Gastkommentar

Echt irre

Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr hat zum Jahresanfang 2012 einige offene Baustellen: Wie geht es weiter mit der Pflegereform? Wie viel Geld schießt der Finanzminister dazu? Werden Krankenkassen und Pharmaindustrie einen Modus finden, die Ausgaben der Kassen für Pillen und Pasten dauerhaft zu reduzieren? Über allem aber schwebt die Frage: Wie geht es weiter mit der FDP, die auch zum Jahreswechsel in ihrem Drei-Prozent-Loch hockt und nicht weiß, ob und wie sie wieder hinauskommt?

Über solche Fragen könnte leicht in Vergessenheit geraten, dass Bahr eine Standardsorge deutscher Gesundheitsminister der vergangenen 20 Jahre nicht umtreibt: Geldmangel. Denn Geld gibt’s gerade genug. Der Gesundheitsfonds scheint vor Beitragseinnahmen fast zu platzen. Neun Milliarden Euro dürfte er Ende des abgelaufenen Jahres auf der hohen Kante gehabt haben. Das ist ein Drittel mehr, als die Reserven für laufende Ausgaben und den 2012 nicht notwendigen Sozialausgleich erfordern.

Noch einmal mindestens drei Milliarden Euro dürften die Krankenkassen zum Jahresende auf der hohen Kante gehabt haben. Um den Betrag haben die Zuweisungen des Fonds die erwarteten Ausgaben der Kassen übertroffen. Im Endeffekt sind damit Reserven von zwölf Milliarden Euro oder konservativ geschätzt sechs Milliarden Euro im System.

Es kommt noch toller. Auch wenn der Wirtschaftsaufschwung wegen der Staatsschuldenkrise an Kraft verliert, so deuten alle Prognosen darauf hin, dass der Beschäftigungsaufbau (Stichwort Fachkräftemangel) auch in diesem Jahr weitergeht. Mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bei steigenden Gehältern bedeutet aber steigende Einnahmen der Sozialkassen, nicht nur in der Renten- und in der Arbeitslosenversicherung, sondern eben auch im Gesundheitsfonds. Während der Fonds sich weiter mit Geld vollsaugt, sehen auch die Kassen bei unveränderten Zuweisungen und trotz steigender Ausgaben zuversichtlich ins neue Jahr.

Könnte es einen größeren gesundheitspolitischen Erfolg geben? Aber die Gesundheitspolitiker der Koalition, vor allem die der FDP, können sich nicht so richtig freuen. Denn mit ordnungspolitisch fragwürdigen Pharmazwangsrabatten und einer massiven Beitragssatzerhöhung um 0,6 Prozentpunkte haben sie nicht nur die GKV in die finanzielle Hängematte gelegt, sondern auch die Axt an ihre eigene Reform. Immerhin wollen bis April alle großen Kassen ihren Zusatzbeitrag abgeschafft haben. Echt irre: Die Partei, die den Zusatzbeitrag als Instrument der Selbstbeteiligung und Steuerung im Gesundheitssystem installieren wollte, schafft ihn gleich wieder ab, aber den Gesundheitsfonds, den sie abschaffen wollte, stärkt sie.

Dass ein paar Kassen jetzt schon maulen, 2013 werde es wieder schlechter, passt zwar in die wirtschaftliche Stimmungslage. Doch können sie fest davon ausgehen, dass die Politik die Ausschüttungen des Fonds im Wahljahr 2013 so festlegen wird, dass neue Zusatzbeiträge weitgehend vermieden werden können.

Andererseits können die Warnungen dem Minister helfen. Denn der muss nun Überschüsse rechtfertigen und gegen Begehrlichkeiten aus dem nimmersatten System verteidigen. Schon verlangen die Krankenhäuser von den Sparmaßnahmen 2012 ausgenommen zu werden, was die Kassen mit 600 Millionen Euro oder mehr belasten würde. Und die Pharmaindustrie möchte den Solidarrabatt für die GKV lieber heute als morgen gekürzt wissen. Wie teuer die gerade in Kraft gesetzte Landarztreform samt Honorarzuwächsen für Zahnärzte die Kassen letztlich kommen wird, bleibt ebenfalls abzuwarten.

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