Mundhygiene unter drei Jahren

Mundpflege spielend leicht

Verschiedene elterliche Verhaltensweisen fördern die Freude von Kindern unter drei Jahren an der Mundpflege. Dabei erläutern die Autorinnen, wie Eltern ihrer Verantwortung für einen gesunden Kindermund spielend leicht nachkommen können.

Der frühe Beginn der Zahnpflege gilt neben dem frühen Zahnarztbesuch und dem Trinken aus dem offenen Becher als signifikanter Faktor für lebenslange Zahngesundheit [Yüksel, 2010].

Mundpflege sollte von Anfang an ein selbstverständlicher Teil der Körperpflege eines Kindes sein. Eltern sollten neugierig schauen und fühlen, was im Mund ihres Babys passiert (siehe Kasten unten). Durch das Beobachten und Vergleichen werden sie zu „Experten“ für den Mund ihres Kindes.

Zu Lebensbeginn entsteht zwischen Kind und primärer Bezugsperson, meist die Mutter, eine enge Beziehung, die dem Schutz des Kindes dient. Dabei ist das Kind aktiv und hat die Initiative bei der Bildung von Bindung [Bowlby, 1975].Kleinkinder lernen vor allem im Alltag in sozialen Interaktionen [Staatsinstitut für Frühpädagogik (IFP), 2010] mit ihren wichtigsten Bezugspersonen. Säuglingspflege ist immer soziale Interaktion.

Für die Mundpflege heißt das: Zunächst ist das eine gute Beziehungserfahrung. Der liebevolle Blick der Mutter dient als Hinweisreiz für etwas „Angenehmes“ [Makuch 2008], wodurch das Kind die Mundpflege von Anfang an emotional positiv besetzt. In der Zeit der (Mund-)Pflege erhält das Kind fokussierte Aufmerksamkeit (Mindfulness) [zum Beisspiel John Kabat-Zinn].

Nach Emmi Pickler [2005] soll die Pflegehandlung ohne Eile (entschleunigt) mit freundlichen, sanften und achtsamen Bewegungen durchgeführt werden. Eltern verhalten sich intuitiv passgenau. Sie sprechen wie selbstverständlich überbetont in einer höheren Tonlage, langsamer und deutlicher, machen Pausen und begleiten die eigene Sprache mit einer ausgeprägten Mimik. In der Literatur werden hierfür die Begriffe „gerichtete Sprache“, „Ammensprache“ oder auch „Baby Talk“ [IFP, 2010] verwendet.

Was sehen die Eltern beziehungsweise Bezugspersonen im Kindermund? Am Lebensanfang ist der Kieferkamm des Kindes eine dünne, bewegliche, nicht keratinisierte und weiche Schleimhautfalte. Nach etwa sechs Wochen ist daraus ein breiter, harter und keratinisierter Kieferkamm geworden. Die unter der Schleimhaut stehenden Milchzahnkronen erkennt man an den Vorwölbungen. Zwischen dem Ende des vierten und dem Ende des zehnten Monats erscheinen im Durchschnitt die ersten Milchzähne. Im Oberkiefer schieben sie sich nach labial durch den Kieferkamm, im Unterkiefer stülpt sich der Kieferkamm in der Mitte ein und die Zähne erscheinen unter dem Niveau des Kieferkamms. Bis man sie sehen kann, vergehen einige Wochen.

Eltern als Partner des Prophylaxeteams

Eltern sind nach den modernen Bildungskonzepten Experten für ihr Kind. Sie sind nicht mehr Konsumenten von (zahnmedizinischen) Dienstleistungen, sondern gleichwertige und gleichberechtigte Partner bei Fragen der Bildung und der Erziehung ihres Kindes [Textor, 2010].

Das Prophylaxeteam ist bei einem Kind unter drei Jahren auf die Eltern angewiesen, da diese die Zahngesundheit ihres Kindes erhalten. Zwar bringt das Prophylaxeteam seine zahnmedizinische Fachkompetenz ein, doch kann es ohne die Hilfe der Eltern keine Lösung eines zahnmedizinischen Problems erreichen. Die Umsetzung der Mundpflege eines Kindes ist deswegen immer auch eine Erziehungsfrage, die in Abhängigkeit der sehr unterschiedlichen Einstellungen und Gewohnheiten der Eltern beantwortet werden muss.

