Zweitmeinung

Zeitgemäß und sinnvoll

Eine steigende Zahl von Krankenkassen bietet inzwischen – auch gepusht durch Vorgaben im Versorgungsstrukturgesetz der Großen Koalition – ein organisiertes Zweitmeinungsverfahren für ihre Versicherten an. Nicht zuletzt wollen die Kassen dadurch Kosten sparen.

Viele Patienten stehen – insbesondere bei komplexen Krankheitsbildern – vor der Frage, ob eine bestimmte Behandlungs- oder Operationsmethode wirklich die richtige ist. Eine zweite Meinung, noch dazu über ein organisiertes Verfahren, holen sie bei medizinischen Behandlungen aber recht selten ein. Einer Studie des Krankenhausbetreibers Asklepios Kliniken Hamburg GmbH und des Instituts für Management und Wirtschaftsforschung aus dem Jahr 2014 zufolge kennt ein Viertel aller Patienten das Recht auf eine Zweitmeinung nicht. Für die Studie wurden 1 000 Bundesbürger ab 18 Jahren bevölkerungsrepräsentativ befragt. 15 Prozent davon glaubten gar, sie müssten für eine Zweitmeinung selbst aufkommen. Informationen von den behandelnden Ärzten, so die Aussage der Befragten, gebe es kaum. Vor Inkrafttreten des Versorgungsstärkungsgesetzes (GKV-VSG) zum 1. Januar 2015 hat nach Angaben von BKK-PwC-Vorstand Lars Grein bereits eine Reihe von Kassen ein Zweit- meinungsverfahren angeboten. Nun, mit Inkrafttreten des Gesetzes, bietet rund ein Drittel der Kassen ein organisiertes Zweitmeinungsverfahren als Zusatzleistung an. In Paragraf 27b GKV-VSG heißt es dazu, dass ein Recht auf eine unabhängige ärztliche Zweitmeinung dann besteht, wenn es sich um eine „Indikation zu einem planbaren Eingriff handelt, bei dem insbesondere im Hinblick auf die zahlenmäßige Entwicklung seiner Durchführung die Gefahr einer Indikationsausweitung nicht auszuschließen ist“.

Hohe OP-Zahlen als Auslöser

Die Kaufmännische Krankenkasse (KKH) ist eine der Kassen, die sich infolge des Gesetzes für diese Zusatzleistung für ihre Versicherten entschieden hat. Grund dafür, heißt es von der Kasse, seien die in den vergangenen Jahren stets gestiegenen Operationszahlen, insbesondere bei orthopädischen Eingriffen, gewesen. Die hätten den Eindruck hinterlassen, dass nicht jede Operation wirklich erforderlich gewesen sei. „Unsere Versicherten sollen die Möglichkeit erhalten, Unklarheiten und Unsicherheiten vor einer anstehenden orthopädischen Operation mit einer fundierten Zweitmeinung zu beseitigen, um dann eine Entscheidung für oder gegen eine Operation mit gutem Gewissen treffen zu können“, sagt KKH-Sprecherin Dr. Bettina Prigge.

Die Kasse kooperiert mit Medexo, einem Onlineportal für medizinische Zweitmeinungen. Der Versicherte füllt einen Online-Fragebogen auf der Seite von Medexo aus und lädt die notwendigen Behandlungsunterlagen in einem geschützten Bereich hoch. Innerhalb von sieben Tagen erhält er dann, heißt es, ein umfassendes Gutachten von einem medizinischen Experten. Dieser legt schriftlich dar, ob der geplante Eingriff medizinisch notwendig ist oder ob es Alternativen gibt. Die Vergütung der Zweitmeinung erfolgt im Rahmen von Satzungsleistungen, sagt die KKH. Die BKK PwC bietet bereits seit dem 1. Januar 2014 ein spezielles Zweitmeinungsverfahren bei Krebs- und Rückenerkrankungen über einzelne Case-Manager an. In diesem Jahr sollen Zweitmeinungsverfahren zusätzlich bei kardiologischen, neurologischen, urologischen, dermatologischen, chirurgischen, gynäkologischen und Indikationen aus dem Bereich der Augenheilkunde möglich sein. „Wir würden uns wünschen, noch mehr Versicherte würden unser Angebot annehmen“, betont Grein. Die enge Formulierung im GKV-VSG bringe eher Einschränkungen denn Erweiterungen, ergänzte BKK-Vorstand Franz Knieps auf einem Symposium seiner Kasse zum Zweitmeinungsverfahren im Dezember vergangenen Jahres.

