

Diese beschriebenen Mikrospaltformen müssen je nach Ausprägung und Beeiträchtigung zwar nur selten operativ behandelt werden, sollten aber auf jeden Fall aufgrund der Vererblichkeit wahrgenommen werden. Eine Zuleitung in ein entsprechendes Spaltzentrum für die Abklärung einer operativen oder konservativen Intervention sowie Informationsvermittlung über das erhöhte Risiko einer Spaltvererbung wird in jedem Fall für notwendig erachtet.

Tipp für die Praxis

• Mikroformen der Lippen-Kiefer-Gaumenspalten sind neben den Makroformen (subtotale und totale LKG-Spalten) eine unbedingt wahrzunehmende Form der Fehlbildung, da sie sowohl therapiewürdig als auch mit dem Risiko einer Weitervererbung verbunden sein können. Die Eltern sollten daher über das erhöhte Risiko und über mögliche prophylaktische Maßnahmen aufgeklärt werden, wenn weitere Kinder gewünscht sind.

• Als Hinweise auf eine Mikrospaltform sind eine Auffälligkeit an der Lippenrotweißgrenze, eine verkürzte Philtrumkante, eine Nasenasymmetrie, eine Fehlstellung oder Dysplasie des 2. Schneidezahns, eine Uvula bifida, häufige Tubenbelüftungsstörungen mit Otitiden in der Kindheit und eine näselnde Sprache zu werten.

• In mehr als der Häfte der Fälle einer submukösen Gaumenspalte liegt eine velopharyngeale Insuffizienz mit nasaler Sprache vor, die durch eine sprachverbesssernde Operation therapiert werden kann.

Dr. Thomas MückeDr. Dr. Denys J. LoeffelbeinProf. Dr. Dr. Klaus-Dietrich WolffKlinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieKlinikum Rechts der Isar der Technischen Universität MünchenIsmaninger Str. 2281675 Münchenth.mucke@gmx.de

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