Koalitionsvertrag und Selbstverwaltung

Wächst der staatliche Einfluss?

Mit dem Ja der SPD-Mitglieder für eine Große Koalition steht fest: Die Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag werden umgesetzt. Dieser sieht Maßnahmen vor, die in der Selbstverwaltung Befürchtungen wecken, der staatliche Einfluss der Politik könnte zunehmen. Dazu Beispiele.

Zunächst gilt: Für den zahnärztlichen Bereich wird es prinzipiell entscheidend sein, welche Weichenstellungen konkret vorgenommen werden und ob oder inwieweit der Aktionsrahmen der zahnärztlichen Selbstverwaltung damit beschnitten wird.

Digitalisierung und E-Health-Gesetz

Für die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) wird es vor allem auf die genaue Ausgestaltung und die Rolle der Selbstverwaltung ankommen. Dazu der KZBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Wolfgang Eßer: „Bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens muss die Selbstverwaltung weiterhin der zentrale Akteur bleiben, Stichwort Bonusheft und elektronische Patientenakte. Damit das interoperabel ausgestaltet wird, ist die Selbstverwaltung unerlässlich. Sonst erntet man Lösungen, die nicht funktionieren und an den Bedürfnissen der Patienten und der Zahnärzte vorbeigehen.“

Kommission zur Honorarreform

Von zentraler Bedeutung für Zahnärzte und Ärzte ist die Frage der Honorarreform. Im Vertrag heißt es: „Sowohl die ambulante Honorarordnung in der Gesetzlichen Krankenversicherung (EBM) als auch die Gebührenordnung der Privaten Krankenversicherung (GOÄ) müssen reformiert werden. Deshalb wollen wir ein modernes Vergütungssystem schaffen, das den Versorgungsbedarf der Bevölkerung und den Stand des medizinischen Fortschritts abbildet.“ Daher will die Regierung dazu auf Vorschlag des Bundesgesundheitsministeriums eine wissenschaftliche Kommission einsetzen, die bis Ende 2019 unter Berücksichtigung aller hiermit zusammenhängenden medizinischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Fragen Vorschläge vorlegt. Ob diese Vorschläge umgesetzt werden, wird danach entschieden, heißt es. Für die KZBV ein sehr kritischer Punkt. Eßer dazu: „Zu einem solch riskanten Experiment mit der Versorgung unserer Patienten hat sich die KZBV immer ablehnend positioniert. In zahnärztlichen Praxen gibt es keine Zwei-Klassen-Medizin und Scheindebatten um vermeintlich „gerechte“ Honorarordnungen lösen keines der Probleme, die das Gesundheitssystem hat.“

Der Präsident der Bundeszahnärztekammer, Dr. Peter Engel ergänzt: „Die Zahnmedizin kann und darf neben der grundsätzlichen Kritik davon nicht betroffen sein, da sie eine Sonderrolle im Gesundheitssystem einnimmt und immer eine Folgeabschätzung der Eingriffe beachtet werden muss.“

Stärkung der Gesundheitsfachberufe

Der Koalitionsvertrag sieht auch eine neue Rollenverteilung der Gesundheitsberufe vor. Deren Aufgabenverteilung soll neu justiert werden, um ihnen mehr Verantwortung zu übertragen. Dieses Thema wird sowohl in der Zahnärzteschaft als auch unter den Ärzten diskutiert. Befürchtet wird, dass durch eine weitere Akademisierung der Fachberufe der ärztliche und zahnärztliche Beruf ausgehöhlt wird. Für BZÄK und KZBV kommt es darauf an, was genau geplant wird. Für BZÄK und KZBV gilt nach wie vor die Maxime: Delegation ja – Substitution nein. Hier hat sich die BZÄK als verantwortliche Standesorganisation immer klar positioniert. So formulierte die BZÄK in ihrem Memorandum zur Aus- und Fortbildung des zahnärztlichen Praxispersonals 2016: „Eine Ausweitung der Delegationsmöglichkeiten an Praxispersonal ist nicht notwendig, eine Verschiebung der Grenzen zwischen Substitution und Delegation wird abgelehnt.“ 

Weitere Vertragspunkte betreffen Regelungen, die die ärztliche Selbstverwaltung tangieren, und die von den Ärzten kritisiert werden (siehe Kasten).