###more### ###title### Beratung durch Case Manager ###title### ###more###

Beratung durch Case Manager

Die HMO-AG tritt, unter anderem für die BKK PwC, als Case Manager bei Zweitmeinungsverfahren auf. Erhält ein BKK- Versicherter eine Krebsdiagnose, kann er sich über ein Portal des Dienstleisters einloggen und Kontakt aufnehmen. „Über eine Online-Akte wird dann die Anfrage inklusive der Unterlagen des Patienten vom Case- Manager zum geeigneten Tumorboard übermittelt“, erklärt Dr. Udo Beckenbauer vom Vorstand der HMO-AG. Nach der Besprechung der Daten folgt die Einschätzung mit einer Behandlungsempfehlung als Zweitmeinung in der Online-Akte. Der Case Manager informiert den Patienten über das Vorliegen der Akte. Die Abrechnung der Leistung erfolgt zwischen HMO und Tumorboard sowie zwischen HMO und der Krankenkasse. „Es entspricht unserer Zeit, ein solches Verfahren anzubieten“, findet Beckenbauer. Schließlich werde in jeder Industrie eine zweite Meinung eingeholt.

Um die Sinnhaftigkeit von Zweitmeinungen zu untermauern, arbeitet die Felix-Burda-Stiftung gemeinsam mit der HMO an einer Studie zum Thema. Ersten Ergebnissen zufolge weicht die zweite Meinung in 50 Prozent der Fälle erheblich von der ersten ab. Bei kleineren Kliniken fernab der Metropolen wurden sogar bei 70 Prozent Abweichungen festgestellt. Die überwiegende Mehrheit der Patienten wechselte nach der Zweitmeinung die Therapie.

Massive Kostenersparnisse für Kassen

HMO-Vorstand Beckenbauer glaubt, dass sich auf längere Sicht für die Kassen massive Einsparungen durch Zweitmeinungsverfahren erreichen lassen. Denn Aufwendungen würden auf jene Bereiche beschränkt, die im Interesse einer optimalen Behandlung wirklich erforderlich sind. Eine erste Auswertung bei 50 Fällen habe zudem ergeben, dass bei höherwertiger Therapiequalität im Durchschnitt 3 000 Euro pro Teilnehmer eingespart werden konnten. Kostendämpfung durch die Vermeidung von Operationen darf es allerdings nach Ansicht von Dr. Ilona Köster-Steinebach, Referentin für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen beim Verbraucherzentrale Bundesverband, nicht geben.

Die Bundesärztekammer begrüßt zwar grundsätzlich die Einholung von zweiten Meinungen. Allerdings liege den Plänen der Regierung die Intention zugrunde, die Patienten durch die Einholung einer Zweitmeinung vor möglichen Indikationsausweitungen zu schützen. „Zweitmeinungen als Korrektiv für finanzielle Fehlanreize können aber lediglich zur Dämpfung derartiger Auswirkungen führen, nicht jedoch die eigentlichen Probleme lösen“, heißt es in einer Stellungnahme der Kammer zum GKV-VSG. Wichtig sei letztlich, sich um die fachliche Qualifikation der Ärzte, die zweitmeinungsberechtigt sind, zu kümmern, um die Patienten zu schützen. Nach derzeitiger Vorgabe muss der Gemeinsame Bundesausschuss in einer Richtlinie Anforderungen an die Leistungserbringer festlegen, die diese erfüllen müssen, wenn sie eine Zweitmeinung abgeben. Die BÄK hält es hierbei für wichtig, dass sich der G-BA mit den Ärztekammern und der BÄK abstimmt.

Martina MertenFachjournalistin für Gesundheitspolitikinfo@martina-merten.de

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