Der Zahnarzt in der Genremalerei

Angeber haben mehr vom Leben

Heftarchiv Gesellschaft
pr
„Lügen wie ein Zahnarzt“ oder „Wer angibt, hat mehr vom Leben“ – diese vermeintlichen Weisheiten verbergen sich in Gemälden über den zahnärztlichen Berufsstand des 17. Jahrhunderts. Gerade die niederländische Genremalerei bringt erstaunliche Interpretationen und Sichtweisen über die Profession an den Tag – vorausgesetzt, man weiß die versteckten Botschaften der Bilder zu deuten.

Die Analyse historischer Bildmedien erfährt bis heute in wissenschaftlichen Arbeiten zur zahnärztlichen Professionsentwicklung nicht die ihr zustehende Aufmerksamkeit. Diese Tatsache erstaunt, da man bei der Betrachtung und Analyse von Bildquellen aufschlussreiche Einblicke zur gesellschaftlichen Stellung des Berufsstands im historischen Kontext gewinnen kann. Dazu ist es notwendig, inhaltliche Bildcodes, die nicht auf den ersten Blick zu entschlüsseln sind, für den heutigen Betrachter verständlich zu machen [de Jong, 1971]. Bei diesen Bildanalysen stellt sich die Frage, ob in der Außenschau auf den zahnärztlichen Berufsstand und im Auftreten seiner Akteure im Laufe der letzten Jahrhunderte ein grundsätzlicher Wandel erfolgt ist oder ob sich Konstanten feststellen lassen, die sich bis zum heutigen Tag im Bewusstsein des Bildbetrachters als Erinnerungsspuren festgesetzt haben.

Die Hochzeit der Genremalerei

Die niederländische Genremalerei des 17. Jahrhunderts hat sich besonders intensiv mit dem Bildmotiv der zahnärztlichen Behandlung auseinandergesetzt. Doch nicht erst zur Barockzeit widmeten sich die Künstler in den Niederlanden der Darstellung von Quacksalbern und Zahnbrechern. Der Bildgegenstand ist vielmehr bereits früher anzutreffen – allerdings nicht als eigenständiges Bild, sondern versteckt im Kontext religiöser Darstellungen. So zeigt beispielsweise ein Triptychon des Hieronymus Bosch (1450–1516), das unter dem Namen „Der Heuwagen“ im Prado Museum in Madrid aufbewahrt wird, im Vordergrund der Mitteltafel einen Zahnbrecher bei der Arbeit (Abbildung 1) [Katalog Rotterdam, 2001]. Als die erste eigenständige Genreszene gilt der bekannte Kupferstich „Der Zahnarzt“ des Lucas van Leyden (1494–1533, Abbildung 2). [Katalog Braunschweig, 1978].

Die Gesamtheit der Genrebilder lässt sich in zwei große Gruppen einteilen: Bei der ersten agiert der Zahnarzt im Freien (Abbildung 3), bei der zweiten in einem geschlossenen Raum (Abbildung 4). Weitere Sortierungen betreffen die Anzahl der dargestellten Personen. So gibt es Szenen in Innenräumen mit nur zwei Protagonisten, dem Zahnarzt und seinem Patienten (Abbildung 5). Sehr häufig wird noch eine dritte Person hinzugefügt, die das Geschehen mitleidig oder schadenfroh verfolgt und die Zweiergruppe zur typischen „Trias“, Zahnbrecher, Patient und Zuschauer, erweitert (Abbildung 6).

Bei den personalintensiveren Bildern im Freien kann wiederum unterschieden werden, ob die Behandlung innerhalb der Mauern einer Stadt (Abildung 7) oder vor deren Toren angesiedelt ist (Abbildung 8).

Das Bild spiegelt das Renommee

Die Unterscheidungskriterien sind von Bedeutung, da sich in ihnen das hierarchisch gegliederte System der ärztlichen und auch zahnärztlichen Versorgung zur damaligen Zeit widerspiegelt. Ganz oben rangierten die universitär ausgebildeten Ärzte, die in erster Linie rein internistische Behandlungen durchführten. Das populärste Motiv in der Genremalerei ist in dieser Hinsicht der sogenannte „Arztbesuch“, bei dem ein zumeist älterer Mediziner den Urin einer jungen Frau untersucht, die allerdings an keiner körperlichen Erkrankung leidet, sondern an melancholischer Liebeskrankheit [Brown, 1984; Petterson, 2000].

