PKV-Mitgliederversammlung

Neue sozialeGerechtigkeit

Heftarchiv Gesellschaft
Die Privaten Krankenversicherungen positionierten sich auf ihrer Jahrestagung am 19. Juni in Berlin gegen die Bürgerversicherung. Gesundheitsminister Daniel Bahr stärkte ihnen den Rücken und sprach sich ebenfalls für das duale System aus. Es sei „absurd“ eines der am besten funktionierenden Gesundheitssysteme abschaffen zu wollen. Der Medienwissenschaftler Prof. Dr. Norbert Bolz regte in seinem Vortrag zu Gedanken über die Soziale Frage im digitalen Zeitalter an.

„Der Sozialstaat hat ein Problem der Selbstüberforderung“, konstatiert Prof. Dr. Norbert Bolz. Er spricht bereits seit einigen Minuten auf der PKV-Jahrestagung. Sein Thema ist die Frage der sozialen Gerechtigkeit in der Schuldenkrise. Nach ersten Einführungssätzen nähert sich Bolz dem Kern seines Anliegens: der Frage nach sozialer Gerechtigkeit im digitalen Zeitalter. Der an der Technischen Universität Berlin tätige Medienwissenschaftler bietet eine Expertise der sozialen Frage des 21. Jahrhunderts an. Es geht ihm in seinem Vortrag um eine „Neukonzeption des Begriffs der sozialen Gerechtigkeit‘“. Wichtig ist dem Wissenschaftler zunächst Bewusstsein für ein verändertes Verständnis von sozialer Gerechtigkeit gegenüber dem Begriff aus dem 19. Jahrhunderts zu schaffen. „Der Begriff der sozialen Gerechtigkeit wurde in seiner Entstehungsphase vor allem als ein Synonym für Umverteilung verstanden,“ erinnerte Bolz. Und verweist in diesem Zusammenhang auf Abraham Lincolns Worte „Wir machen die Schwachen nicht stärker, indem wir die Starken schwächen.“ Dieser Argumentationslinie folgend sieht Bolz die Gründe für die Selbstüberforderung des Staates in seiner jahrelangen Omnipräsenz.

Paternalismus des Staates führt zu Entmündigung

Gemäß dem Motto „Gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht“, geht er davon aus, dass das Überangebot des Staates zu einer Schwächung desselben und einer Eskalation der Ansprüche führt. „Wir befinden uns mittlerweile in einem Zustand, wo wir nur noch Ansprüche stellen und keine Pflichten mehr übernehmen wollen“, erläutert der Professor.

Die zunehmende Betreuung und Bevormundung der Bürger durch den Staat sieht Bolz kritisch: „Die Bürger werden wie Kinder behandelt.“ Wir befänden uns in einer Herrschaft der Betreuer. Die Konsequenz des paternalistischen Überangebots des Staates ist in Bolz Augen eine Erziehung zur „erlernten Hilflosigkeit“. Wir bräuchten daher ein neues Selbstverständnis des Wohlfahrtsstaates. Die technischen Lösungsansätze der Politik könne und solle man durchaus verfolgen, allerdings wünscht Bolz sich darüber hinaus „eine neue Formulierung des Sozialbegriffs“ und zieht dazu Beispiele aus dem Bereich des Internets und des Social Media heran.

Internet als Modell für Verantwortungsübernahme

„Die drei zentralen Erfolgselemente des Internets sind Commitment, Linking und Care“, so Bolz. Commitment lasse sich am treffendsten mit freiwilliger Wertbindung übersetzen. Das Linking, das Verknüpfen, zählt laut Bolz zu den wichtigsten Funktionen des Internets. Der Redner wird an dieser Stelle energischer im Ton und erklärt, dass man den Linking-Value bei amazon ganz konkret erleben könne: „Wenn Sie bei amazon etwas kaufen, wird Ihnen gleich eine Liste mit Empfehlungen gezeigt, von Kunden, die diesen Artikel auch gekauft haben.“ Der Begriff Care schließlich, stehe für Sorge und Verantwortung. Entscheidend sei, dass es nicht mehr nur um das Geld gehe, sondern um die Möglichkeit, einen positiven Einfluss zu nehmen und um eine eigenständige und freiwillige Beteiligung. „Eines der bekanntesten und erfolgreichsten Beispiele für kostenlos geteiltes Wissen ist sicherlich Wikipedia“, führt Bolz an. Daraus resultiere seiner Meinung nach, dass „die Erwartung der Lösung der großen Probleme unserer Zeit zunehmend vom Staat auf Unternehmen verschoben werden.“ Die Bereitschaft freiwillig Verantwortung zu übernehmen und damit etwas zum Guten zu verändern, ist laut Bolz das entscheidende Kapital der digitalen Welt und lasse sich gut auf andere Lebensbereiche übertragen.

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