AKFOS als Schnittstelle zweier Wissenschaften

Symbiose von Rechts- und Zahnmedizin

Heftarchiv Zahnmedizin
In guter Tradition finden in fünfjährigem Rhythmus die Jahrestagungen des Arbeitskreises für Forensische Odontostomatologie (AKFOS) – gemeinsam mit allen weiteren Fachgesellschaften und Arbeitskreisen der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) – im Rahmen des „Deutschen Zahnärztetages“ statt. So auch am 13.11.2010 bei der 34. Jahrestagung in Frankfurt am Main.

Palatoskopie zur Identifizierung

Das wissenschaftliche Programm begann mit einem Vortrag von Dr. Bernhard Knell, Kilchberg, Schweiz, zur Palatoskopie als Hilfsmittel bei der Identifizierung von unbekannten Toten. Da die zunehmende Kariesfreiheit in Westeuropa und Nordamerika die Identifizierung mithilfe des Zahnstatus erschwert, muss nach alternativen Identifizierungsmöglichkeiten Ausschau gehalten werden. Als mögliche Alternative nannte der Referent die Identifikation anhand der Rugae palatinae, da die Gaumenfalten beim Erwachsenen individuell, charakteristisch und über die Zeit konstant sind. Bereits 2005 hatte Muthusubramanian nachgewiesen, dass bei Brandleichen die Rugae palatinae in 93 Prozent und bei Fäulnisleichen in 77 Prozent der Fälle post-mortal noch sichtbar sein sollen.

In der von Knell vorgestellten Studie lagen kieferorthopädische Modelle von Heranwachsenden vor, denen Gipsmodelle von Erwachsenen zwecks Beurteilung beziehungsweise im Vergleich der Rugae palatinae zugeordnet werden sollten.

Hierbei konnte festgestellt werden, dass die Palatoskopie nicht nur im Erwachsenenalter zu einer eindeutigen Identifizierung führen kann. Auch der Vergleich von kindlichen mit erwachsenen Rugae palatinae würde die gleich hohe Sicherheit betreffend einer Personen- Identifizierung aufweisen.

Kindesmisshandlungen aus (zahn-)ärztlicher Sicht

Prof. Dr. Rüdiger Lessig, Halle/Saale, behandelte das Thema Kindesmisshandlungen. Die Frage der Beurteilung von Verletzungen in Bezug auf die Herkunft stellt für den Untersucher immer eine Herausforderung dar. Wie und wann kann die Verletzung ent - standen sein? Sind die dazu gegebenen Erklärungen plausibel? Die Frage ist besonders brisant, wenn es sich um Kinder handelt. Diese Fälle tauchen nicht immer nur in pädiatrischen Praxen oder Kliniken auf, sondern auch in der Zahnarztpraxis. Dabei treten unterschiedliche Probleme auf: Kinder sind in einem Alter, in dem die Kommunikation nur eingeschränkt oder gar nicht möglich ist, häufig passieren die Übergriffe in der Familie, die Untersuchung geschieht im Beisein eines Erziehungsberechtigten und mehr. Neben der notwendigen (zahn)medizinischen Behandlung ergibt sich dabei die Frage, wie und in welcher Form, wann und wo sollte gegebe - nenfalls eine Dokumentation der Befunde erfolgen.

Rechtsfragen um vermisste Personen

Der Jurist und Vizepräsident des Landgerichts Aachen, Reiner Napierala, sprach über Rechtsfragen um vermisste Personen. Eingangs erläuterte er, dass es schwierig bis unmöglich sei, alle denkbaren Rechtsfragen im Zusammenhang mit vermissten Personen in eine systematische Ordnung zu bringen. Schnell stellte er fest, dass es sie nicht gibt: die Ordnung und das System.

Deshalb beschränkte er sich in seinem Vortrag auf einen einzigen, allerdings nicht ganz unbedeutenden rechtlichen Aspekt: nämlich auf das Rechtsinstitut der Abwesenheitspflegschaft, das seine normative Grundlage in § 1911 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) findet.

Anhand eines konkreten Beispiels – in Anlehnung an das Unglück des Air-France- Fluges AF 447 von Rio de Janeiro nach Paris, das sich in der Nacht zum 01.06.2009 ereignet hat – wurden Bedeutung und Voraussetzungen der Abwesenheitspflegschaft anschaulich dargestellt.

Des Weiteren sprach der Referent grundlegende Verfahrensfragen an, beschrieb informativ die Rechtsstellung des Abwesenheitspflegers und stellte abschließend dar, wie eine angeordnete Abwesenheitspflegschaft ihr rechtliches Ende findet

In diesem Zusammenhang wurden auch die Grundzüge des Verfahrens bei Todeserklärungen nach dem Verschollenheitsgesetz aufgegriffen.

Zahnärztliche Identifizierung

Um auch Kolleginnen und Kollegen, die bisher keine zahnärztlichen Identifizierungen durchgeführt haben, mit dieser Thematik vertraut zu machen, stellte Dr. Dr. Claus Grundmann in seinen beiden Vorträgen die Grundlagen der zahnärztlichen Identifizierung – einschließlich der prä- und post-mortalen Vergleichsuntersuchungen – an Hand von zahnärztlichen Behandlungskarteikarten, Röntgenbildern, Gipsmodellen und mehr vor.

