Präventionsmodelle in Betrieben

Wertschöpfung durch Wertschätzung

Heftarchiv Gesellschaft
sg
Massage, Rückenschule, Anti-Stress-Seminare – immer mehr Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern gesundheitsfördernde Angebote am Arbeitsplatz. Die Betriebe setzen damit ein deutliches Zeichen, dass sie sich um ihre Beschäftigten kümmern. Das steigert nicht nur die Gesundheit der Beschäftigten, sondern auch die Arbeitszufriedenheit und die Produktivität. Mit einem neuen Präventionsgesetz will nun auch der Gesetzgeber die betriebliche Gesundheitsförderung unterstützen.

Produktivität, Mobilität, Flexibilität: Die Bedingungen, unter denen Berufstätige heute ihrer Arbeit nachgehen, erfordern eine hohe Anpassungsfähigkeit. Neue Technologien stellen Beschäftigte in immer kürzerer Zeit vor neue Herausforderungen. Gleichzeitig steigt der Anspruch, ständig verfügbar und erreichbar zu sein. Die Folge: Psychische Erkrankungen sind immer häufiger der Grund für Fehlzeiten im Betrieb oder sogar für den frühzeitigen Einstieg ins Rentenalter. Rund zehn Prozent aller Fehltage gehen nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums auf Erkrankungen der Psyche zurück. Die Folgekosten für die betroffenen Betriebe sind immens.

Immer mehr Unternehmen in Deutschland setzen deshalb Stressmanagement und die allgemeine Gesundheit ihrer Mitarbeiter auf die betriebliche Agenda. Einer Umfrage der Barmer GEK zufolge schätzen 67 Prozent der befragten Firmen das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) als „sehr wichtig“ ein – ein Jahr zuvor waren es noch 42 Prozent. Insgesamt 92 Prozent der Unternehmen planen demnach zusätzliche gesundheitsfördernde Maßnahmen im Unternehmensalltag. Gefragt seien derzeit vor allem Angebote, die bei der Stressbewältigung am Arbeitsplatz helfen (54 Prozent). Am zweithäufigsten interessieren sich Unternehmen für eine gesundheitsgerechte Mitarbeiterführung (44 Prozent), so das Ergebnis des „BARMER GEK Firmenkundenmonitors Gesundheit 2012“.

Arbeitsbedingte Fehlzeiten als Kostenfaktor

Hohe Unternehmenskosten aufgrund von arbeitsbedingten psychischen Erkrankungen sind allerdings nur einer von vielen Gründen für das steigende Interesse an betrieblicher Gesundheitsförderung. Denn auch die Alterung der Belegschaften aufgrund der demografischen Entwicklung führt zu steigenden Krankenständen mit entsprechenden Kosten für die Betriebe. Aufgrund der geburtenschwachen Jahrgänge zeichnet sich zudem jetzt schon ab, dass die Zahl der Erwerbstätigen kontinuierlich sinken wird – Experten prognostizieren, dass schon 2020 fünf Millionen Arbeitskräfte weniger dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen werden.

Gerade außerhalb der Ballungsgebiete könnten junge Fachkräfte dann bereits Mangelware werden. Der langfristige Erhalt der Gesundheit aller Mitarbeiter bis zum Erreichen des Rentenalters ist für viele Unternehmen damit zu einem zentralen Wettbewerbsfaktor geworden.

„Bereits junge Mitarbeiter brauchen Arbeitsplätze und -zeiten, mit denen sie gesund altern können“, erklärt Dr. Rumen Alexandrov, Fachlicher Leiter Arbeitsmedizin bei der TÜV SÜD Life Service GmbH. „Schließlich werden ihre Kräfte und Fertigkeiten auch in dreißig Jahren noch gebraucht.

