Gastkommentar

Mehr als nur eine Kraftprobe

Die mit dem Referentenentwurf des Finanzierungsgesetzes (GKV-FinG) gefallene Entscheidung zur Mittelbegrenzung für die Hausarztzentrierte Versorgung ist mehr als nur ein zugunsten der KBV ausgefallener Machtkampf, meint der gesundheitspolitische Fachjournalist Dr. Andreas Lehr.

Mit dem Referentenentwurf des Finanzierungsgesetzes (GKV-FinG) steht fest: Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) will die im Koalitionsvertrag vereinbarte Prolongierung des Paragrafen 73b SGB V um drei Jahre jetzt durch eine Begrenzung der Mittel für die Hausarztzentrierte Versorgung (HZV) in Selektivverträgen auf die Ausgaben des Regelleistungsvolumens aushebeln. Vordergründig, so könnte man argumentieren, ist diese Begrenzung nicht mehr als richtig. Warum Hausärzte bevorzugen, die in einen HZV-Vertrag des Hausärzteverbands eingeschrieben sind? Warum will man zusätzliche Leistungen, zum Beispiel mit Steuerungswirkung und Qualitätsaspekten, nicht zusätzlich vereinbaren und vergüten?

Man könnte schlicht konstatieren, dass der Machtkampf zwischen KBV und Hausärzteverband politisch zugunsten der KBV entschieden ist, die KBV keinen weiteren Abfluss der Mittel durch die Bereinigung in Milliardenhöhe erleiden muss. Geld regiert die Welt, letztlich geht es doch nur um Geld und Macht, auch bei der hausarztzentrierten Versorgung. Die KBV hat sich durch geschicktes Lobbying und die politische Nähe zum FDP-geführten BMG und zu etlichen Unionsabgeordneten durchgesetzt. Das alles ist richtig, aber nur eine vordergründige Betrachtungsweise, denn die Folgen dieser Entscheidung sind weitreichend. Der Paragraf 73b implizierte auch eine Entscheidung für eine flächendeckende Hausarztzentrierte Versorgung. Angesichts immer mehr alter, multimorbider, zu versorgender Menschen ist eine Zukunftsoption die Hausarztzentrierte Versorgung mit Anbindung Fachärzte nach Paragraf 73c, der Pflege und des stationären Sektors. In diesem Modell steuern Krankenkassen gemeinsam mit Hausärzten, sie haben zum ersten Mal die reale Möglichkeit, Versorgung zu steuern, auch direkten wirtschaftlichen Einfluss zu nehmen, auch auf die Arzneimittelversorgung.

Dies kann eine machtbewusste KBV nicht wollen. Ihr Modell, auch für unterversorgte Gebiete, ist naturgemäß ein anderes. Sie präferiert Ärztezentren in Trägerschaft von Patiomed, Ärztezentren in unterversorgten Gebieten mit wechselnder Besetzung und anderes mehr. In diesem Versorgungsmodell spielt der Hausarzt eine untergeordnete Rolle, es ist facharztdominiert. Auch eine Steuerung durch die Krankenkassen ist nicht vorgesehen, sie ist kein integraler Teil dieses Versorgungsmodells. Es geht demnach nicht nur um eine Auseinandersetzung um Geld, um einen Machtkampf zwischen KBV und Hausärzteverband, sondern auch um die Entscheidung zwischen zwei Versorgungsmodellen. Die Entscheidung für das KBV-Modell, zusammengedacht mit anderen gesundheitspolitischen Entscheidungen und Entwicklungen, hat erhebliche finanzielle, sozialpolitische und gesamtgesellschaftliche Auswirkungen.

Öffnet man gleichzeitig den Finanzdeckel, der durch Beitragsstabilität, durch Eigeninteressen der Arbeitgeber auf der ambulanten Versorgung lange Jahre geschlossen war, durch die Weitung der Prämie, können Honorare, Mengen, Preise der Industrie und anderes ungebremst steigen. Dies mag Ärzten und Industrie als Vorteil erscheinen. Die Gewinne der Leistungsanbieter und der Industrie werden zunächst einmal steigen. Aber zum Beispiel der soziale Ausgleich wird aus der Liquiditätsreserve bis 2014 finanziert, Steuergelder stehen nicht zur Verfügung. Das wird sich auch in Zukunft kaum ändern. Es könnte eine soziale Schieflage entstehen, die auf Dauer zum gegenteiligen Effekt für Leistungsanbieter und Industrie führt: geringere Gewinne und eine sozial bedingte Instabilität, die vielfältige weitere negative Folgen hat.

Die Entscheidung für eines der Versorgungsmodelle, vor allem gegen die Steuerungsmöglichkeiten durch die Krankenkassen, ist Teil einer Gesamtstrategie, die im Interesse vieler zu liegen scheint – wahrscheinlich währt das Glück darüber aber nur kurz.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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