Neben diesen internistisch tätigen Ärzten gab es die Chirurgen, die im Wesentlichen operativ-handwerklich tätig waren und in ihrer gesellschaftlichen Stellung nach den Ärzten rangierten [von Brunn, 1921]. Ihr Bestreben war gesellschaftliche Anerkennung, weshalb sie sich in Gilden und Zünften mit strengen Regeln organisierten.

Unter Quacksalbern und Scharlatanen

Sie waren um Abgrenzung von den auf der untersten Stufe angesiedelten Badern, Quacksalbern und Scharlatanen bemüht, denen es im Allgemeinen untersagt war, in den Städten zu praktizieren, und die daher ihre improvisierten Behandlungsstätten im Freien aufbauten.

Die Missachtung durch die offiziellen Chirurgen und die Gefahr vor unliebsamer Konkurrenz führten zu Verleumdung und zur Gleichsetzung der Tätigkeit der Bader mit Pfusch und Schwindel. Allerdings war ihr handwerkliches Können durchaus beachtlich, was sie für die kostengünstige zahnärztliche Behandlung breiter Bevölkerungsschichten unverzichtbar machte.

Den schlechten Ruf verdankten die Quacksal ber in erster Linie weniger ihrem mangelnden Können als vielmehr ihrer ausgesprochenen Geldgier und damit einhergehend dem marktschreierischen Auftreten im öffentlichen Raum. Sie waren gezwungen, durch imponierendes Gehabe, Taschenspielertricks und exotische Requisiten die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und mussten sich, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein, in der Öffentlichkeit ganz bewusst in Szene setzen [Katalog Mönchengladbach, 1998; Irsigler et al., 2004; Meier, 2005].

Der Begriff der „Inszenierungsqualität“ wird somit zur bestimmenden Leitkategorie von Quacksalberbildern. Man sieht, dass der Berufsstand des Zahnarztes bereits in früher Zeit durch einen Dualismus in der Ausbildung gekennzeichnet war, der bis in die jüngste Gegenwart fortbestand und sich auf der einen Seite im akademisch ausgebildeten Zahnarzt und auf der anderen Seite im handwerklich geprägten Dentistenstand niederschlug.

Die Entschlüsselung der versteckten Bildmotive

In der folgenden Bildanalyse einer für die Zeit typischen Quacksalberdarstellung soll die oben angesprochene Entschlüsselung versteckter Bildmotive exemplarisch durchgeführt werden. Analysiert wird das Bild in Anlehnung an die von Erwin Panofsky für die Kunstwissenschaft entwickelte, mehrstufige ikonologische Methode, in der der Interpretationsrahmen systematisch von der gegenständlichen über die sozialgeschichtliche bis zur ideengeschichtlichen Ebene erweitert wird [Panofsky, 1932/1979; Panofsky, 1939/1980; Panofsky, 1955/1978].

Kunstwerke werden bei Panofskys Analysen nicht isoliert betrachtet, sondern immer in Zusammenhang mit dem jeweiligen Zeitgeist, weshalb die Methode auch im Rahmen bildungs- und sozialwissenschaftlicher Bildinterpretationen Anwendung findet und daher ebenfalls ein ideales Instrument für Betrachtungen der Professionsentwicklung darstellt.

Auf Lambert Doomers (1622/23–1700) Darstellung (Abbildung 9) hat ein umherwandernder Zahnbrecher vor den Toren einer Stadt seine Utensilien aufgebaut und ist im Begriff, einem bäuerlich gekleideten Mann einen Zahn zu ziehen. Inhaltlich und formal lassen sich drei Personengruppen unterscheiden: zum einen die Gruppe um den Zahnbrecher mit dem Patienten und einer jungen Frau im Vordergrund, zum anderen im Bildmittelgrund eine Gruppe von sieben Personen, die – vom Treiben eines kleinen Affen abgelenkt – das Geschehen im Vordergrund nicht wahrnehmen, und schließlich eine Dreiergruppe auf der linken Bildseite.

Der während der Arbeit zufrieden lächelnde Zahnarzt ist prächtig gekleidet und trägt an seiner Seite sogar einen Säbel. Der Patient liegt mit seinem Oberkörper im Schoß des Quacksalbers. Sein Unterleib ruht auf einem Schemel, wobei sein linkes Bein fest auf der Erde steht und das rechte halb gekrümmt in der Luft schwebt. Seine linke Hand ist vom zu erwartenden Schmerz der Zahnbehandlung krampfhaft zur Faust geballt. Hinter dem Zahnbrecher und dem Patienten steht eine ebenso elegante wie attraktive junge Frau an den Tisch gelehnt. Ihre Hauptaufgabe als Assistentin besteht in erster Linie darin, durch ihre Reize männliche Kunden anzulocken.

