Der besondere Fall mit CME

Granularzelltumor des Zungenrückens

Peer W. Kämmerer
,
Keyvan Sagheb
,
Eine 42-jährige Patientin stellt sich mit einer seit zwölf Monaten bestehenden, derben Raumforderung des Zungenrückens vor. Nach Entfernung und histologischer Aufarbeitung zeigt sich der sehr seltene Befund eines Granularzelltumors.

Die Patientin hatte bereits seit einem Jahr einen derben Knoten im Bereich der linken Zunge bemerkt. Dieser sei langsam größenprogredient gewesen – und sollte nun auf ihren Wunsch hin abgeklärt werden. Ähnliche Erscheinungen seien bei ihr oder in ihrer Familie bisher nicht beobachtet worden. 

Die vom Hausarzt überwiesene Patientin stellte sich mit einer knotigen Struktur unterhalb der unversehrten Zungenmukosa des linken mittleren Zungenrückens vor (Abbildung 1). Der Knoten war derb palpabel, nicht verschieblich und weder in Ruhe noch auf Druck dolent. Bis auf den erhabenen Aspekt beschrieb sie keinerlei Beschwerden. Im MRT stellte sich in Projektion auf die linke Zunge submukös eine vorwiegend unscharf begrenzte, etwa 10 mm x 8 mm messende, Kontrastmittel-aufnehmende Struktur dar. Es gab keinen Anhalt für weitere Raumforderungen oder Lymphknotenvergrößerungen (Abbildungen 2 und 3). Da von einem benignen Tumor ausgegangen wurde, erfolgte im Rahmen einer kurzen Intubationsnarkose die In-toto-Exzisionsbiopsie mit knappem Sicherheitsabstand. Der intraoperative Situs zeigte, wie schon nach der initialen Bildgebung vermutet, eine unscharf begrenzte, solide, in die Zungenmuskulatur hineinreichende Raumforderung mit weißlich-gelblicher Färbung der Schnittfläche (Abbildungen 4 und 5). Nach Resektion und ausgiebiger Blutstillung konnte die Wunde primär mit resorbierbaren Fäden verschlossen werden (Abbildung 6). 



In der histopathologischen Aufarbeitung des komplett entfernten Resektats wurden relativ große Zellen mit vorwiegend granulärem Zytoplasma beschrieben. Zur definitiven Sicherung der Diagnose wurden spezielle Färbungen (HE, PAS und Immunhistochemie) durchgeführt. Hierbei zeigte sich eine positive Protein-S100-Expression ohne Hinweis auf ein malignes Geschehen. Somit ergab sich die Diagnose eines Granularzelltumors der Zunge. Postoperativ gestaltete sich der weitere Heilungsverlauf regelrecht und ohne Komplikationen; eine weitere Therapie war nicht notwendig, wobei die Patientin von der Notwendigkeit klinischer Nachkontrollen überzeugt wurde.

Diskussion

Granularzelltumore sind sehr seltene, fast ausschließlich gutartige Tumore des Weichgewebes, die am ehesten Schwann’schen Zellen (Myelinscheidenbilder peripherer Nerven, neuro-ektodermal) entstammen. Sie werden daher auch Granularzell-Schwannome, granuläre Neuroblastome beziehungsweise Neurome oder nach ihrem Erstbeschreiber Abrikossoff-Tumore genannt [Abrikossoff, 1926]. Ungefähr 50 Prozent aller Granularzelltumore erscheinen neben einer Verteilung über den gesamten Gastrointestinaltrakt im Kopf-Hals-Bereich und hier fast ausschließlich in der Zunge. Des Weiteren sind sie in oder unter der Haut oder auch im Respirationstrakt zu finden. Der Altersgipfel liegt – wie im vorliegenden Fall – zwischen dem 40. und dem 60. Lebensjahr. Fast regelhaft zeigt sich im bekleidenden Epithel eine begleitende Hyperplasie, die den initalen Verdacht auf Vorliegen eines Karzinoms zur Folge haben kann [Barnes et al., 2005]. 

