Qualitätssicherung in der Promotion

Forschen für die Tonne

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„Die Mühlen der Wissenschaft mahlen langsam“, heißt es. Doch mit der Aufdeckung zahlreicher Plagiatsaffären führender Politiker hat das akademische System in rasant kurzer Zeit einen großen Schaden erfahren. Das Image der Promotionspraxis leidet seitdem. Die Verantwortlichen suchen nach besseren Modellen für die Qualifizierung von Doktoranden – sind sie doch der Garant für die Zukunft des deutschen Wissenschaftssystems.

„Sumimus pecuniam et mittimus asinum in patria.” Zu Deutsch: „Nehmen wir das Geld und schicken den Esel nach Hause.“ Nicht erst seit dem 16. Februar 2011, dem Beginn der Plagiatsvorwürfe gegen den früheren Verteidigungsminister Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg im Zusammenhang mit dem wissenschaftlichen Fehlverhalten bei der Erstellung seiner Dissertation existiert dieser Vers, der mit der Promotionspraxis frotzelt. Sein Ursprung geht zurück ins Mittelalter. Damals mussten angehende Doctores noch erhebliche Bewirtungsaufwendungen an die Professoren leisten. Mit Beginn des 18. Jahrhunderts wurden die Examensgebühren für eine ordentliche Doktorurkunde eingeführt. Sie stellten einen erheblichen Teil der schmalen Professorengehälter und der Fakultätseinnahmen dar, weiß Prof. Stefan Hornbostel. Er leitet das Institut für Forschungsinformation und Qualitätssicherung (iFQ) in Berlin und forscht speziell im Bereich Wissenschaftsforschung und Elitensoziologie. Hornbostel zufolge hat die Logik „Geld für Promotionen“ in Deutschland eine lange Tradition. Begründet sei dieses „Disputationsunwesen“ unter anderem durch die Titelsucht akademisch kaum gebildeter Bürger. Dazu kam ein wachsender Promotionszwang akademischer Professionen – etwa in den medizinischen Fakultäten. Dort sei die Promotion im 18. Jahrhundert bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Approbationsordnungen verankert gewesen.

Summa cum laude in Serie

Momentan sei bundesweit eine inflationäre Entwicklung bei der Vergabe der Bestnote summa cum laude für Promotionen zu beobachten, bei lokal divergierenden Vergabekriterien, so Hornbostel. Er sieht die Ursachen in den Anreizsystemen, die in der letzten Dekade in der Wissenschaft eingeführt wurden. Denn die Anzahl der Promotionen fließt als Verteilungskriterium direkt oder indirekt in die meisten Rankings und in die überwiegende Zahl leistungsorientierter Mittelverteilungssysteme mit ein. Dadurch wird ein Anreiz gesetzt, um Quantität zulasten von Qualität zu generieren. Nicht nur Hornbostel spricht bissig von „Tonnenideologie“ – je mehr Promotionen desto besser.

Die „Causa Bayreuth“

Auch die Dissertation von Guttenberg wurde mit summa cum laude bewertet, was sich als falsch erwiesen hat. In ihrem Abschlussbericht wehrt sich die Kommission „Selbstkontrolle in der Wissenschaft“ der Universität Bayreuth gegen die Stigmatisierung ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Es gebe keine „Causa Bayreuth“. Nicht interne strukturelle Defizite der Universität seien für den Vorfall verantwortlich. Vielmehr sei dort, wo zum Zwecke der Qualifikation geprüft wird, auch mit Täuschungsversuchen zu rechnen. „Kein Dozent ist trotz aller gegebenenfalls auszubauenden Präventionsmaßnahmen prinzipiell davor gefeit, getäuscht zu werden“, heißt es wörtlich in dem Papier. Der schwarze Peter geht also einseitig an die Doktoranden? „Nein“, meint Dr. Boris Pawlowski, Leiter der Stabsstelle Kommunikation an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Er sieht in der Abhängigkeit im Betreuungsverhältnis eine mögliche Ursache für ungerechtfertigt vergebene Noten. Man kenne sich gegenseitig gut. Und manchmal sei es schwer abzugrenzen, wo die Eigenleistung aufhört und die möglicher Koautoren beginnt, sagte Pawlowski gegenüber den zm.

Die Universität als Bürge

„Die Universität muss für den Titel bürgen.“ Mit dieser These bezieht der Wissenschaftsrat Stellung zu den Qualitätsdebatten um die deutsche Promotion – erstmals in einem Positionspapier. Damit führt das Gremium ein Format ein, dass es ihm erlaubt, in einer schnelllebigen Gesellschaft zeitnah und fokussiert auf wissenschaftspolitische Entwicklungen zu reagieren. „Das Promotionswesen in Deutschland ist insgesamt robust, daher besteht kein Anlass für Revolutionen“, konstatierte Wolfgang Marquardt, Professor für Prozesstechnik an der RWTH Aachen und Vorsitzender des Wissenschaftsrats bei der Vorstellung des Positionspapiers Mitte November in Berlin. In dem Dokument werden grundsätzliche Anforderungen an die Qualitätssicherung der Promotion formuliert. Diese Qualitätskontrolle diene einem doppelten Zweck: der Verhinderung von Missbrauch, wie er in Fällen wissenschaftlichen Fehlverhaltens zutage getreten ist, und der Sicherung des wissenschaftlichen Niveaus von Promotionsvorhaben allgemein.

