Leitartikel

Die Kirche im Dorf lassen

Sehr geehrte Frau Kollegin,

sehr geehrter Herr Kollege,

die jüngsten gesundheitspolitischen Finten der Krankenkassen haben erneut bestätigt: Viele Medien parieren. Sie takten ihre gesundheitspolitische Berichterstattung im Rhytmus herausgegebener Kassenmeldungen.

Kaum waren die enormen GKV-Überschüsse vermeldet, wollten die gesetzlichen Versicherer das an Zahnärzte zu zahlende Privathonorar kontrollieren, prangerten Mängel der PKV an und forderten die Konvergenz der Versicherungssysteme.

Die Zeit zwischen den dicht einschlagenden Nachrichten reichte nicht, sie auf ihren jeweiligen Sachverhalt zu prüfen. Kaum waren die Themen angerissen, erste Fragen gestellt, wurde abgelenkt und interessengesteuert schnell die nächste Sau mit großem Hurra durchs öffentliche Dorf gehetzt.

Auf der Strecke blieben: In jedem Fall begründete Positionen und Hintergründe, ganz zu schweigen vom Wahrheitsgehalt der jeweiligen Behauptungen. Konkrete Antworten gibt es keine, von ausgereiften Lösungen kann der mit „Infos“ zugeschüttete Bürger allenfalls tagträumen.

Diese Art gezielter Befreiungsschläge der Kassen kennt man. Sie sind weder neu noch überraschend. In vielen Medien scheinen sie trotzdem zu funktionieren. Auch die Reaktionen der Öffentlichkeit auf diesen medialen Umzug in böhmische Dörfer waren absehbar. Wer bleibt als interessierter Bürger schon bei der für die gesetzlichen Krankenkassen unangenehmen Überschuss-Debatte, wenn der betroffene Spitzenverband lauthals fordert, man solle uns Zahnärzte wegen der im Privatbereich anfallenden hohen Zusatzkosten kontrollieren?

Wer das qua Fachwissen nicht sofort als tendenzgeprägtes politisches Kabarett einordnen kann, lässt sich sicherlich ablenken. Geschickt eingefädelt?

Viele Medien haben jedenfalls angebissen. Bereitwillig lassen sie sich von Thema zu Thema treiben. Mancher stimmt der im tiefsten Unterbewusstsein vernarbten Auffassung zu, es sei „den Zahnärzten“ zuzutrauen.

Der gedankliche Kurzschluss, dass das unwahrscheinlich sei, weil der Zahnarzt des eigenen Vertrauens ja ganz anders ist, unterbleibt im Trubel des alltäglichen Nachdenkens.

So bewahrt man längst überholte Gerüchte. Dass die Fakten eine andere Sprache sprechen, dass es absurd ist, wenn ein Versicherer sich aufschwingt, die Beiträge seiner Mitglieder zu benutzen, um deren privat abgeschlossene Verträge zu kontrollieren, hat in der Sensationshetze kaum jemand erfasst. Auch dass es bereits genügend Möglichkeiten fachlicher Kontrollen gibt, ficht die „Info-Broker“ der Medien nicht an.

Geht es um das Prinzip „Auflage ist Erfolg“, wird manch einer sich eine Geschichte nicht „kaputt recherchieren“ wollen, wie es abfällig unter Journalisten heißt. Und dann kann nur noch der fachkundige Beobachter die nötigen „drei und drei“ zusammenzählen, wenn aus gleichem Lager die nächste GKV wieder die Angleichung der Versicherungssysteme einfordert.

Wer sich über das selbstherrliche Advokatengehabe der Kassen wundert, die ihre etwa 20 Millionen Euro Überschuss nicht an die eigenen Mitglieder auszahlen wollen, kommt schnell auf die Idee, dass hier Ablenkung zum Standard mutiert. Das Motto funktioniert: Schnell das Thema wechseln, ehe jemand die Chance findet, auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren.

Aber selbst wenn die gesetzlichen Kassen nicht müde werden, von den eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken kann jeder, der will, eins unumstösslich festhalten: Über die Jahre waren es immer wieder die GKVen, die systemische Schwierigkeiten zu bewältigen hatten. Die jetzt geforderte Kostenkontrolle über den in die Privatfinanzierung ausgelagerten Teil des Festzuschusssystems für Zahnersatz resultiert aus nichts anderem als der Not der Kassen, qualitativ und wissenschaftlich adäquaten Zahnersatz nicht mehr aus dem Sachleistungsaufkommen zahlen zu können.

Die GKV täte gut daran, auch diese Kirche im richtigen Dorf zu lassen.

Mit freundlichen kollegialen Grüßen

Dr. Peter Engel

Präsident der Bundeszahnärztekammer

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