Unternehmen appellieren gerne an ihre Mitarbeiter, dass sie sich gesund ernähren und Sport treiben sollen. Es liegt aber auch am Arbeitgeber, Arbeitsbedingungen zu schaffen, die die Gesundheit schonen.“

Ein erster Schritt dahin ist für den TÜV- Experten eine sorgfältige Analyse der betrieblichen Altersstruktur sowie eine umfassende Gefährdungsbeurteilung hinsichtlich alterskritischer Tätigkeiten an allen bestehenden und geplanten Arbeitsplätzen. So könnten der vorzeitige Verschleiß der aktuell jungen Beschäftigten verhindert und auf ältere Mitarbeiter abgestimmte Arbeitsplätze gestaltet werden. Außerdem, erklärt der TÜV-Experte weiter, sollten Maßnahmen zum betrieblichen Gesundheitsmanagement

(BGM) eingeführt werden. Neben dem klassischen Arbeits- und Gesundheitsschutz, zum Beispiel in Form von ergonomisch optimierten Arbeitsplätzen, zählen zum BGM auch die Angebote der betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF). Darunter fallen gesundheitsfördernde Sportangebote wie Nordic Walking, Yoga oder Rückenschule ebenso wie Seminare zum Thema „Gesunde Ernährung“ oder Anti-Stress-Workshops für Führungskräfte. Und auch klassische Instrumente der Personalpolitik wie Weiterbildungen können ein wichtiger Faktor für eine lange Leistungsfähigkeit sein. Denn mangelnde Qualifikation führt mitunter zu Überforderung, Unsicherheit und Stress – und somit auch häufig zu Krankheit und Arbeitsunfähigkeit.

Gesundheitsförderung nach Art des Betriebs

Ziel des BGM ist es, die Gesundheit der Beschäftigten nachhaltig zu fördern, indem Belastungen abgebaut und die individuellen Ressourcen der Mitarbeiter gestärkt werden. Unter BGM ist also ein individuell auf den jeweiligen Betrieb abgestimmter Prozess zu verstehen, der darauf abzielt, die betrieblichen Rahmenbedingungen gesundheitsgerecht zu gestalten und die Mitarbeiter gleichzeitig für ein gesundheitsförderliches Verhalten zu sensibilisieren. Dabei werden alle Unternehmensebenen, von der obersten Führungsebene bis hin zum einzelnen Mitarbeiter, eingeschlossen. Betriebliches Gesundheitsmanagement zielt somit auf die Führung des Unternehmens genauso wie auf die Unternehmenskultur, das Betriebs-klima, die Qualifikation der Arbeitnehmer als auch auf die Gestaltung der Arbeits- umwelten und das Verhalten der einzelnen Mitarbeiter ab. Besonders wichtig: Die Beschäftigten sollten bei der Planung und Umsetzung aller Aktivitäten aktiv beteiligt werden. Denn der beste Garant für den Erfolg von betrieblicher Gesundheitsförderung ist, Gesundheit als Gemeinschaftsaufgabe zu etablieren, für die sich Geschäftsführung und Beschäftigte gleichermaßen verantwortlich fühlen.

Von einem guten BGM profitieren Unternehmen und Mitarbeiter gleichermaßen. Verschiedene Untersuchungen konnten belegen, dass die Mitarbeiter das Engagement ihres Arbeitgebers durch eine bessere Leistungsfähigkeit und eine höhere Motivation honorieren. Mit der gestiegenen Arbeitszufriedenheit steigt nachweislich auch die Produktivität der Mitarbeiter. Zudem kann die betriebliche Gesundheitsförderung den Krankenstand in einem Betrieb nachhaltig senken, was zu geringeren Lohnfortzahlungen führt. Krankenkassenuntersuchungen zufolge liegt der Return on Investment (ROI), also die Rendite der Investition, bei der betrieblichen Gesundheitsförderung in Höhe des Dreifachen der eingesetzten Mittel.

Unternehmensgröße nebensächlich

In der Regel suchen sich die Unternehmen eine Krankenkasse als unterstützenden Partner für die Einführung des betrieblichen Gesundheitsmanagements. In welchem Umfang Maßnahmen umgesetzt werden, ist letztlich eine Frage des Geldbeutels. Während in kleineren Betrieben die finanziellen Mittel oft nur für einen jährlichen „Gesundheitstag“ im Unternehmen ausreichen, können größere Unternehmen ihren Mitarbeitern beispielsweise Massagen während der Arbeitszeit, die Teilnahme an einem Rückenkurs oder Sonderkonditionen in einem Fitnessclub anbieten und zusätzlich von den Präventionsexperten der beteiligten Krankenkasse alle Arbeitsplätze unter ergonomischen Gesichtspunkten optimieren lassen.

