Leitartikel

Wolf im Schafspelz

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen(GKV-SV) kann es nicht lassen! Rechtzeitig zum Beginn der angeblich „heißen Phase“ des Bundestagswahlkampfes hat er seine Positionen im „Zukunftsmodell gesetzliche Krankenversicherung“ vorgestellt. Und wieder kam er mit alten Kamellen. Ein Blick nach vorn mit Zielen von gestern – zumindest, was seine Forderungen für die zahnmedizinische Versorgung anbelangt.

Die Chuzpe ist schon bemerkenswert: Seit Einführung des Festzuschusssystems beim Zahnersatz sparen die Krankenkassen durchschnittlich eine Milliarde Euro pro Jahr ein. Dieses Spar-Geld kommt aber nicht darbenden zahnärztlichen Versorgungsbereichen zugute – nein: das wird gebraucht für andere Finanzierungslücken. So sackt die GKV Milliarden ein, sucht aber zum Beispiel keine Möglichkeit, auch nur fünf Prozent für neue, wohl durchdachte Versorgungskonzepte für ganz junge oder alte oder pflegebedürftige Mitmenschen locker zu machen.

Dabei hat das seit acht Jahren geltende Festzuschusssystem einen guten Ruf: Bei unseren Patienten, deren Teilnahme am wissenschaftlichen Fortschritt zu anerkannt höchst verantwortbaren finanziellen Konditionen in diesem innovationsgeprägten Leistungsbereich gesichert ist; bei der Politik, die die Sinnhaftigkeit dieser Strukturreformen im Gesundheitsbereich anerkennt (und – zugestanden – auch bei uns Zahnärztinnen und Zahnärzten, die wir nun viel besser unsere Behandlungsideale und betriebswirtschaftlichen Zwänge in Einklang bringen können).

Doch jetzt will die GKV Hand an das Festzuschusssystem legen: Sie stellt fest, dass „die Ausweitung privat finanzierter Leistungen, insbesondere infolge des Festzuschusssystems beim Zahnersatz, das Leistungsangebot der GKV gefährdet und die Versicherten finanziell zu überfordern droht.“ Daher die Forderung nach einer gesetzlichen Begrenzung der Steigerungssätze bei der GOZ oder erweiterten Vertragsmöglichkeiten durch Öffnungsklauseln. Außerdem keine Ausweitung des Festzuschusssystems auf andere Leistungsbereiche: der Leistungskatalog müsse „aktuell“ und „das Sachleistungssystem auch zukünftig die Grundlage der zahnmedizinischen Versorgung“ sein.

Der aufmerksame Leser merkt, was der GKV vorschwebt – nicht zuerst der Schutz der Versicherten. Nein, es ist die Sehnsucht nach vorgestern, zurück zu den Zeiten des seligen Sozialdemagogen Rudolf Dressler (und auch des Sozialromantikers Norbert Blüm). Damals gab es entweder „Kasse“ oder gar nichts. Die GKV bestimmte über und für diese unmündigen Versicherten, was ausreichend sei, also ausreichen musste. Sie fühlte sich wie der Staat im Staate und handelte auch so. Dass sie dabei erst recht und zudem leichtfertig und fahrlässig einem Zwei-Klassen-System in der Versorgung Vorschub leistete, ging im sozialromantischen Blütenmeer jener Zeit unter.

Heute gibt es (nur) noch ein derartig geprägtes Gesundheitssystem in Europa – den englischen nationalen Gesundheitsdienst NHS. Mit all seinen augenfälligen Konsequenzen: Wartezeiten und Rationierungen, Investitionslücken und Innovationsbremsen. Und mit einer für Sozialpolitiker jeglicher Coleur unheilvollen Konsequenz: Wer es sich leisten kann, holt sich via Barzahlung eine zeitgemäße Versorgung. Ein Modell für Deutschland? Geht so ein aktueller Leistungskatalog? Und wozu Öffnungsklauseln, wenn doch das Sachleistungsprinzip Versorgungsgrundlage bleiben soll?

Das Bild rundet sich mit dem Rankenwerk der GKV-Forderungen: noch mehr kontrollierte Qualitätssicherung, auch von Privatleistungen – und „die Übermittlung umkodierter Zahnarztdaten im Rahmen der Abrechnung“. So wird der Rückschritt in glorreiche Machtzeiten der GKV deutlich, der alte Traum soll wieder Realität werden. Die Konsequenzen: Einheitsversorgung, Einheitsversicherung und Einheitspreise – und eine Macht,die alles regelt – die GKV.

Welch ein Zufall, dass von einem Teil der Politik das gleiche unter anderem Namen verkauft wird: Bürgerversicherung ...

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Jürgen FedderwitzVorsitzender der KZBV

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