Der besondere Fall

Vergessener Streifen war der Übeltäter

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Ein Patient mit einem Abszess ist ja eigentlich normal für eine kieferchirurgische Praxis. Auch, dass die Genese nicht ganz klar ist. Aber dass es sich dabei dann um einen vergessenen Streifen handelte, das ist doch relativ ungewöhnlich.

Ein 21-jähriger Patient mit unauffälliger Allgemeinanamnese wurde aufgrund einer zunehmenden schmerzhaften, paramandibulären Schwellung links in unsere Praxis überwiesen. Anamnestisch war zu erfahren, dass dem Patienten vierzehn Monate zuvor alle vier Weisheitszähne entfernt worden waren. Der Eingriff wurde in einer Praxis für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie durchgeführt und verlief nach Aussage des Patienten komplikationsfrei. Vor vier Wochen wurde der Patient aufgrund einer Schwellung des linken Unterkiefers von seinem Hauszahnarzt wieder in eine Praxis für Mund-, Kieferund Gesichtschirurgie überwiesen. Laut Arztbrief erfolgte dort eine enorale Abszessinzision regio 38 und eine anschließende Streifeneinlage sowie begleitend eine antibiotische Therapie mit Clindamycin 600mg für die Dauer von zwei Wochen. Der Verdacht einer Aktinomykose-Infektion als Ursache der Entzündung konnte damals bei der histologischen Untersuchung des entnommenen Biopsiematerials nicht bestätigt werden. Der Patient berichtete über eine anfängliche Besserung der Beschwerden während des Zeitraums der Streifeneinlage. Nachdem diese entfernt wurde, kam es jedoch trotz der Antibiotikamedikation zu einer erneuten Zunahme der Schwellung. Bei der klinischen Untersuchung in unserer Praxis zeigte sich eine fluktuierende Schwellung paramandibulär links, die durch einen derben Randbereich begrenzt wurde. Die Zähne 35 bis 37 reagierten im Kältetest mit CO 2 -Spray sensibel und nicht perkussionsoder druckempfindlich. Die Mundöffnung war nicht eingeschränkt und es bestanden keinerlei Schluckbeschwerden. Röntgenologisch zeigten sich im OPT keine Besonderheiten, insbesondere keine pathologischen Befunde. In lokaler Anästhesie wurde der subkutane Abszess von extraoral inzidiert und die Wundhöhle mit H 2 O 2 gespült. Während der Spülung löste sich aus der Tiefe der Wundhöhle ein Fremdkörper, der sich bei näherer Untersuchung als Gazestreifen herausstellte (siehe Abbildung). Nach der Entfernung des Streifens wurde die Wunde mittels Gummilasche drainiert und mit einem Wundverband abgedeckt. Die Medikation wurde umgestellt auf Megacillin 5M. Postoperativ erfolgten ein täglicher Verbandswechsel sowie die Spülung der Wundhöhle bis keine Pusbildung mehr festzustellen war. Bereits nach zwei Tagen hatte sich der Lokalbefund deutlich gebessert; die Schwellung war rückläufig und die Schmerzen waren nahezu nicht mehr vorhanden. Das Antibiotikum wurde nach insgesamt sieben Tagen abgesetzt.

Diskussion

Verbleiben Fremdmaterialien, wie zum Beispiel textile Drainagestreifen, im Gewebe, können diese dort lange Zeit unbemerkt ruhen, sofern sie keine Infektionen in Form von Abszessen hervorrufen. Nach einiger Zeit werden sie durch eine Kapsel aus Bindegewebe umhüllt, die sie vom Immunsystem abschirmt. Kommt es jedoch zu einer Infektion der im Gewebe verbliebenen Materialien, kann dies zu Komplikationen führen, wie zum Beispiel zur Bildung von Abszessen oder zu chronischen Entzündungen mit Fistelbildung. Ist das im Gewebe verbliebene Fremdmaterial wie im vorliegenden Fall röntgenologisch nicht nachweisbar, wird dieses oft erst nach einem jahrelangen Leidensweg und mehreren Therapieversuchen durch Zufall entdeckt. Um solchen postoperativen Komplikationen vorzubeugen, sollten eingebrachte Fremdmaterialien stets in der Patientenakte vermerkt und deren Entfernung dokumentiert werden, um so das Risiko des Verbleibens eines Fremdkörpers im Wundbereich auszuschließen.

Dr. Jürgen SchartmannZÄ Alexandra BieckAlpspitzstr. 782467 Garmisch-Partenkirchenalexandra.bieck@gmx.de

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