Doch nicht jeder Betrieb hat die finanziellen und vor allem personellen Kapazitäten, die betriebliche Gesundheitsförderung selbst in die Hand zu nehmen. Immerhin 99,8 Prozent aller Unternehmen in Deutschland gelten als kleine oder mittelgroße Unternehmen (KMU) mit weniger als 500 Beschäftigten. Diese mittelständischen Unternehmen haben häufig eine sehr einfache betriebliche Organisation und nur begrenzte Ressourcen, sich mit dem Thema BGF auseinanderzusetzen. Für diese Unternehmen sind BGF-Netzwerke ein besonders wirkungsvolles Instrument, um ein Gesundheitsmanagement auch mit sehr geringem Aufwand zu installieren. So koordiniert die AOK beispielsweise in Niedersachsen das Netzwerk KMU-Kompetenz. Im Rahmen diverser Arbeitskreise können sich hier rund 90 Unternehmen über ihre BGF-Erfahrungen austauschen und profitieren dabei gegenseitig von den Erfahrungen der anderen Betriebe.

Politik unterstützt BGF

Auch die Bundesregierung hat die Wichtigkeit der betrieblichen Gesundheitsförderung erkannt. Am 20. März hat das Kabinett den Entwurf für ein Präventionsgesetz beschlossen. Ein wesentlicher Schwerpunkt im geplanten Gesetz: die betriebliche Gesundheitsförderung.

Das Präventionsgesetz soll die Krankenkassen verpflichten, die Ausgaben pro Versicherten für Präventionsmaßnahmen von derzeit 3,01 Euro auf sechs Euro ab 2014 zu verdoppeln. Mindestens ein Drittel der Summe soll für Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung bereitgestellt werden (durchschnittliche Ausgaben 2011: 0,61 Euro je Versicherten). Des Weiteren soll das Gesetz die Krankenkassen verpflichten, die Unternehmen zu den Leistungen der betrieblichen Gesundheitsförderung zu informieren. Dafür sollen die Kassen gemeinsame regionale Koordinierungsstellen für die Beratung und Unterstützung von Unternehmen aufbauen.

Um insbesondere kleine und mittlere Unternehmen zu erreichen, sollen die Kassen auch Kooperationen mit örtlichen Unternehmensorganisationen wie den Industrie- und Handelskammern und den Handwerkskammern anstreben. Darüber hinaus wird das Gesetz die Möglichkeit der Krankenkassen, Boni für teilnehmende Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu leisten, verbindlicher gestalten und dabei die Höhe der Boni auch am Erfolg der Maßnahmen ausrichten. Das BMG geht von jährlichen Mehrausgaben für die Krankenkassen in Höhe von maximal 180 Millionen Euro aus. Allein 35 Millionen Euro sind dafür gedacht, Kampagnen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) zu finanzieren.

Versicherungsfremde Leistungen

Dass die Kosten für den Ausbau der Prävention allein die Beitragszahler der gesetzlichen Kassen bezahlen sollen, sorgt allerdings für Unmut. So hält die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BdA) das Gesetz für nicht akzeptabel. Man vermisse eine Mitfinanzierung der Länder, heißt es aus dem Arbeitgeberlager. Gesundheitsförderung und Vorsorge seien wichtig, so der BdA-Präsident Dieter Hundt in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Aus Sicht der Arbeitgeber handelt es sich bei dieser Art der gesetzlichen Präventionsförderung jedoch um versicherungsfremde Leistungen. „Prävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die allen zugute kommt und deshalb auch aus Steuermitteln bezahlt werden muss“, so der BdA in einer Stellungnahme zum Gesetzentwurf. Eine finanzielle Einbeziehung der Länder bei der Finanzierung fehle jedoch völlig.