Trotz aller Unterschiedlichkeit haben alle Eltern ein Konzept von sich selbst und ihrer Selbstwirksamkeit [Makuch, 2011]. Eltern mit einer niedrigen Selbstwirksamkeitserwartung putzen die Zähne ihrer Kinder nicht, weil sie von sich selber glauben, dass sie nicht kompetent sind, das Ergebnis „Zahngesundheit“ bei ihrem Kind zu bewirken. Sie halten das Prophylaxeteam und später ihr Kind für kompetent, zuständig und wirksam.

Deswegen ist es wichtig mit den Eltern die Kieferkamm-Massage und später die Pflege der Kinderzähne zu üben. Im Üben liegt für die Eltern der Beweis ihrer Kompetenz. Durch die positive und freudige Reaktion ihres Kindes werden sie in ihrem Verhalten bestärkt.

Das Spiel mit der Zahnbürste zulassen

Das sensomotorische Spiel ist die früheste Form des Spielens und charakteristisch für Kinder von null bis drei Jahren. Säuglinge berühren und erforschen dabei zunächst eigene Körperteile und später auch Gegenstände. In den ersten vier Monaten ertasten und erschmecken sie ihre Umwelt vor allem mit dem Mund. Sie erkunden Gegenstände an unterschiedlichen Stellen mit den Lippen und der Zunge. Der Mund ist der erste Erfahrungsraum und bleibende Erkenntnisraum eines Kindes, durch ihn lernt es, Form, Gestalt und erste Begrenzungen zu erfassen [Makuch, 2011].Erst danach gewinnt die Exploration mit den Händen Priorität: Säuglinge und Kleinkinder werden zu aktiven Forschern und Entdeckern. Sie sind motiviert, sich neues Wissen anzueignen, und haben besonderen Spaß am Lernen, wenn sie selbst Einfluss auf das Spiel nehmen können.

Für die Mundpflege heißt das: Kinder sollten mit einer Zahnbürste spielen dürfen. Eltern beziehungsweise Bezugspersonen sollten ihnen das Spiel ermöglichen. Im Spiel entwickelt das Kind Freude an seiner Zahnbürste. Diese Freude sichert das Aufrechterhalten der Mundpflege, auch später in belastenden Lebensumständen. Zahnpflege wird zur Lust, statt Last zu sein. Nach Makuch [2008] sollte die Zahnbürste spielerisch in das Pflegeverhalten einbezogen werden, noch bevor Zähne vorhanden sind. Denn: Wird dieser Zeitpunkt verpasst und die Zahnbürste rein zweckgebunden eingesetzt, kann dies beim Kind bereits Abwehr erzeugen. Dies erklärt unter anderem, warum ein Teil der Kinder sich gegen die Zahnpflege durch die Eltern wehrt.

Kleinkinder lernen durch Nachahmung

Schon Neugeborene können mimische Gesten nachahmen. Kinder lernen zum einen durch die Imitation ihrer Bezugspersonen, sie brauchen aber auch ihresgleichen, um sich gemeinsam Wissen anzueignen und Bedeutungen zu erforschen. Für die Mundpflege heißt das: Eltern sollten ihre eigene Zahnpflege dem Kind sichtbar machen. Das Lernen durch Nachahmung wird durch Kindertageseinrichtungen unterstützt, wenn hier die Zahnpflege zur Alltagsroutine gehört [Thumeyer, 2011].

In der Gruppe kann zudem für alle Kinder unabhängig von ihrem familiären Hintergrund die „soziale Norm Mundpflege“ gesetzt [Thumeyer, 2005] werden. Die pädagogischen Fachkräfte und die anderen Kinder haben dabei eine prägende (Vorbild-) Funktion.

Kinder brauchen neben einer sicheren Bindungsbeziehung eine feste Struktur und bekannte vorhersehbare Abläufe [Papousek et al., 1987].Kinder ab etwa sechs Monaten können bereits einfache Zusammenhänge erfassen. Abweichungen von diesen Reihenfolgen rufen oft große Unruhe und Protest in Form von Weinen und Schreien hervor.