Weitere Kommissionen

Laut Vertrag sollen weitere Kommissionen gebildet werden, um das Gesundheitssystem zu reformieren. So soll etwa eine Bund-Länder-Kommission zur Verbesserung der sektorübergreifenden Versorgung eingesetzt werden. Die Kommission soll „Vorschläge für alle Aspekte der Daseinsvorsorge genauso wie gezielte Strukturverstärkungen in Ländern und Kommunen“ erarbeiten. Des Weiteren soll eine Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“, bestehend aus Bundesregierung, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden gebildet werden. Und: Dem Bundesministerium für Gesundheit soll das Recht eingeräumt werden, eigene Modellprojekte beim Innovationsfonds einbringen zu können.

Dies brachte den Vorsitzenden des NAV-Virchow-Bundes, Dr. Dirk Heinrich, auf die Palme: „Der Staat übernimmt das Gesundheitswesen. Mit einer Vielzahl von Detailregelungen und der Schaffung neuer Institutionen sichert sich die Politik den Zugriff auf das Gesundheitswesen und baut ihren Einfluss aus”, so Heinrich. Er bezeichnete den Vertrag als „Totenschein für die Selbstverwaltung und die ärztliche Freiberuflichkeit“.

Änderungen im Zulassungsausschuss

Beabsichtigt ist ferner, dass die Länder ein Mitberatungs- und Antragsrecht in den Zulassungsausschüssen der KVen bekommen. Auch dadurch wird befürchtet, dass der Staat immer mehr in den Aufgabenbereich der Selbstverwaltung eingreift. Dies hat ein weiterer Akteur der Selbstverwaltung, die Kasse Barmer GEK, aufgegriffen und kritisiert: Die Beteiligung der Länder in den Zulassungsausschüssen komme einem Paradigmenwechsel gleich. Die Ausschüsse seien eine ureigene Angelegenheit der Selbstverwaltung, Mitwirkungsrechte der Länder stellten einen Systembruch dar, so die Kasse.sg/pr

Was die Ärzte kritisieren

Auf der letzten KBV-Vertreterversammlung Anfang März brachten die Delegierten ihre Kritik auf den Punkt. Sie verlangten ein Ende der Scheindebatten um eine angebliche Zwei-Klassen-Medizin und um die vermeintlich ungerechte Vergabe von Arztterminen. In einer Resolution betonten sie, dass es eine zukunftssichere ärztliche Versorgung nur mit der Selbstverwaltung gebe. Man konstatiere „mit Befremden die aktuellen Bestrebungen der Gesundheitspolitik, in die ärztliche und gemeinsame Selbstverwaltung einzugreifen“, heißt es darin. Diese seien angesichts der guten ambulanten Versorgung der Bevölkerung „mehr als unverständlich“. Insbesondere kritisierten die Delegierten, dass die Terminservicestellen der KVen von 8 bis 18 Uhr erreichbar sein und auch haus- und kinderärztliche Termine vermitteln sollen. Weiterer Kritikpunkt: Laut Vertrag soll die Mindestsprechstundenzeit von 20 auf 25 Stunden erhöht werden.

Diese Vorgaben sind der Ärzteschaft ein Dorn im Auge. KBV-Chef Dr. Andreas Gassen: „Schon heute bekommen die niedergelassenen Ärzte 10 bis 20 Prozent ihrer Leistungen aufgrund der Budgetierung nicht vergütet. Und jetzt sollen sie noch mehr Leistungen anbieten? Das ist ein Unding.“ Auch lehnen die Ärzte eine von den Koalitionspartnern geforderte gemeinsame Sicherstellung des ärztlichen Notfalldienstes durch Landeskrankenhausgesellschaften und KVen ab. Hierzu sollen laut Vertrag von den Krankenhausgesellschaften und den KVen in den Kliniken integrierte Notfallzentren aufgebaut werden, die unter gemeinsamer Finanzverantwortung stehen. Für die Ärzte ein weiterer Punkt der Aufweichung der bestehenden Strukturen der Selbstverwaltung.

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