Exotisch wirkt der große Sonnenschirm. An der Rückwand ist eine Reklametafel angebracht. Am Ende des Tisches ist ein kleines Äffchen damit beschäftigt – in Analogie zum Zahnbrecher vorne –, den Kopf eines jungen Mannes zu untersuchen. Links vom Tisch nähert sich eine alte Frau auf Krücken.

Ihr hämisches Grinsen drückt Schadenfreude aus – ein Motiv, das einem auf Zahnbrecherbildern immer wieder begegnet (siehe Abbildung 4). Die Alte weiß aus eigener Erfahrung, was der arme Patient erduldet.

Erst auf den zweiten Blick ist ein kleiner Junge zu erkennen, der einer vom Treiben des Affen abgelenkten Frau, die Geldbörse abschneidet. Im Vordergrund verrichtet ein Hund sein Geschäft.

Interpretieren heißt dechiffrieren

Bei Doomers Zeichnung handelt es sich vom ikonografischen Standpunkt aus gesehen um eine für die Genremalerei des 17. Jahrhunderts in den Niederlanden typische Quacksalberdarstellung eines umherziehenden und vagabundierend tätigen Zahnbrechers [Meige, 1900; Koch, 1911; Pindborg, 1960; Proskauer, 1962; Proskauer, 1967; Wasserfuhr, 1970; Baron, 1986; Fresia, 1991; King, 1995]. Über einen langen Zeitraum hinweg galt diese Art der Genremalerei als betuliches Abbild der Wirklichkeit ohne Hintergedanken.

Erst nach und nach begann man, den versteckten Bedeutungsinhalten dieser Bilder nachzuspüren [de Jong, 1971; Renger, 1978; Blankert, 1987; Bruyn, 1987; Hecht, 2004; Katalog Frankfurt, 2004; Katalog Hamburg, 2004]. Der zeitgenössische Betrachter verstand die Anspielungen auf den Bildern auf Anhieb. Heute hingegen ist man darauf angewiesen, den Bildtext gewissermaßen zu dechiffrieren, wobei Werke der Literatur, Sprichwörter oder Embleme dienlich sind [Dittrich, 1978; Hecht, 1992; King, 1995]. So stehen Quacksalberbilder allgemein betrachtet immer auch im Zusammenhang mit der Vanitasikonografie: Der Verlust eines Zahnes ist eindringliches Menetekel der Vergänglichkeit des menschlichen Lebens [Rudolph, 1938].

Im Rahmen von Bildzyklen mit der Darstellung der fünf Sinne symbolisieren Zahnbrecherdarstellungen oft den Gefühlssinn [Kaufmann, 1943; Putscher, 1971].

Die Mehrfachfunktion des Affen

Die tiefere Bedeutung einiger ikonografischer Bildmotive, die gleichsam leitmotivisch immer wiederkehren, sollen im Folgenden ausführlicher untersucht werden. So erfüllt der Affe eine mehrfache Funktion [Janson, 1952]: Er dient dem Quacksalber zunächst als auffälliger Werbeträger zur Anlockung der Kundschaft, indem er menschliches Handeln imitiert. In der Volksüberlieferung verkörpert das Tier darüber hinaus die niederen Instinkte des Menschen und ist das negative Symbol des Triebhaften schlechthin. Der Affe auf Zahnbrecherbildern steht einerseits für den Narren, der auf den Scharlatan hereinfällt, andererseits verweist er auf sündhaftes Verhalten in seiner Umgebung.

Bei den Affen hat immer auch die Fähigkeit erstaunt, menschliches Verhalten zu imitieren. So ist sein Tun als Karikatur zur zahnärztlichen Behandlung zu interpretieren. Der Affe hat auf der Zeichnung somit mehrere symbolische Bedeutungen. Er steht einerseits für den Narren, der sich vom Quacksalber behandeln lässt, andererseits verkörpert er die Sünde, die in seiner unmittelbaren Umgebung geschieht, nämlich die diebische Handlung des beutelschneidenden Jungen.

