Gastkommentar

Implosion statt Explosion

Heftarchiv Meinung
Deutschlands Hausärzteverbände haben in jüngster Zeit an Macht und Einfluss verloren. Dennoch wird der Gesetzgeber eine Antwort auf die wachsende Unzufriedenheit dieser Arztgruppe finden müssen, meint FAZ-Berlin-Korrespondent Andreas Mihm.

Für die Hausärzte kam es zum Jahreswechsel knüppeldick: Erst kündigten AOK und andere Kassen in Bayern den gutdotierten Versorgungsvertrag, dann scheiterte der Aufstand des bayerischen Hausärzteverbands. Und Anfang Januar kassierte auch noch das Oberverwaltungsgericht in Schleswig einen Hausarztvertrag als rechtswidrig. Begründung: Die Weitergabe der Abrechnungsdaten an die Hausärztliche Vertragsgemeinschaft verstoße gegen den Datenschutz. Alle Auswirkungen der Ereignisse können noch nicht überblickt werden. Klar ist: Der Hausärzteverband steht vor dem Scherbenhaufen einer aus Systemkritik, unrealistischen Erwartungen und Selbstüberschätzung getöpferten Politik.

Bayerns Hausärztechef Hoppenthaller wusste, dass er mit dem Feuer spielte, als er zum Austritt aus der KV aufrief. Sein Plan, Politik und Krankenkassen mit einem virtuellen Versorgungsnotstand zu erpressen, scheiterte erneut. Sein Rücktritt konnte den Schaden nicht mehr wettmachen. Selbst den Hausärzten Wohlgesonnene wie Bayerns Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) lassen sich nicht auf der Nase herumtanzen. Statt vor der explosionsartigen Verbreitung seines Einflusses steht der Verband vor der Implosion frisch gewonnener Macht.

Womit ein Verlierer der Schlacht schon benannt ist: Die Mitarbeiter der Hausärztlichen Vertragsgemeinschaft, die die Abrechnung organisieren. Stellenstreichungen und Entlassungen standen dort auf der Tagesordnung. Verlieren werden die teilnehmenden Hausärzte: Selbst wenn die Kassen unter politischem Druck einen neuen Vertrag anbieten, dürfte er an die guten Konditionen von bis zu 84 Euro Quartalspauschale nicht mehr heranreichen. Verlierer sind auch jene Hausärzte, denen zögerliche Kassen einen solchen Vertrag erst gar nicht anbieten werden. Zu den Verlierern könnten auch Patienten gehören, die sich in einem Hausarztvertrag besser aufgehoben fühlen. Allerdings fehlt hierfür noch jede Evidenz. Vergleichende Studien gibt es nicht. Nur Mutmaßungen wie die des baden-württembergischen AOKVizechefs Christopher Hermann, wonach die Behandlungsqualität steigen, die Kosten mit der Zeit sinken werden.

Dennoch werden viele Kassen die neue Entwicklung gutheißen. Die Bayern, denen finanziell das Wasser bis zum Unterkiefer steht, wollten die Ausstiegskampagne des Hausarztverbands nutzen, um sich von der Bürde des teuren Hausarztvertrags zu befreien. Andere sehen die Chance, künftig günstiger davon zu kommen. Ihnen hilft schon die zum Jahreswechsel ins Sozialgesetzbuch eingefügte Auflage, nach der neue Hausarztverträge nicht teurer als die Regelversorgung sein dürfen. Damit hatte die Koalition dem alten System, in dem der Hausarztverband seine Forderungen durchsetzen konnte, schon das Rückgrat gebrochen. Zu den Gewinnern der Auseinandersetzung gehört auf den ersten Blick das KV-System, auch wenn es an diesem Konflikt aktiv nicht beteiligt war. Ein Konkurrent wurde, wenn nicht ausgeschaltet, so doch geschwächt. War die Rolle der KV durch die jüngste Änderung der Hausarztverträge schon gestärkt worden, dürfte das Scheitern des versuchten Systemausstiegs ähnliche revolutionäre Gelüste für die nächsten Jahre ersticken. Deutschlands Ärzte bleiben, so sie nicht allein auf die Privatversicherten setzen, an ihre ungeliebte KV gebunden.

Allerdings sollte die Zustimmungsquote von 40 Prozent der bayerischen Hausärzte zum Austritt aus dem KV-System Ärztefunktionären, Kassen und Politik zu denken geben. Die Unzufriedenheit über die Arbeitsbedingungen ist groß, allein mehr Honorar reicht nicht. Das geplante Versorgungsgesetz muss auch darauf Antwort finden – über geplante neue Gängelungen wie Fristen für die Terminvergabe in der Praxis und die Bettenzahl in Krankenzimmern hinaus.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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