Zahnmedizinische Versorgung von Menschen mit Behinderungen

Expertentreffen in Frankfurt

Im Rahmen des Deutschen Zahnärztetages 2013 fand das Symposium Behindertenbehandlung statt. Die Arbeitsgemeinschaft für zahnärztliche Behinderten-behandlung im BDO (Berufsverband Deutscher Oralchirurgen) lud ein, um den Stand der zahnmedizinischen Versorgung von Menschen mit Behinderungen zu evaluieren und einen Erfahrungsaustausch zwischen Politik, Hochschule und niedergelassenen Kollegen zu ermöglichen.

Prof. Dr. Andreas Schulte (Heidelberg) berichtete über den Behandlungsbedarf und den Stand der Mundgesundheit bei Erwachsenen mit Behinderungen und zeigte anhand mehrerer Untersuchungen, dass der DMFT-Status dieser Patientengruppe im Vergleich zum Bundesdurchschnitt signifikant schlechter ausfällt. Demnach steige die Zahl der nicht behandelten kariösen Läsionen im Laufe des Alters an, ebenso die Zahl der extrahierten Zähne, wobei ein Zusammenhang zwischen dem Schweregrad der Erkrankung und dem DMFT-Status bestehe. So seien kooperationsfähige und aktive Menschen bei der Versorgung besser gestellt, als jene, die in betreuten Heimen leben. Die wissenschaftlichen Grundlagen zur Erfassung der bundesweiten Versorgungslage der Menschen mit Behinderungen seien bisher durch wenige Studien gestützt, hier bedürfe es noch weiterer Untersuchungen.

Prof. Dr. Roswitha Heinrich-Weltzien (Jena) stellte das zahnärztliche Präventionskonzept für Kinder mit Grunderkrankungen und Behinderungen vor. Sie konnte zeigen, dass die frühzeitige und regelmäßige Gewöhnung an eine Behandlung genauso zum Erfolg führen kann wie die normale Behandlung von Kindern, die ebenfalls ein großes Maß an Einfühlungsvermögen und Geduld erfordere. Eine gewohnte Umgebung, ein routinierter Ablauf und im Prinzip die gleichen Behandlungen, einschließlich der IP-Leistungen seien erforderlich. Auf diese Weise seien etwa achtzig Prozent behandlungsfähig, so dass eine Allgemeinanästhesie nur bei schwierigen und nicht kooperationsfähigen Kindern notwendig werde.

Dr. Katharina Bücher (München) berichtete über Patienten mit zahnmedizinisch relevanten Grunderkrankungen, unter anderem über das vielgestaltige Bild der Zahnanomalien wie der Hypodontie, genetisch bedingten Strukturstörungen mit Ausbildung von Zahnhartsubstanzdefekten und über zahnärztliche Begleitsymptome im Zusammenhang mit Syndromen.

Der ästhetische Aspekt

Prof. Rolf Hinz (Herne/Witten-Herdecke) zeigte, dass die kieferorthopädische Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen durchaus Erfolg versprechend sein kann. Hinz zeigte Fälle der kieferorthopädischen Abteilung der Universität Witten-Herdecke von Patienten mit kindlicher Zerebralparese, die mithilfe des Elasto-KFO-Systems behandelt wurden. Bei diesem System werden elastische Schienen nach Herstellung eines ideal aufgestellten Set-Ups verwendet. Der zeitliche Umfang einer solchen Behandlung sei sicherlich erhöht, aber gerade bei inkompetentem Mund- und Lippenschluss sei der Zugewinn an Lebensqualität doch erheblich.

Auch der ästhetische Aspekt einer kieferorthopädischen Korrektur wurde besprochen. In einigen Fällen sei es für Patienten und Betreuer erleichternd, wenn korrigierte Zahnfehlstellungen die ohnehin gegebene öffentliche Aufmerksamkeit reduzieren können.

In der Diskussion wurde auch der positive Effekt eines Bionators hervorgehoben, allerdings sei die Verwendung von herausnehmbaren Apparaturen mehr an die Compliance der Patienten gebunden.