Die primäre Diagnostik des gutartigen Granularzelltumors gestaltet sich aufgrund des uncharakteristischen Erscheinungsbildes recht schwer. Differenzialdiagnostisch ist hierbei an Fibrome, Papillome (Virusassoziation), Tumore der kleinen Speicheldrüsen wie auch an Lymphome und an ebenfalls seltene Tumorentitäten wie braune Tumore, andere Schwannome, Neurinome oder Fibromatosen zu denken. Nach klinischen und radiologischen Aspekten wäre im vorgestellten Fall am ehesten ein Fibrom oder ein dringend auszuschließendes Lymphom infrage gekommen, wobei die zeitlich ausgedehnte Progression gegen Letzteres spricht. Eine bildgebende Diagnostik bei weichgewebigen Befunden mittels MRT als Verfahren der Wahl ist unabdingbar.


Zur weiteren differenzialdiagnostischen Abklärung können laborchemische Parameter herangezogen werden. Insbesondere zum Ausschluss eines sogenannten braunen Tumors (Riesenzelltumor im Rahmen eines Hyperparathyreoidismus) ist die Bestimmung des Serumspiegels für Parathormon, Calcium, Calcitriol, Phosphat und Creatinin hinweisend.

Im Unterschied zum Granularzelltumor des Erwachsenen zeigt der ebenfalls sehr seltene kongenitale Granularzelltumor (Epulis congenita) keinerlei Expression für das S100-Protein, ist glatt begrenzt ohne jegliche Infiltrationsneigung und induziert keine Hyperplasien der bedeckenden Epithelien [Schwenzer und Ehrenfeld, 2010]. Auch hier besteht die Therapie in der chirurgischen Entfernung.

In der Literatur sind nur sehr wenige Fälle mit malignem Verhalten und sogar mit einer Metastasierung beschrieben. Multilokuläres Auftreten sowie positive Randschnitte korrelieren mit einer erhöhten Rezidivrate, hier empfiehlt sich eine engmaschige Nachkontrolle [Moten et al., 2018].

Daniel MüllerKlinik und Poliklinik für MKG-Chirurgie – plastische OperationenUniversitätsmedizin MainzAugustusplatz 255116 Mainz

PD Dr. med. Dr. med. dent. Keyvan SaghebKlinik und Poliklinik für MKG-Chirurgie – plastische OperationenUniversitätsmedizin MainzAugustusplatz 255116 Mainz


PD Dr. med. Dr. med. dent. Peer W. Kämmerer, M.A., FEBOMFSKlinik und Poliklinik für MKG-Chirurgie – plastische OperationenUniversitätsmedizin MainzAugustusplatz 255116 Mainz

peer.kaemmerer@uniklinik-mainz.de

Fazit für die Praxis

  • Granularzelltumore sind sehr seltene, primär gutartige Befunde. Diagnostik und Therapie sollten grundsätzlich durch fachkundige Kollegen oder in universitären Kliniken erfolgen, insbesondere bei einer raschen Progression eines unklar erscheinenden Prozesses.

  • Die chirurgische In-toto-Exzision ist die Therapie der Wahl. 

  • Wie allgemein üblich ist anschließend die Histologie zu prüfen, um gegebenenfalls weitere adjuvante Schritte einzuleiten.

  • Gegebenenfalls ist eine entsprechende Nachsorge durch die therapeutisch aktiv gewordene Klinik notwendig.

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Literatur:

1. Abrikossoff, A. P. Ueber Myome, ausgehend von der quergestreiften willkuerlichen Muskulatur. Virchows Arch 260, 215–233 (1926).

2. Barnes, L., Eveson, J. W., Reichart, P. & Sidransky, D. Pathology and Genetics of Head and Neck Tumours. World Heal. Organ. Classif. Tumours. 163–175 (2005). doi:10.1016/j.urology.2004.09.048

3. Schwenzer, N. & Ehrenfeld, M. Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie. (2010).

4. Moten, A. S. et al. Granular cell tumor experience at a comprehensive cancer center. J. Surg. Res. 226, 1–7 (2018).

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