Gastkommentar

Hippokrates 2011

„Rein und heilig werde ich mein Leben und meine Kunst bewahren …“, heißt es im Eid des Hippokrates. Wie weit Staat und Politik vom Berufsethos der Mediziner entfernt sind, zeigt gerade dieser Satz: Managed Care gegen Berufung, Systemsteuerung gegen die Intention, sein Leben in den Dienst des Heilens zu stellen. Das ist die gesundheitspolitische Realität für das Jahr 2011, meint Thomas Grünert, Chefredakteur von Vincentz Network Berlin.

Nachdem Gesundheitsminister Philipp Rösler mit erstaunlichem Geschick eine Finanzierungsreform der GKV auf den Weg gebracht hat, ist 2011 das Jahr struktureller Änderungen. Bei der – politischen – langfristigen Stabilisierung des Gesundheitssystems geht es letztendlich um nicht weniger als die Zukunft der ärztlichen und zahnärztlichen Berufsausübung. Auch wenn der Eid des Hippokrates von deutschen Medizinern nicht mehr geschworen wird, so war und ist sein Inhalt doch gewissermaßen ungeschriebenes ethisches Gesetz, auf das sich viele Strukturen unserer Gesundheitsversorgung gründen. Röslers Plan ist ein neues Versorgungsgesetz, das auch ärztliche Honorarstrukturen neu überdenken soll. Einerseits will er damit die flächendeckende Versorgung sicherstellen und den ärztlichen Beruf attraktiver machen. Andererseits werden sicherlich auch Strukturen jenseits der heute üblichen Form freiberuflicher ärztlicher Tätigkeit Regelhaftigkeit gewinnen. Kernfrage wird sein, wie weit die ganz individuelle Vertrauensbeziehung des Mediziners zum Patienten dabei zu erhalten ist. Denn darin liegt über die Jahrhunderte die klare Verbindung von Hippokrates zu seinen Nachfolgern. Heilen ist eben weit mehr als Gesundheit managen. Um diese Aufgabe zu bewältigen, gehören insbesondere zwei Bereiche in die Hand der Zahnärzte und Ärzte: Das Verhandlungsmandat über eine faire Honorierung der Leistungen und die ausschließliche Kompetenz für die Qualität. Auch diese Punkte sind laut Hippokrates Kernsubstanz ärztlicher Arbeit und Verantwortung. Doch wie sehen nun die Optionen aus? Mit Spannung darf man in diesen Tagen verschiedene Vorschläge verfolgen, wie neue Versorgungsstrukturen aussehen könnten. Da ist zum einen das Modell des Kieler Gesundheitsökonomen Dr. Drabinski, das Kostenerstattung, Einzelleistungvergütung, Wegfall der Praxisgebühr und mehr Eigenverantwortung des Versicherten vorsieht. Er soll im Rahmen eines „Gesundheitskontos“ zehn Prozent der für ihn rechnerisch veranschlagten ambulanten Kosten selbst verwalten. Nutzt er sein Budget nicht, gibt’s Geld zurück. Cash-Back statt Vorkasse! Basis aller Vergütung soll eine betriebswirtschaftlich gerechnete Gebührenordnung sein – sprich GOZ und GOÄ. Der Unterschied zwischen gesetzlich und privat Versicherten bestände da nur noch im Hebesatz. Doch birgt nicht gerade ein Hebel am Hebesatz die Gefahr einer Steuerung nach politischer Großwetterlage? Überraschend ist, dass KVen reihenweise dem Modell zujubeln. KBV-Chef Köhler verkündete gar das Ende des EBM und Budget-gedeckelter Honorarordnungen. Das Feintuning dieses Modells wird sicher Stoff für spannende Diskussionen in 2011 sein. Doch auch die Opposition meldet sich wieder zu Wort. Während Prof. Karl Lauterbach für die SPD mit seiner Version der Bürgerversicherung wundersamerweise noch zu den gemäßigten Vertretern gehört, die keine starke Anhebung der Beitragsbemessunggrenze (Beginnt hier etwa schon der Wahlkampf?) und mehr Steuermittel für das System fordern, macht sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) mit den Grünen gemein: Eine Radikal-Version der Bürgerversicherung soll das Heil bringen. 5 500 Euro Beitragsbemessungsgrenze und noch drei Prozent Soli drauf für Besserverdienende, PKV abschaffen, den Beitragssatz der GKV auf 13 Prozent senken! Utopia beginnt offenbar nicht erst im Wahlkampf 2013 sondern jetzt. Dass Gesundheitsversorgung aber nicht durch politische Phantasien umsetzbar ist, muss sich die Politik wohl auch 2011 erneut in Erinnerung rufen. Die Verantwortung der Mediziner im Sinne des Hippokrates kann nur dann weiter wahrgenommen werden, wenn ihnen Systemphantasien nicht die Existenzgrundlage entziehen.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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