Das Motiv des Beutelschneiders

Das Bildmotiv des Beutelschneidens erscheint regelmäßig im Kontext von Zahnarztbildern. Sein Ursprung lässt sich durch den engen Kontakt der Scharlatane mit anderen umherziehenden sozialen Randgruppen, wie Gauklern, Wahrsagern oder Zigeunern, erklären. Die Zahnbrecher kamen aufgrund mangelnder medizinischer Ausbildung in den Verdacht, den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen, ein Vorwurf, unter dem die Zahnärzteschaft zum Teil heute noch zu leiden hat. Der „Beschiss“, den der Zahnarzt am Patienten übt, wird durch den Hund im Bildvordergrund augenscheinlich symbolisiert.

Als Inspirationsquelle für die Künstler werden die sogenannten „Rederykerkammern“ angesehen, die als gesellige Rhetorikervereinigungen im gesellschaftlichen Leben der Zeit neben den Schützengilden eine wichtige Rolle im bürgerlichen Leben spielten [Gudlaugson, 1938; Gudlaugson, 1945]. Üblich war, dass ihre Mitglieder an Festtagen wie Kirmes oder Kirchweihfesten burleske, possenhafte Stücke – sogenannte „Tafelspele“ – aufführten. In diesen machten sie sich über allerlei gesellschaftliche Gruppen lustig, in denen die Quacksalber besonders gerne als Zielscheibe derber Späße herhalten mussten, wie etwa das des „Meisters Kackadoris“ [Fresia, 1991]. Der Zahnarzt mit dem anspielungsreichen Namen ist der Prototyp des cleveren Scharlatans, der die Naivität und Gutgläubigkeit der Menschen zum eigenen Vorteil ausnutzt.

Ohne Zweifel wurden im Umkreis solcher „Kluchten“ oder „Kluchtenspiele“, wie sie auch genannt wurden, desavouierende Redewendungen geprägt, wie „er lügt wie ein Zahnbrecher“ (im Französischen ist der Ausdruck „mentir comme un arracheur de dents“ bis zum heutigen Tag gebräuchlich). Es ist davon auszugehen, dass umherziehende Theatertruppen auch die Figur des „Dottore“ aus der italienischen Commedia dell’arte karikierten und die Künstler dies in ihren Bildern nur allzu gerne aufgriffen [Breuer, 1996].

Fazit

Zusammenfassend lässt sich formulieren, dass Bilder als wichtige Quellen der zeitgenössischen Außenschau auf die zahnärztliche Profession gelten können. Zahnbrecherbilder zeigen besonders häufig die Motive von Betrug, Täuschung und Beutelschneiderei. Diese Vorurteile werden, wenn auch in sublimierter Form, dem zahnärztlichen Berufsstand gegenüber zum Teil bis heute immer noch geäußert, gleichwohl die Realität bei Weitem anders aussieht.

Darüber hinaus wurde die Selbstinszenierung des Zahnbrechers auf den Bildern als wichtige Leitkategorie herausgearbeitet. Auch in dieser Hinsicht gibt es mögliche Bezüge zur Gegenwart, denn verstärkter Wettbewerb mit insgesamt sinkenden Einnahmen und die zunehmende Lockerung des Werbeverbots können – einigen Meinungen zufolge – heutzutage als die wesentlichen Ursachen einer bis vor Kurzem undenkbaren marktschreierischen Anpreisung von Zahnärzten zwecks Selbstinszenierung in den verschiedenen Medien angesehen werden [Flöhl, 1996]. Dieser Rückfall in Praktiken einer längst überholt geglaubten Epoche der Zahnheilkunde könnte für Teile der Profession möglicherweise fatale Folgen haben.

Dr. med. dent. Dr. phil. Wolfgang Schug, M.A.

Cecilienstr. 4

66111 Saarbrücken

Schug.Saarbruecken@online.de

INFO

Masterarbeit

Der Text des Autors Dr. Dr. Wolfgang Schug, M.A., beruht auf seiner Masterarbeit „Zahnärztliche Darstellungen in der niederländischen Genremalerei des 17. Jahrhunderts. Zu einigen ikono-graphischen Aspekten“ aus dem Jahr 2006, die im Rahmen des Studiengangs „Integrated Practice in Dentistry“ der Akademie für Zahnärztliche Fortbildung Karlsruhe in Zusammenarbeit mit der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg entstanden ist. Das untersuchte Bildmaterial umfasst insgesamt 71 Zahnarztdarstellungen.

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