Das Promotionswesen ist insgesamt robust. Daher besteht kein Anlass für Revolutionen. Wichtig ist es, eine ordentliche wissenschaftliche Kultur zu etablieren.

Prof. Wolfgang Marquardt, Vorsitzender des Wissenschaftsrats

Wissen schafft das Land

„Jedes Versagen der internen Qualitätssicherung schadet nicht nur den im Einzelfall betroffenen Gutachtern und der Fakultät, sondern der Wissenschaft insgesamt, da es einen Vertrauensverlust bewirkt, der langfristig die Autonomie der Begutachtungsprozesse bedroht“, schreibt der Rat. Wo es im Einzelfall zu Fehleinschätzungen bei der Bewertung kommt, müssten weiterhin Revisionen von Entscheidungen möglich bleiben, heißt es in dem Papier. Insgesamt seien alle am Promotionsprozess beteiligten Akteure in der Verantwortung, das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der wissenschaftlichen Qualitätsbewertung zu rechtfertigen. Dazu sagte Marquardt: „Wir sind der Meinung, dass das Wissenschaftssystem selbst die Verantwortung für die Qualität der Forschungsarbeit übernehmen sollte.“ Der Rat richtet sich ausdrücklich gegen eine Verrechtlichung. Gewünscht sei vielmehr ein System der „Checks and Balances“ (Kasten oben). Um die Qualitätssicherung zukünftig zu verbessern, schlägt das Gremium folgende Maßnahmen vor (Auszüge):

Stärkung der kollegialen Verantwortung

Der Wissenschaftsrat unterstreicht die Bedeutung der kollegialen Begleitung der Doktoranden.

• Betreuungsvereinbarungen

Der Wissenschaftsrat empfiehlt, Betreuungsvereinbarungen zwischen Doktorand, Betreuer und dem Promotionskomitee einzuführen. Darin sollen wechselseitige Verbindlichkeiten festgelegt werden.

• Betreuungsverhältnis

Der Rat empfiehlt den verantwortlichen Institutionen nachdrücklich, den durch die Doktoranden faktisch gegebenen Betreuungsaufwand und die durch Organisationsform und Ausstattung gegebene Betreuungskapazität in eine nach Qualitäts gesichtspunkten stimmige Relation zu bringen.

• Integration externer Doktoranden

Doktoranden sollen in die Eigenlogik des Wissenschaftssystems lokal eingebunden sein. Wenn die Universität am Ende der Promotion lediglich als Prüfungs- und Zertifizierungsinstanz in Erscheinung tritt, wird sie ihrer Verantwortung als alleinige Inhaberin des Promotionsrechts nicht gerecht.

• Wissenschaftliches Fehlverhalten

Bei Aufnahme des Promotionsvorhabens muss sichergestellt sein, dass die Doktoranden mit Daten korrekt umgehen und dass sie einen manipulativen und unredlichen Umgang als solchen beschreiben können. Dies kann durch entsprechende Angebote im Pflichtbereich der Curricula von Studiengängen erreicht werden. Doktoranden – gleich welcher Fächer – dürfen jedoch nicht unter Generalverdacht gestellt werden. Als besten Schutz vor wissenschaftlichem Fehlverhalten fordert der Rat eindeutige Bekenntnisse der Hochschullehrer zu den eigenen Standards, deren klare Vermittlung sowie für alle Statusgruppen die konsequente Sanktionierung von Fehlverhalten.

• Unabhängige Begutachtung

Die übliche Praxis in Deutschland ist, dass der Betreuer das Erstgutachten verfasst und das Zweitgutachten aus der Fakultät kommt. Diese Praxis soll überdacht werden. Insgesamt sieht der Wissenschaftsrat es als notwendig an, die Unabhängigkeit der Gutachten zu erhöhen und die Gutachter so zu wählen, dass sie bestens mit der Thematik der Dissertation vertraut sind. Dort wo diese Bedingung nicht erfüllt ist, soll auf Gutachter außerhalb der eigenen Universität oder gar aus dem Ausland zurückgegriffen werden.

