Phytopharmakamarkt in Europa

Neue Regeln für Naturheilmittel

224522-flexible-1900
Heftarchiv Gesellschaft
pr
Eine im Frühjahr 2004 in Kraft getretene EU-Richtlinie sorgt im Markt für Naturheilmittel für Aufregung. Sie schreibt vor, dass über mindestens drei Jahrzehnte medizinisch bewährte pflanzliche Arzneimittel, die als Fertigpräparate zur Verfügung stehen, nach einem EU-weit einheitlichen Verfahren registriert werden müssen. Kritiker der Neuregelung fürchten eine Marktbereinigung. Die Regeln treten ab dem 1. Mai in Kraft.

Mild wirksame und risikoarme pflanzliche Arzneimittel, die seit mindestens 30 Jahren in Verkehr sind, müssen einer EU-Richtlinie zufolge nach einem einheitlichen Verfahren registriert werden. Dies gilt sowohl für rein pflanzliche Präparate als auch für Produkte, die zusätzlich Vitamine beziehungsweise Mineralstoffe enthalten. Homöopathische Arzneimittel fallen nicht unter die Richtlinie. In vielen europäischen Ländern, darunter Deutschland, wurden die EU-Vorschriften bereits in nationales Recht umgesetzt. „Der deutsche Gesetzgeber hat die EU-Richtlinie im September 2005 in das Arzneimittelgesetz implementiert“, so Dr. Rose Schraitle vom Bundesverband der Arzneimittel- Hersteller (BAH) in Bonn. Ab dem 1. Mai werden die Vorschriften nach einer siebenjährigen Übergangsfrist EU-weit endgültig wirksam.

Vor allem kleine und mittlere Phytopharmaka- Unternehmen fürchten, dass die Richtlinie das Aus für zahlreiche Präparate bedeuten wird. „Nur was sich patentieren und mit einer Schutzmarke im Handel monopolisieren lässt, ist erwünscht. Was einfach in der Natur wächst, wird als illegal abgestempelt“, wettern beispielsweise die Geschäftsinhaber von NaturBurg, Eva-Maria und Dirk Burghausen.

Kritik geht am Ziel der Richtlinie vorbei

Die Kritik geht allerdings am Ziel der EURichtlinie vorbei. Denn das vereinfachte Registrierungsverfahren sollte gerade dazu beitragen, dass traditionelle pflanzliche Arzneimittel nicht vom Markt genommen werden müssen. Gäbe es die Richtlinie nicht, wären die Hersteller nach einem aus dem Jahr 2001 stammenden EU-Gesetz nämlich verpflichtet, einen wissenschaftlichen Nachweis für Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit ihrer Produkte zu erbringen, wie dies auch für andere Medikamente gilt. „Viele pflanzliche Arzneimittel mit langer Tradition konnten diese Anforderungen nicht erfüllen“, so Arne Krüger, stellvertretender Sprecher der Arzneimittelkommission der deutschen Heilpraktiker.

Eigener Regelungsrahmen geschaffen

Die EU-Kommission hatte daraufhin eigens für die Gruppe der traditionellen Phytopharmaka einen eigenen Regelungsrahmen auf den Weg gebracht. Er verlangt zwar ebenfalls, dass die Hersteller Belege für die Unbedenklichkeit ihrer Präparate liefern. Darüber hinaus reicht es aber aus, wenn die Unternehmen aufgrund von Sachverständigengutachten und Bibliographien nachweisen können, dass die Wirksamkeit des jeweiligen pflanzlichen Arzneimittels aufgrund einer mindestens 30-jährigen Anwendung und Erfahrung (davon 15 in der EU) plausibel ist. Klinische Studien für die Sicherheit und die Wirksamkeit sind für diese Produktgruppe somit nicht erforderlich.

Die EU hat darüber hinaus einen Ausschuss bei der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA in London damit beauftragt, Pflanzen- Monographien zu erstellen, um die gegenseitige Anerkennung der Produkte in den einzelnen EUMitgliedstaaten zu erleichtern und die wissenschaftliche Bewertung zu harmonisieren. Die Monographien informieren unter anderem über das Anwendungsgebiet einzelner pflanzlicher Stoffe, die spezifische Stärke und Dosierung sowie den Verabreichungsweg. Der Ausschuss legt außerdem fest, ob für eine bestimmte Arzneipflanze die langjährige medizinische Verwendung innerhalb Europas ausreicht, beispielsweise wenn es sich um eine in der traditionellen chinesischen Medizin verwendete Pflanze handelt. Nach den Regeln des Arzneimittelgesetzes (AMG) mussten deutsche Phytopharmaka- Unternehmen für ihre Produkte bis zum 31. Dezember 2008 einen Registrierungsantrag beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) stellen. Langjährig verwendete Präparate, für die keine Registrierung beantragt wurde, dürfen nach dem 30. April dieses Jahres nicht mehr als Arzneimittel vertrieben werden.

Ungefähr 500 der insgesamt etwa 2 100 zugelassenen Phytopharmaka gelten hierzulande nach Angaben des BAH als traditionelle pflanzliche Arzneimittel. Für rund 250 von ihnen haben die Unternehmen eine Registrierung beim BfArM beantragt. „Für die übrigen Produkte, insbesondere für Arzneimittel mit vielen Wirkstoffen, wäre der Aufwand allein für die Aktualisierung des pharmazeutischen Dossiers zu hoch gewesen“, sagt Schraitle. Hinzu kommen Registrierungsgebühren in Höhe von circa 16 000 Euro.

Kaum Auswirkungen in Deutschland

Somit werden rund 250 Präparate deutscher Hersteller ab dem Frühjahr ihre Verkehrsfähigkeit als Phytopharmaka verlieren. „Der Wegfall der Zulassungen wird aber keine spürbaren Auswirkungen auf die Vielfalt pflanzlicher Arzneimittel in Deutschland haben“, so Dr. Werner Knöss, Leiter der Abteilung besondere Therapierichtungen im BfArM.

Auch Krüger sieht die Marktentwicklung gelassen: „Die Verordnungsfähigkeit einzelner Pflanzen oder Pflanzenteile im Rahmen eines individuellen Rezepts bleibt genauso erhalten wie die Möglichkeit, zum Beispiel ein Teerezept oder eine Tinktur nach individueller Ausrichtung mischen zu lassen.“

Der europäische Markt für pflanzliche Arzneimittel beläuft sich Schätzungen zufolge auf rund 3,5 Milliarden Euro. Deutsche Phytopharmaka machen mit rund 38 Prozent den größten Umsatzanteil aus, gefolgt von Frankreich mit 22 Prozent. Andere europäische Länder kommen lediglich auf Anteile zwischen zwei und neun Prozent.

Dennoch sorgt die EU-Richtlinie in einigen europäischen Staaten weiterhin für Diskussionen. Der Grund: In Großbritannien beispielsweise können pflanzliche Arzneimittel schon seit Jahrzehnten ohne jedwede Überprüfung oder behördliche Zulassung als Arzneimittel vertrieben werden. Dies gilt auch für Produkte aus der traditionellen chinesischen Medizin. Britische Phytopharmaka- Hersteller fürchten daher, an den EU-Vorgaben für die Registrierungspflicht zu scheitern. Ändern wird die Kritik freilich nichts mehr. Denn die Übergangsfrist läuft im April 2011 unwiderruflich ab.

Petra SpielbergChristian-Gau-Str. 2450933 Köln 

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.