Auch Gernot Kiefer, Vorstand des GKV- Spitzenverbands kritisiert die einseitige Belastung der Krankenkassen: „Prävention muss eine Gemeinschaftsaufgabe des Bundes, der Länder und der Kommunen und aller Sozialversicherungsträger sein. Aber tatsächlich hat das Gesetz die gesetzliche Krankenversicherung im Blick und die anderen wichtigen Akteure kommen zu kurz. Und selbst da, wo der Bund sich eigentlich in der Verantwortung sieht oder sehen müsste und deshalb die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) stärken will, landet der Ball am Ende wieder im Feld der GKV – denn statt aus Finanzmitteln des Bundes sollen die zusätzlichen Gelder für die BZgA aus den Portemonnaies der Beitragszahler kommen.“

Auch Oppositionspolitiker wie die Sprecherin der Grünen für Prävention und Patientenrechte, Maria Klein-Schmeink, hatten gefordert, dass alle Sozialversicherungsträger sowie die private Krankenversicherung in das Gesetz einbezogen werden müssten. Da das Gesetz im Bundesrat zustimmungspflichtig ist, sind umfangreiche Änderungen zu erwarten. SPD und Grüne hatten Im Vorfeld angekündigt, ihre Zustimmung zum Gesetz von erheblichen Nachbesserungen abhängig zu machen.

Otmar MüllerFreier Journalist mit Schwerpunkt Medizin/ Gesundheitspolitikmail@otmar-mueller.de

Info

Betriebliche Prävention für die Mundgesundheit

Über die Chancen der betrieblichen Prävention für die Zahn- und Mundgesundheit diskutierten Experten am 13. März im Deutschen Bundestag. Initiator war das „Forum Zahn- und Mundgesundheit Deutschland“, ein Zusammenschluss von Vertretern aus Politik, Verbänden, Wissenschaft und Wirtschaft, der auf die Bedeutung des Bereichs als Querschnittsthema aufmerksam machen will. Prof. Dr. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der BZÄK und Vorsitzender des Forums, verwies auf die Chancen des Arbeitsplatzes für Präventionsansätze. Dieser Settingansatz sei bisher noch nicht ausreichend betrachtet worden, obwohl der Arbeitsplatz eine zentrale Rolle spiele und man darüber viele Menschen niedrigschwellig erreichen könne. Die Ergebnisse dieser Sitzung sollen Teil der Empfehlung für ein ganzheitliches Präventionskonzept vom Milchgebiss bis ins hohe Alter werden, das am 3. Juli im Rahmen einer Pressekonferenz in Berlin vorgestellt werden soll.

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Betriebliche Gesundheitsförderung

Für gesetzliche Krankenkassen ist die betriebliche Gesundheitsförderung gemäß § 20a SGB V eine Pflichtleistung, für die Arbeitgeber ist es eine rein freiwillige Leistung. Die Krankenkassen dürfen als Anreiz für die Teilnahme an Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung sowohl Arbeitgebern als auch teilnehmenden Versicherten einen Erfolgsbonus anbieten.

Seit dem 1. Januar 2009 erhalten die Unternehmen für die Förderung der Mitarbeitergesundheit zudem steuerliche Anreize. Arbeitgeber dürfen ihren Mit- arbeitern geldwerte Leistungen zur Förderung der Gesundheit anbieten. Der Arbeitnehmer muss für diese Arbeitgeberleistung bis zu einer Summe von höchstens 500 Euro pro Jahr keine Einkommenssteuer oder Sozialversicherungsbeiträge zahlen. Die Steuerbefreiung gilt sowohl für Sachleistungen als auch für Barzahlungen.

Dabei spielt es keine Rolle, ob die Maßnahmen im Unternehmen oder außerhalb stattfinden. Das ist insbesondere für kleine Betriebe wie beispielsweise Zahnarztpraxen interessant, die eigene Gesundheitsförderungsmaßnahmen nicht anbieten können und daher auf externe Dienstleister angewiesen sind. Voraus- setzung für die Steuerfreiheit ist, dass es sich um von den Kassen anerkannte Maßnahmen handelt.

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