Anpassung der Notenskala

Der Wissenschaftsrat empfiehlt, die Benotung auf eine auch in europäischen Ländern übliche binäre Skala umzustellen. Das Promotionsverfahren soll entweder mit „Bestanden“ oder mit „Mit besonderem Lob/ Ausgezeichnet“ bewertet werden. Für die Auszeichnung sollte zwingend ein drittes, externes Gutachten herangezogen werden.

Medizinische Promotionen

Der Wissenschaftsrat hat erneut die Promotionspraxis in der Medizin kritisiert. Das wissenschaftliche Niveau der studienbegleitenden Doktorarbeiten entspreche in der weit überwiegenden Zahl der Fälle nicht den Standards der Doktorarbeiten anderer naturwissenschaftlicher Fächer. Daneben entstünden anspruchsvolle forschungsorientierte Dissertationen.

Ein einheitliches Anforderungsniveau innerhalb des Faches sei nicht gegeben. Der Wissenschaftsrat empfiehlt erneut, den Doktorgrad in der Medizin nur für solche Dissertationen zu verleihen, die einen substanziellen Beitrag zum wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt leisten und deren Ergebnisse in einer international anerkannten Zeitschrift publiziert werden. Zur Frage eines berufsbefähigenden Titels und zur Qualität medizinischer Promotionen will der Rat zu einem späteren Zeitpunkt Vorschläge unterbreiten.

Medizin schafft Wissen

Der Faktor „Zeit“ nimmt in der wissenschaftlichen Medizinerausbildung einen besonderen Stellenwert ein. Alles ist eng getaktet. Als Zeitpunkt für den Start empfahl der Präsident des Medizinischen Fakultäten Tages (MFT), Prof. Dieter Bitter-Suermann, auf der vom MFT organisierten Veranstaltung „Wissenschaftliche Medizinerausbildung – 100 Jahre nach Flexner“ in Berlin: „Die Dissertation sollte in der zweiten Hälfte des klinischen Studiums begonnen werden. Wir müssen den wissenschaftlichen Nachwuchs bereits im Studium prägen. Nachher, wenn der Großteil in der Facharztweiterbildung mit den enormen Anforderungen der Klinik steckt, ist es dafür zu spät.“ Kaum jemand werde zwischen Studium und Weiterbildung – oder gar noch später als Facharzt – eine mehrjährige Dissertation erarbeiten können, bezweifelte der MFT-Präsident und rückte damit die spezifischen Besonderheiten des Medizinberufs in den Fokus.

Welche Vor- und Nachteile es für Studenten mit sich bringt, parallel zum Medizinstudium mit der wissenschaftlichen Arbeit zu starten, weiß Prof. Reinhard Putz von der Fakultät für Psychologie und Pädagogik der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zu den Vorzügen zähle das „Rückgrat“ der Laborarbeit, die frühzeitige Einführung in „reale“ Wissenschaft und in Karrierewege sowie die Integration in ein Netzwerk. Dagegen würden zeitliche Überforderung, die Ablenkung von den eigentlichen Ausbildungszielen, eine mentale Überforderung, die Heterogenität der Betreuung und das Fehlen jeglicher Absicherung sprechen.

Zeit für Lehren

Welche Lehren aus den aufgedeckten Plagiatsfällen zu ziehen sind, beschäftigt auch den Bildungsausschuss im Bundestag. Bei einem Fachgespräch Anfang November mit geladenen Experten herrschte Konsens: Mit Anti-Plagiatssoftware allein sei wissenschaftliches Fehlverhalten nicht zu bekämpfen. Es sei zudem nicht allein an Plagiaten festzumachen. Auch Stefan Hornbostel nahm an dem Gespräch teil. Als besonders problematisch bezeichnete er die ungeregelte Erfassung der Promovierenden. Dies habe zur Folge, dass es keine belastbaren Aussagen über die Zahl der Promovierenden, über Abbrüche und über die Promotionsdauer gebe. Und es existiere kein „zuverlässiger Überblick über die Intensität wissenschaftlichen Fehlverhaltens“, ergänzte Wolfgang Löwer, Professor für Öffentliches Recht und Wissenschaftsrecht in Bonn und Sprecher der Beratungs- und Vermittlungseinrichtung „Ombudsman für die Wissenschaft“. „Wir brauchen keine weiteren Sanktionen, wir brauchen mehr Prävention“, sagte Annette Schmidtmann von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

Fest steht: Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit zählen in Deutschland zu den bürgerlichen Grundrechten. Das Recht auf Freiheit impliziert einen verantwortlichen Umgang mit selbiger. Es bleibt zu hoffen, dass die Empfehlungen des Wissenschaftsrates zum Handeln anregen und es zukünftig besser gelingt, auf der Suche nach „echten“ Garanten die Spreu vom Weizen zu trennen. Quantität muss qualitativ überprüfbar sein. Schlußendlich konkurrieren nicht etwa die Universitäten von Bayreuth und Kiel, sondern die Deutsche Wissenschaft mit dem Rest der Welt.

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