Differentialdiagnose einer unklaren Gesichtsschwellung

Lidemphysem nach neurochirurgischer Pin-Fixation

221015-flexible-1900
Heftarchiv Zahnmedizin

Eine 45-jährige Patientin stellte sich zunächst in einer hals- nasen-ohrenärztlichen Facharztpraxis vor, nachdem sie eine plötzliche Lidschwellung bemerkte. Die Schwellung war spontan nach dem Schnäutzen der Nase aufgetreten. Nachdem keine Unfallverletzung zu eruieren war, ergab die gezielte Anamnese, dass einige Wochen zuvor eine neurochirurgische stereotaktische Biopsie unter Verwendung einer externen Fixierungseinrichtung durchgeführt worden war. Dabei war im Bereich der linken Stirn ein Verankerungspin gesetzt worden.

Zur weiteren Diagnostik und insbesondere zum Ausschluss einer infektiösen Ursache der Schwellung wurde die Patientin der Klinik zugeleitet. Bei der klinischen Untersuchung zeigte sich eine weiche Auftreibung des Oberlides im Sinne eines Hautemphysems (Abbildung 1), allerdings auch eine geringgradige Gefäßinjektion der Haut. Beim Eindrücken der Haut war ein charakteristisches Knistern durch die Verschiebung von Luftbläschen in der Subcutis zu spüren.

In der DVT-Darstellung ließen sich deutliche Lufteinschlüsse im Weichgewebe, insbesondere im oberen Anteil der Orbita erkennen (Abbildung 2). Damit war ein Luftemphysem der Orbita als Ursache der Schwellung gesichert. Bei der Suche nach einer potentiellen Eintrittspforte fand sich schließlich, korrespondierend zur Position der vorangegangenen Pin-Fixation eine Perforation der Stirnhöhlenvorderwand (Abbildung 3). Damit ergab sich abschließend die ungewöhnliche Diagnose eines Luftemphysems in Oberlid und Orbita verursacht durch eine iatrogene Perforation der Stirnhöhle.

Therapeutisch wurde eine prophylaktische antibiotische Therapie eingeleitet und die Spontanresorption abgewartet. Nach fünf Tagen hatte sich das Luftemphysem vollständig zurückgebildet. Überraschend zeigte sich drei Monate nach diesem Ereignis nach erneuter Druckbelastung des Sinus frontalis beim Schnäutzen noch einmal eine kurze Episode eines Emphysem, das sich aber ebenfalls spontan zurückbildete.

Diskussion

Emphyseme der Gesichtshaut treten zwar insgesamt selten auf, sind dann aber in der Regel akute Ereignisse, die den Patienten erheblich beunruhigen. Die typischen Ursachen sind auf zahnärztlichem Gebiet die endodontische Behandlungen oberer Eckzähne und Prämolaren (Abbildung 4) und auf traumatologischem Gebiet die Fakturen der Sinuswände. Seltene Varianten sind „spontane“ Emphyseme, die allein durch ein intensives Schnäuzen auftreten.

Geringe Luftmengen in den Weichgeweben des Lidapparates sind, abgesehen von der Gefahr einer Keimverschleppung aus der ursächlichen (beispielsweise dentalen) Pathologie überwiegend harmlos und erfordern lediglich eine Beruhigung des Patienten und eine kurzfristige prophylaktische antibiotische Behandlung, die bei ursächlicher Beteiligung des Nasennebenhöhlensystems durch abschwellende Maßnahmen ergänzt werden sollten. Kritischer sind ausgedehnte Luftmengen in der Orbita selbst, da hier tatsächlich Schädigungen des N. opticus und eine Okklusion der A. centralis retinae möglich sind [Roselle und Herman 2010]. Rein pragmatisch liegt die größte Bedeutung für die zahnärztliche Praxis in der Abgrenzung eines Lidemphysems von den sehr viel häufigeren entzündlichen Schwellungen des Lides im Rahmen einer Begleitödems (zum Beispiel bei der Sinusitis maxillaris) oder sehr selten einer primären Infektion des Lidapparates oder der Orbita. Richtungsweisend ist hier der klinische Befund der Palpation (verschiebliche Luftbläschen, Knistern) und die initial praktisch völlige Schmerzfreiheit des Luftemphysems.

Demgegenüber ist die ursächliche Unterscheidung im Hinblick auf Folgen einer zahnärztlichen Behandlung und Auswirkungen einer eventuell verkannten Verletzung ein eher seltenes Problem. Tatsächlich können Verletzung des Orbitabodens oder der medialen Orbitawand beim älteren Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen weitgehend symptomarm bleiben und erst sekundär anhand eines Emphysems klinisch auffällig werden.

Für die zahnärztliche Praxis soll der Fall daran erinnern, dass verschiedene, manchmal auch kuriose Ursachen zu einem Emphysem im Gesicht führen können. In aller Regel gilt es dabei zunächst, den Patienten zu beruhigen. Dennoch sollte in jedem Fall die konkrete Ursache ermittelt werden, um seltene, risikobehaftete Zustände zu erkennen.

Prof. Dr. Dr. Martin KunkelKlinik für Mund-, Kiefer- und plastische GesichtschirurgieRuhr-Universität BochumKnappschaftskrankenhaus Bochum-LangendreerIn der Schornau 23-2544892 Bochummartin.kunkel@ruhr-uni-bochum.de

Dr. med. Georg FronhöferFacharzt für Hals-, Nasen-, OhrenheilkundeUnterstr. 644892 BochumDr.Fronhoefer@gmx.de

Literatur:Roselle, H.A., Hermann, M. (2010) A heartySneeze. Lancet 376: 1872

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