Fallstricke der Behandlung

Dr. Guido Elsäßer (Stetten) berichtete über Fallstricke bei der Behandlung von Patienten mit Behinderungen: sei es der erweiterte Anamnesebogen der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg (LZÄK BW), der auf die erweiterten Erfordernisse zugeschnitten ist oder die rechtlichen Aspekte, die zu beachten sind. So müsse das Betreuungsverhältnis stets vor einer Behandlung geklärt sein. Dabei sei auf die Einwilligung des Betreuers zu achten, gerade im Hin-blick auf eine Therapie im Rahmen einer Intubationsnarkose.

Die Begrifflichkeiten der Vorsorge-/Generalvollmacht, Betreuungs- und Patientenverfügung und weitere sollten dem Behandler geläufig sein. Hier hat die LZÄK BW ein Merkblatt verfasst, das auf der Homepage www.lzkbw.de nachzulesen ist.

Bei Behandlungen, die außerhalb der Praxisräume stattfinden, müsse gegebenenfalls eine Zweigpraxis angemeldet werden – mit allen organisatorischen Konsequenzen. Die Ausstattung mit einer mobilen Einheit und mobilen Röntgenquellen könne gerade bei Patienten, die nur schwierig aus dem Rollstuhl umgelagert werden können, hilfreich sein.

Interdisziplinäres Konzept

Dr. Volker Holthaus (Bad Segeberg), Vorsitzender der AG, berichtete über ein interdisziplinäres Konzept der Behandlung von Special-Needs-Patienten. Die Behandlung dieser Patienten setze immer eine umfangreiche Untersuchung voraus, die auch eine Zusammenarbeit verschiedener Fachrichtungen, wie Neurologen, Pädiatern, Internisten und Anästhesisten erfordert, um die Risiken vor einer Therapie abschätzen zu können. Die individuelle Betrachtung des Patienten sei notwendig, um im Rahmen einer konservierend-prothetischen Versorgung dem Patienten gerecht zu werden.

Sollte eine Intubationsnarkose notwendig sein, sei anzustreben, alle Behandlungsschritte, von der Prophylaxe, der konservierenden, parodontaltherapeutischen und chirurgischen Sanierung in einer Sitzung zu erbringen.

Dr. Imke Kaschke (Berlin), 2. Vorsitzende der AG, stellte das seit 2004 laufende Special-Smiles-Programm vor. Special Smiles ist das Mundgesundheitsprogramm bei den Special Olympics.

Ein zentrales und in allen Vorträgen wiederkehrendes Thema war die Notwendigkeit von individualprohylaktischen Maßnahmen auch über das 18. Lebensjahr hinaus, da diese Patienten meist einer lebenslangen Fürsorge bedürfen. Damit wurde eine Forderung wiederholt: Seitens der Sozialpolitik sei es notwendig, mehr Geld für diese Behandlung bereitzustellen.

Die Ratifizierung der UN-Menschenrechtskonvention mit Forderungen nach einer Gleichbehandlung aller Menschen und einer Herstellung einer Chancengleichheit von Menschen mit Behinderung zeigt, dass es noch Nachholbedarf im Gesundheitssektor gibt. Hier greift das Konzept Mundgesundheit trotz Handicap und hohem Alter, das von BZÄK, KZBV, BDO und DGAZ erarbeitet wurde. Leider wird dieses Konzept durch den Gesetzgeber nur schrittweise umgesetzt, so dass gerade die zeitlich aufwendigeren Behandlungen in der Praxis nicht entsprechend honoriert werden.

Während der Diskussion am Ende zwischen Niedergelassenen, Vertretern der Hochschule und der Fachgesellschaften zeigte sich, dass es aktuell noch sehr am persönlichen Engagement des einzelnen Zahnarztes liegt, ob ein adäquates Behandlungskonzept durchgeführt wird oder eben nicht.

Dr. Thomas SchreiberSchriftführer der AG für zahnärztliche Behindertenbehandlung im BDOLutherstr. 924114 Kiel

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