Dass anhand der Zähne auch bei nicht-identifizierten Toten forensische Altersbestimmungen vorgenommen werden können, war ein weiteres Thema dieser Präsentation. Sowohl konservierende als auch chirurgische, implantologische, prothetische und/ oder kieferorthopädische Behandlungsmaßnahmen sind immer wieder geeignet, eindeutige und zweifelsfreie Identifizierungen auszusprechen. Dies gilt sowohl für den Einzelfall als auch für die Opfer einer (Massen-) Katastrophe. Es wurde anhand von Beispielen demonstriert, wie die erhobenen zahnärztlichen Befunde mithilfe einer speziellen Identifizierungssoftware dokumentiert und ausgewertet werden können. Anschließend besteht anhand einer im Interpol- DVI-Guide festgelegten Klassifizierung die Möglichkeit der Einstufung in fünf verschiedene Klassen. Hierdurch kann die Wertigkeit einer Identifizierung näher bestimmt werden. Falls es sich um Identifizierungen in der Bundesrepublik Deutschland handelt, bildet die rechtliche Grundlage hierzu § 163 b Abs. 1 der Strafprozessordnung (StPO).

Absturz der Air France 447

Nach diesen theoretischen und mit praktischen Beispielen hinterlegten Ausführungen folgte ein umfassendes Referat über einen Identifizierungseinsatz des französischen Disaster-Victim- Identification-(DVI)-Teams:

Dr. Dr. Jean-Marc Hutt, Strassbourg, präsentierte die Ergebnisse, die im Nachgang zum Absturz eines Airbus A 330 der Fluggesellschaft Air France in der Nacht zum 01.06.2009 erhoben wurden.

Nördlich der brasilianischen Inseln Fernando de Noronha befanden sich 228 Personen aus mehr als 30 Nationen (216 Passagiere und zwölf Besatzungsmitglieder) an Bord eines Airbus A 330, unter anderem französische, brasilianische und deutsche Staatsbürger.

Mit Hilfe der brasilianischen Luftwaffe sowie der französischen und US-amerikanischen Marine konnten 52 Leichenteile in den beiden Wochen nach dem Absturz geborgen und insgesamt 50 Leichen zugeordnet werden. Es wurde eine Einsatzkommandostelle – einschließlich eines „Information- Management-Centers (IMC)“ nach thailändischem (Tsunami-Katastrophen-) Vorbild – in Recife im Nordosten Brasiliens eingerichtet.

Die ante-mortem-Daten der Absturzopfer wurden im Fort de Rosny am IRCGN, dem Sitz des Instituts für Kriminalforschung der Gendarmerie Nationale, im Osten von Paris gesammelt und anschließend nach Brasilien transferiert.

Zu den Identifizierungsergebnissen (geordnet unter anderem nach Nationen, Flugzeugbesatzung und Identifizierungsmethoden): 17 französische Staatsbürger konnten zweifelsfrei identifiziert werden (neun durch ante- und post-mortale Zahnvergleichsuntersuchungen; acht durch ante- und postmortale DNA-Vergleichsuntersuchungen). Die Ermittlungen führten weiterhin zur Identifizierung von sechs deutschen Staatsbürgern. Auch konnten fünf der zwölf Besatzungsmitglieder ihre Identität zurückerhalten: Vier durch Zahn- und eine durch DNA-Vergleichsuntersuchungen. Hutt machte anhand einer weiteren Statistik die erfolgreichen Identifizierungen deutlich. Denn ausschließlich und eindeutig durch Zahnvergleichsuntersuchungen konnten 14 Opfer identifiziert werden.

In fünf Fällen wurde durch die Kombination von daktyloskopischen und Zahnvergleichsuntersuchungen eine zweifelsfreie Identität ausgesprochen. In weiteren fünf Fällen gelang eine Identifizierung durch die Kombination von DNA- und Zahnvergleichsuntersuchungen.

In zwei anderen Fällen wurden die Opfer durch die Kombination von DNA-, daktyloskopischen und Zahnvergleichsuntersuchungen identifiziert.

Es handelte sich um die größte Flugzeugkatastrophe in der französischen Luftfahrtgeschichte. Da die Black-Box des Flugzeugs bisher nicht geborgen werden konnte, sind endgültige Stellungnahmen zur Absturzursache bisher nicht möglich.

Vorstandswahlen

Die diesjährige Tagung endete mit einer Mitgliederversammlung einschließlich Neuwahlen des AKFOS-Vorstandes: Dr. Dr. Klaus Rötzscher trat – wie angekündigt – nach mehr als 20 Jahren AKFOS-Vorstandstätigkeit nicht mehr zur Wahl an. Zu seinem Nachfolger als 1. Vorsitzender von AKFOS wählten die anwesenden Mitglieder Prof. Dr. Rüdiger Lessig aus Halle/Saale.

Dr. Dr. Klaus Rötzscher wurde einstimmig zum Ehrenvorsitzenden des Arbeitskreises gewählt.

Prof. Dr. Dr. Ludger Figgener, Münster, (2. Vorsitzender von AKFOS) und Dr. Dr. Claus Grundmann, Moers, Schriftführer wurden in ihren Ämtern bestätigt. Zusätzlich übernimmt Grundmann zukünftig das Amt des AKFOSSekretärs.

In seiner ersten Ansprache dankte Lessig dem Kollegen Rötzscher für sein über Jahrzehnte dauerndes Engagement zum Wohle von AKFOS, insbesondere für die Jahre 1998 bis 2010, in denen Rötzscher das Amt des 1. Vorsitzenden ausübte.

Neue AKFOS-Homepage

Dank der umfangreichen Bemühungen der Kollegen Dr. Karl-Rudolf Stratmann, Köln, und Dr. Klaus-Peter Benedix, München, ist AKFOS seit Dezember 2010 unter einer neuen Adresse im Internet präsent: www. akfos.com

Termin 2011

Die nächste AKFOS-Jahrestagung findet am 8. Oktober 2011 in der Mainzer Universitätszahnklinik statt.

Dr. Dr. Claus GrundmannViktoriastr. 847166 Duisburgclausgrundmann@hotmail.com

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