Editorial

Vor dem Sturm

Uwe Axel Richter

Nun ist es das unmöglich Scheinende doch möglich geworden: Deutschland bekommt wieder eine Regierung – ohne Neuwahlen! Die neue Groko ist wieder ganz die alte. Allerdings nicht ganz, denn während des Zusammenraufens der größten Stimmenverlierer der letzten Wahl ergaben sich erhebliche Verschiebungen in der Machtbalance. Entgegen sonstiger Gepflogenheiten wurden die Ressorts nicht nach Stimmenproporz und Parteien“kompetenz“ verteilt, was schlicht und einfach daran lag, dass die SPD ihre Entscheidung von einem positiven Ausgang der Mitgliederbefragung abhängig gemacht hatte. 

Um aus CDU/CSU und SPD wieder Regierungsparteien zu machen, reichten bei der „notwendigen“ Mitgliederbefragung der SPD knapp 240.000 Ja-Stimmen. „So geht Demokratie“, jubilierte Noch-Bundesfamilienministerin Katarina Barley. Demokratie geht also in Anbetracht von 60 Millionen (!) Wahlberechtigten in Deutschland so: 78 Prozent der rund 463.000 SPD-Mitglieder beteiligen sich an der Abstimmung, von denen stimmen 66 Prozent mit Ja. Das sind stolze 52 Prozent aller Mitglieder. 0,4 Prozent der Wahlberechtigten entscheiden über eine neue Regierung. Ist das wirklich eine Lehrstunde der Demokratie? 

Aus meiner Sicht ein klares Nein, denn wenn ein Mitgliederentscheid nötig ist, ob die vom Volk gewählte Partei in die Regierung eintreten darf, dann führt sich das Parteiensystem selbst ad absurdum. Dies umso mehr, wenn es dabei zugeht wie auf dem Hamburger Fischmarkt. Denn bei Aale Dieter konnte man für den Preis von zwei Aalen auch deutlich mehr mit nach Hause nehmen – wenn man nur etwas wartete. 

Sie halten das Beispiel für unangemessen? Wäre der Mitgliederentscheid auch dann pro Regierungsteilnahme für die SPD ausgegangen, wenn Frau Merkel in ihrer Funktion als CDU-Vorsitzende die Fischtüte nicht mit so vielen und wichtigen Ministerien für die SPD gefüllt und damit der alten Tante das Gefühl alter Stärke und großer Wichtigkeit vermittelt hätte? Alles legitim, allein ein Geschmäckle bleibt. 

Nun also zum dritten Mal große Koalition unter der Führung von Frau Merkel. Das Bundesministerium für Gesundheit bleibt der CDU erhalten, aber statt Hermann Gröhe wird Jens Spahn neuer Gesundheitsminister. Gröhe muss gehen – nicht weil er keine gute Arbeit geleistet hätte, 49 Verordnungen und Gesetze in der 18. Legislatur sprechen zumindest von großem Fleiß – sondern weil Merkel der deutlich vernehmbaren Kritik an der überproportionalen Zuteilung von Ministerien an die SPD nur mit Verjüngung sowie mehr Frauen in ihrer Ministerriege Herr werden konnte. Deshalb also Spahn, jung, dynamisch und konservatives Aushängeschild der CDU. Für Jubel seitens der Heilberufler gibt dieser Umstand allerdings keinen Anlass, man denke nur an die Amtsvorgänger Philipp Rösler und Daniel Bahr ...

 Stattdessen wartet angesichts des Koalitionsvertrags harte Arbeit auf die Zahnärzteschaft. Zwar findet die Zahnmedizin bis auf digitales Bonusheft, Erhöhung der Festzuschüsse von 50 Prozent auf 60 Prozent sowie die zügige Novellierung der Approbationsordnung im Koalitionsvertrag kaum Erwähnung. Das darf allerdings nicht zu dem Schluss führen, dass die Zahnmedizin außen vor sei. Denn die (bewusst?) schwammig formulierten Direktiven für das Gesundheitswesen haben es durchaus in sich. Einige Beispiele: Reformierung von EbM und GOÄ (statt Bürgerversicherung), Erhöhung der Mindestsprechstunden für Vertragsärzte auf 25 Stunden, Arbeitsgruppe zur sektorübergreifenden Versorgung, Stärkung von Delegation und Substitution, Neujustierung der Aufgabenverteilung der Gesundheitsberufe. All das wendet sich primär an die Mediziner – aber welchem Politiker sind die Besonderheiten der Zahnmedizin bewusst? 

Hier ist umfangreiche politische Aufklärungsarbeit vonnöten. Das betrifft auch die Gebührenordnungen mit ihren Unterschieden in der Honorierungssystematik zwischen Zahnmedizin und Medizin. Zudem: Die Verjüngung des Kabinetts, vor allem die paritätische Besetzung der Ministerien ist mehr als nur ein Fingerzeig, dass die Koalitionsvereinbarung zur Gleichberechtigung von Frauen und Männern sehr ernst zu nehmen ist. Körperschaften, die nicht in der Lage sind, „ausreichend“ – um das Wort Quote zu vermeiden – Frauen in die Gremien zu bekommen, marginalisieren ihren politischen Einfluss. Wie sagte Frau Widmann-Mauz, ehemalige Staatssekretärin im BMG, bei Ihrer letzten Rede vor dem Zahnärztetag sinngemäß? „Wenn dort oben nicht bald ein paar Frauen sitzen, kommen wir nicht mehr.“ Sie sagte „wir“, nicht „ich“! 

Dr. Uwe Axel RichterChefredakteur

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