Akademisierung der Gesundheitsberufe

Eine Quote soll helfen

Welche akademischen Qualifikationen werden in den Gesundheitsversorgungsberufen benötigt, um auf die künftigen Versorgungsbedarfe angemessen reagieren und die Qualität der Gesundheitsversorgung sichern zu können? Mit dieser Frage befasste sich eine Tagung des Wissenschaftsrates in Berlin.

Am 2. Juli 2010 hat der Wissenschaftsrat das Thema „Hochschulische Qualifikationen für das Gesundheitswesen“ in sein Arbeitsprogramm aufgenommen und einen von ihm eingesetzten „Erweiterten Ausschuss Medizin“ mit der Erarbeitung von entsprechenden Empfehlungen beauftragt mit folgenden Fragestellungen: welche Qualifikationen für die zukünftige gesundheitliche Versorgung in den für die Gesundheitsberufe relevanten Studiengängen vermittelt werden müssen und wie vor diesem Hintergrund die Qualifizierungswege an deutschen Hochschulen strukturell weiterentwickelt werden sollen.

Der Ausgangspunkt: Die Veränderungen der Versorgungsbedarfe in Folge des demografisch-epidemiologischen Wandels und des medizinisch-technischen Fortschritts sowie die Folgen dieser Entwicklungen für die Arbeitsteilung im Gesundheitswesen haben weitreichende Konsequenzen für die zukünftigen Qualifikationserfordernisse und Qualifizierungswege in den Berufen der Gesundheitsversorgung.

Gesucht wird der “reflective practitioner“

Im Juli 2012 hat der Wissenschaftsrat seine Empfehlungen veröffentlicht. Neben neuen fachlichen Qualifikationen – etwa im Zusammenhang mit der zunehmenden Technisierung der Gesundheitsversorgung – bedarf es aus Sicht des Rates auch für alle Gesundheitsversorgungsberufe relevante, übergreifende Qualifikationen. Vor diesem Hintergrund hält es das Gremium für erforderlich, dass künftig auch ein Teil der Angehörigen der Gesundheitsfachberufe in die Lage versetzt wird, ihr eigenes pflegerisches, therapeutisches oder geburtshelferisches Handeln auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnis zu reflektieren. Auch soll ein Teil dieser Berufsgruppe die zur Verfügung stehenden Versorgungsmöglichkeiten hinsichtlich ihrer Evidenzbasierung kritisch prüfen können und das eigene Handeln entsprechend anpassen. Denn die gewachsene Komplexität im Gesundheitswesen erfordere vermehrt sogenannte „reflective practitioners“.

Ebenfalls an Bedeutung gewinne die Fähigkeit zur interprofessionellen Zusammenarbeit in multidisziplinären Teams. Mit Blick auf den konkreten Personalbedarf halte man es für geboten, zwischen einem Ersatzbedarf infolge personeller Entwicklungen in einzelnen Gesundheitsberufen, insbesondere durch Alterung des Personals, und einem Mehrbedarf infolge vermehrter Versorgungserfordernisse, insbesondere durch demografische und epidemiologische Veränderungen, zu trennen. Dies wurde auf der Tagung noch einmal betont.

Konkret plädiert der Wissenschaftsrat dafür, dass zehn bis 20 Prozent aus jeder Gesundheitsberufsgruppe eine akademische Ausbildung haben sollte, also eine Akademisierung mittels Quote. Dahinter steht die Annahme, dass in einem Team aus fünf Mitarbeitern eine Person die entsprechenden Fähigkeiten über eine akademische Ausbildung erworben hat und die Gruppe entsprechend leiten kann.

Einzelnen Berufsgruppen, wie etwa den Physiotherapeuten geht diese Empfehlung nicht weit genug. Sie fordern eine vollständige Akademisierung, so wie es in vielen anderen Ländern der westlichen Welt die Regel ist.

Doris Schaeffer, Professorin für Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld und Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, sprach auf der Berliner Tagung über die sich wandelnden Berufsbilder und damit einhergehenden Notwendigkeiten zur Veränderung im Rollenverständnis der unterschiedlichen Berufsgruppen im Gesundheitswesen überhaupt. „In Deutschland gibt es eine eher additive Versorgung mit einer Verantwortungsverteilung, die meist bei bei den Ärzten liegt“, führte Schaeffer aus. In anderen Ländern, wie etwa Finnland sei die „personal nurse“ dagegen in einigen Gegenden der zentrale Ansprechpartner für die Patienten. In Kanada gebe es ähnliche Strukturen.

DH-Bachelor ist unnötig

Für seine Empfehlungen hatte der Wissenschaftsrat auch die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) angehört. Die steht speziell der Akademisierung des Berufsbildes Dentalhygienikerin durch einen Bachelor-Studiengang kritisch gegenüber. Dafür gibt es einen Grund: Da die Fortbildungsinstitute der (Landes-)Zahnärztekammern seit Jahrzehnten hochwertige DH-Kurse auf der Basis einer soliden Grundausbildung in einem anerkannten Beruf anbieten, hält man bei der BZÄK den Bachelor-Studiengang Dentalhygiene für überflüssig. Damit werde eine höhere Qualifikation suggeriert, in der Praxis werde aber das Gegenteil der Fall sein, heißt es von Seiten der BZÄK. Das Zahnheilkundegesetz lasse zudem keine anderen Tätigkeiten zu als bei der Kammer-DH, der Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR) würde beide auf der gleichen Stufe sechs verorten. Für die BZÄK zeichnet sich ein gute DH zudem nicht nur durch theoretische, sondern vor allem auch praktische, kommunikative und soziale Kompetenzen aus. Eine verschulte und universitätslastige Ausbildung könne da überhaupt nicht helfen. Zudem sieht die BZÄK das Problem, dass es für Absolventen des DH-Studiengangs unklar sei, welche Berufschancen sie am Ende ihrer Ausbildung haben.

Trotzdem diskutierten die Teilnehmer auf der Berliner Tagung unterschiedliche Modelle zur hochschulischen Ausbildung in den einzelnen Bundesländern, Finanzierungsmöglichkeiten für den Ausbau der Akademisierungsgrads in den Gesundheitsfachberufen sowie die damit einhergehenden Veränderungen im Rollenverständnis des akademisch ausgebildeten Personals in den Gesundheitsfachberufen und in der Medizin. Die Debatte läuft also weiter.sf

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