Gastkommentar

Wer den Tiger reitet ...

Die richtige Balance zwischen Ethos und Ökonomie zu finden, ist vordringliche Aufgabe der Ärzteschaft, meint Thomas Grünert, Chefredakteur von Vincentz Network, Berlin

„Qi hu nan xia“ heißt ein chinesisches Sprichwort: Wer den Tiger reitet, kann schwer absteigen. Schaut man auf die aktuellen Honorarstreit zwischen Ärzten und Kassen, fällt es nicht schwer, dieses Bild darauf anzuwenden. In einem Akt nahezu maßloser Selbstüberschätzung haben sich die gesetzlichen Kassen unter Führung des GKV-Spitzenverbands über Jahre hinweg die Rolle als führender Gestalter des Gesundheitswesens selbst zugemessen. Die von der Politik mitgetragene Idee, dass Gesundheit vorwiegend Sache eines geeigneten Managements sei, hat die Sozial-Bürokraten darin beflügelt. Die überraschend üppige Finanzausstattung hat die Kassen jetzt offenbar ermutigt, einen Feldzug gegen die Leistungserbringer zu starten. Unterstützt von einem seit Jahren irregeleiteten und von Gerichten gestützten Sozialverständnis, das das berechtigte Interesse von Ärzten, Kliniken und anderen Professionen im Gesundheitswesen hinter die vermeintlichen Möglichkeiten des Sozialstaates zurückstellt, versucht man eine heimliche Systemrevolution nach GKV-Facon. Politikversagen auf breiter Ebene ebnet zusätzlich den Weg dazu.

Die Ärzteschaft ist im Aufruhr. Nicht nur, dass die Kassen auf breiter Ebene ihre Vorstellungen von Qualität und Leistung mit möglichst niedrigen Standardpreisen versehen. Jetzt sollten die Ärzte auch noch mit einer Honoraranpassung zufrieden sein, die – je nach Interpretation – nicht mal die allgemeinen Kostensteigerungen deckt. Die verständliche Protestaktion der Ärzteschaft blieb nicht lange aus. Problematisch ist allerdings, dass die Wogen der Empörung inzwischen so hoch schlagen, dass sich KBV-Chef Dr. Köhler inzwischen unter Druck sieht, den Sicherstellungsauftrag in Frage zu stellen. Abgesehen davon, dass dieses Mandat am Ende vielleicht gar nicht umsetzbar wäre, zielt dieser Schuss auch in eine falsche Richtung. Wollen die Kassen am Ende nicht genau das? Würden sie sich nicht gerne wieder in der Situation vor Einführung der KVen und KZVen fühlen, wo sie Medizinern nach Gutdünken Zulassungen erteilten oder verweigerten?

Heute sähe die Situation vielleicht so aus: Kassen würden mit Konzernen und Kapitalgesellschaften Verträge schließen, die flächendeckende Versorgung organisierten. Werte von Freiberuflichkeit und individueller Arzt-Patientenbeziehung ständen in solchen Strukturen schnell zur Disposition.

Was möchte man aber nun den Medizinern raten? Gerade der Sicherstellungauftrag, die Beziehung zum Patienten, die moralischen und ethischen Werte, die den Arzt in unserer Gesellschaft in einer besonderen Rolle sehen, bilden die Stärke ihrer Profession. Das Vertrauensverhältnis zum Patienten wie auch das Bewusstsein, dass die Entscheidung, Mediziner zu werden, mit einer besonderen gesellschaftlichen Verantwortung verbunden ist, macht stark für Auseinandersetzungen. Der Patient soll im Mittelpunkt stehen. Wer, wenn nicht die Ärzte und Zahnärzte, könnten dafür die Voraussetzungen schaffen? Dass dieses ein politisches und ein Verhandlungskapital ist, zeigen nicht zuletzt nahezu wahlentscheidende Aktionen der Ärzteschaft vor den letzten bayerischen Landtagswahlen. Das Papier der Kassen macht nie gesund – die Zuwendung des Arztes sorgt meistens für Heil. Und der Patient wird am Ende sicher nicht glücklich, wenn durch strategische Züge der Akteure im Gesundheitswesen seine Versorgung gefährdet wird. Die Lösung mag in der richtigen Balance liegen, auch wenn es für die Mediziner oft so aussieht, als sei Ihnen an Ende die Rolle des Sisyphos zugedacht. Der war bekanntlich von den Göttern dazu verdammt, einen Stein immer wieder den Berg hoch zu rollen. Vielleicht liegt ein wenig Trost in der Beschreibung des französischen Nobelpreisträgers Albert Camus in seinem „Mythos von Sisyphos“. Im letzten Satz des Buches heißt es: Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“

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