Für die Mundpflege heißt das: Eltern sollten die Mund- beziehungsweise Zahnpflege in das tägliche Körperpflegeritual integrieren. Beim Windeln morgens und nach dem Waschen abends bekommt das Kind seine Zahnbürste, damit es darauf herumkauen kann. Morgens und abends integrieren die Eltern die Kieferkamm-Massage oder das Sauberputzen der Milchzähne in die Körperpflege. Wenn diese nur wenige Sekunden dauernde Pflegehandlung in festen und vorhersehbaren Abläufen integriert ist, wird das Kleinkind diese von sich aus einfordern.

Musik fördert die Freude an der Mundpflege

Von Anfang an haben Kinder ein großes Interesse an Reimen, Laut- und Sprachspielen und Liedern. Musik aktiviert das limbische System: Wir fühlen, bevor wir denken. Des Weiteren ermöglicht das limbische System über direkte neuronale Verschaltungen die Abspeicherung im Langzeitgedächtnis [Kapteina, 2011].

Für die Mundpflege heißt das: Eltern beziehungsweise Bezugspersonen sollten bei der Mundpflege singen – etwa das Zahnputz-Zauberlied (erhältlich beim Verein für Zahnhygiene Darmstadt oder „Zahnputzzauber“ aufwww.youtube.de). Nach Makuch [2000] stellt das Lied eine inhaltliche, zeitliche und emotionale Stütze für Kinder und Eltern dar. Am Anfang ist das Zahnputzlied nur ein eindeutiges Signal für die Pflegehandlung im Kindermund [Thumeyer, 2009]. Das Lied dient der emotionalen Kopplung der Mundpflege bei der Abspeicherung im Langzeitgedächtnis. Im zweiten und im dritten Lebensjahr werden Kinder durch das Lied musikalisch an die Zahnpflege erinnert. Durch den vierten Vers („Jetzt ist meine Mama dran, fängt bei mir zu putzen an, hin und her, rundherum, wische aus, jetzt ist aller Schmutz heraus“) fordern Kinder ihre Eltern ganz selbstverständlich zur Zahnpflege auf [Thumeyer, 2011].

Dies reduziert wiederum Verweigerungssituationen bei der Zahnpflege und fördert die Freude der Kinder auf das Zähneputzen durch die Eltern. Nach Makuch [2000; 2008] soll die Zahnpflege durch die Eltern einen Belohnungscharakter für das Kind haben.

Für die Mundpflege heißt das: Erwachsene lassen das Kauen auf der Zahnbürste zu, denn sie unterstützen damit die Freude des Kindes an der Mundpflege, die Ritualisierung und die soziale Beteiligung.

Zwei Zahnbürsten für ein Kind

Man sollte Eltern dafür zwei Zahnbürsten empfehlen: eine zum Kauen für das Kind (Kinderzahnbürste) und eine funktionstüchtige für die Eltern zum Sauberputzen der Kinderzähne (Elternzahnbürste). Beide Zahnbürsten sollten alle drei Monate gewechselt werden.

Beim Erlernen der KAI-Zahnputzsystematik im zweiten und im dritten Lebensjahr sind der motorische und der kognitive Entwicklungsstand zu berücksichtigen. Wie neurobiologische Forschungen belegen, sind motorische Leistungen auf Reifungsprozesse im Gehirn zurückzuführen. Erst wenn das Gehirn eine bestimmte motorische Leistung freigegeben hat, kann sie durch Üben weiterentwickelt und verfeinert werden. Nachgeahmt werden kann also nur, wozu das Kind motorisch und kognitiv in der Lage ist [Bandura, 1975; Makuch et al., 2011].

Die Investition in frühe Bildung in den ersten fünf Lebensjahren hat langfristig den höchsten volkswirtschaftlichen Nutzen. Der positive Nutzen ist jedoch von einer hohen Qualität des pädagogischen Angebots abhängig. Festzuhalten bleibt: Frühe institutionelle Bildung von Kindern kombiniert mit einer lebendigen Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit den Eltern, in Kindertageseinrichtungen und in zahnärztlichen Praxen gibt allen Kindern die gleiche Chance auf einen gesunden Kindermund [Thumeyer, 2010; 2011].

■ Eine Langversion des Textes ist unterwww.kindergartenpaedagogik.de/2215.pdfim Netz eingestellt.

Dr. Andrea ThumeyerRhonestr. 460528 Frankfurt

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