Der besondere Fall

Seltene Erkrankung des Kiefergelenks

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Heftarchiv Zahnmedizin
Eine präaurikuläre Schwellung, ausgelöst durch ein Osteom des Kiefergelenks mit hämangiomatöser Proliferation, zeigte sich als besonders seltene Erkrankung des Gelenks und soll hier auch dem niedergelassenen Kollegen als diagnostische Besonderheit vermittelt werden.

Ein 44 Jahre alter Mann klagte seit mehreren Monaten über eine progrediente präaurikuläre Schwellung rechts. Hinzu kam im Verlauf von mehreren Wochen eine sich stetig verstärkende Okklusionsstörung mit einem daraus resultierenden seitlich offenen Biss rechts von zwei Millimetern.

Eine alio loco durchgeführte sukzessive Einschleiftherapie zur Einstellung einer stabilen Okklusion und eine sich daran anschließende Schienentherapie blieben erfolglos.

Bei der klinischen Untersuchung zeigte sich eine massive Mittellinienverschiebung des Unterkiefers von 8 Millimetern nach links, die Laterotrusion des Unterkiefers nach rechts war nur sehr stark eingeschränkt möglich. Die maximale Schneidekantendistanz betrug etwa 25 Millimeter, Protrusionsbewegungen waren vom Patienten nicht ausführbar.

Die Funktionen des Nervus facialis in all seinen Ästen waren ungestört, ebenso waren keine neurologischen Ausfälle im Bereich des Nervus trigeminus feststellbar.

Sowohl das Orthopantomogramm als auch die computertomographischen Aufnahmen zeigten im Bereich des rechten Caput mandibulae eine exostosenartige Struktur, die sich von der normalen Knochenstruktur durch erhöhten Knochengehalt und verminderten Spongiosaraum unterscheidet (Abbildungen 1 bis 3). Sie ist bizarr konfiguriert und hat einen Durchmesser von etwa 15 Millimeter.

Bei der Resektion des tumorösen Kiefergelenkköpfchens über einen präaurikulären Zugangsweg kam es retromandibulär zu massiven Blutungen, ohne dass hierfür ein speziell blutendes Gefäß identifiziert werden konnte. Die Rekonstruktion des Kiefergelenkköpfchens erfolgte mithilfe eines kombinierten Rippenknorpel-Knochentransplantats, das unter Zuhilfenahme einer Drahtnaht stabilisiert wurde (Abbildung 4). In der histologischen Untersuchung (Dr. Born, Heidelberg) zeigte sich eine hochdifferenzierte knochenbildende Läsion mit lamellär konfigurierten, dicht sklerosierten trabekulären Anteilen und eingeengten Markräumen. Zusätzlich wurde in den resezierten umgebenden Weichteilen eine hämangiomartige Proliferation von blutführenden Gefäßen vorgefunden, die für die zunächst unklaren, starken intraoperativen Blutungen ursächlich waren.

Diese Befunde ergaben die Diagnose eines Osteoms (Osteoma eburneum) mit umgebenden hämangiomartigen blutführenden Gefäßen des Kiefergelenkköpfchens.

Diskussion

Osteome sind kompakte oder spongiöse, gutartige primäre Neubildungen des reifen Knochengewebes. Sie kommen in jedem Lebensalter vor, wobei zumeist Jugendliche und junge Erwachsene betroffen sind und das männliche Geschlecht bevorzugt wird.

Es handelt sich meist um einen Zufallsbefund, wobei Osteome fast ausschließlich im Bereich der desmalen Schädelknochen auftreten (Nasennebenhöhlen). Rezidive oder maligne Transformationen kommen äußerst selten vor [Warner et al., 2000; Kondoh et al., 1998].

Das Vorkommen von Osteomen zentral im Kieferknochen ist selten und tritt erst dann in Erscheinung, wenn Knochenauftreibungen (Exostosen) und Verdrängungserscheinungen im Bereich der Zähne oder auch am Gelenkkopf in Verbindung mit dem Röntgenbefund eindeutige Hinweise liefern [Tochihara et al., 2001]. Im Röntgenbild stellt sich das Osteom als rundlicher, schattendichter Herd mit scharfer Begrenzung dar [Attanasio et al., 1998].

Histomorphologisch fallen Osteome als umschriebene Neubildung kompakten oder spongiösen Lamellenknochens mit eingeschlossenem Faser- oder Fettmark auf, die sehr langsam und expansiv wachsen. Man kann dabei das nur aus spongiösem Knochen bestehende Osteoma spongiosum (Osteoid- Osteom), das markreiche Osteoma medullare sowie das – sklerosiertem Knochen ähnlich erscheinende Osteoma eburneum unterscheiden.

Ihre Abgrenzung gegenüber Chondromen, zentralen Fibromen, Odontomen oder bestimmten Formen von Osteopathien kann schwierig sein. Die Therapie von Osteomen im Bereich des Kiefergelenkköpfchens besteht in einer Resektion mit ausreichendem Sicherheitsabstand und einer entsprechenden Rekonstruktion, bevorzugt mittels autologen Transplantaten (wie Rippenknorpel-Knochentransplantat) oder adäquaten Gelenkendoprothesen [Saeed et al., 2002].

Die klinische Symptomatik des Patienten erscheint für einen langsam, verdrängend wachsenden Tumor im Kiefergelenkbereich typisch. Trotz initial durchgeführter Einschleifmaßnahmen und langer Schienentherapie konnte die Mittellinienabweichung des Unterkiefers nie vollständig behoben werden. Dies belegt die Gefahr, Tumore im Bereich der Kiefergelenke bei unzureichender röntgenologischer Diagnostik primär als funktionell bedingte Myoarthropathien zu therapieren.

Tipp für die Praxis

• Auftretende Okklusions- und Artikulationsstörungen können ein Hinweis für pathologische Veränderungen im Bereich der Kiefergelenke sein.

• Chronische Schwellungen der Kiefergelenksregion bedürfen grundsätzlich einer röntgenologischen Abklärung.

• Zur Beurteilung pathologischer ossärer Prozesse sollte eine Röntgendiagnostik in zwei Ebenen erfolgen.

Dr. med. dent. Jens LanglotzFachzahnarzt für OralchirurgieMKG-Rhein-NeckarGroß-Breitenbach 669509 Mörlenbachlanglotz@mkg-rhein-neckar.de

Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Rainer B. DrommerFacharzt für Mund-, Kiefer- undGesichtschirurgie, plastische OperationenAtos Praxisklinik Heidelberg

Dr. Antonio BornFacharzt für PathologieVangerowstr. 18/169115 Heidelberg

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