Ein Plädoyer für den unternehmerisch tätigen Heilberufler

Gewinne sind nicht unanständig!

Von mehr Präsenzzeiten der Ärzte, zahnärztliche High-End-Versorgung, mehr Leistungen in der Pflege bis zur durchgehenden Digitalisierung: Natürlich will man neue oder zusätzliche Leistungen im Gesundheitswesen haben. Doch wenn es um die Vergütung geht, werden die Lippen meist schmal, und es heißt „Das ist alles schon in die bisherigen Honorare eingepreist“ oder „Wir akzeptieren maximal die Erstattung notwendiger Kosten“. Aber Gewinne für Heilberufler? Nö! Sind offenbar zu einem Tabu geworden. Brechen wir es auf, sprechen wir es an!

Dass in einem marktwirtschaftlichen Umfeld, auch in einer sozialen Marktwirtschaft, Gewinne für Unternehmer gesellschaftlich akzeptabel sind, steht grosso modo nicht infrage. Die Chance zur Gewinnerzielung ist ein enorm bedeutsamer Motivationsmotor. Doch bei Gewinnen für Heilberufler werden selbst die Industrie- und Arbeitgeberverbände, die ansonsten nicht auf die Idee kämen, diese zu verteufeln, vorsichtig – und vermuten schnell die Verschleuderung von Sozialversicherungsbeiträgen, die ihre Umsatzrendite schmälern. Ist das Gesundheitswesen in Sachen Unternehmensgewinn etwa ein Ausnahmebereich? 

Werfen wir einen Blick auf das ordnungspolitische Setting, in dem die heilberufliche Tätigkeit erfolgt, ehe wir auf die Frage eingehen, ob Heilberuflern für ihre Berufsausübung nur Kostenerstattung oder auch Gewinne zustehen. Die Leistungserbringung durch Ärzte und Zahnärzte, Apotheker, Pflegeberufe, Krankenhäuser und Pflegeheime, Gesundheitshandwerker, wie Optiker und Hörgeräteakustiker, erfolgt in einem besonderen und deshalb auch besonders reguliertem Umfeld – nicht nur in Deutschland, sondern auch in praktisch allen anderen entwickelten Staaten der Welt. 

Warum entscheiden sich Länder bei ihren Gesundheitswesen für besondere Systemregulierungen? Selbstverständlich könnte ein Staat sein Gesundheitswesen auf der Basis des reinen Marktmechanismus organisieren. Die notwendigen Erfolgsbedingungen für den reinen Marktmechanismus sind:

  • Ausschließlich Anbieter (der Arzt) und Nachfrager (der Patient) regeln den Preis. 

  • Es gibt keinerlei räumliche, persönliche, zeitliche Präferenzen zwischen Anbietern und Nachfragern.

  • Es herrscht symmetrische Information zwischen allen Akteuren.

  • Alle Akteure verhalten sich wie der idealtypische „homo oeconomicus“.

  • Es gibt nur „one shot contracts“ unter Spotmarktbedingungen, keine längerfristigen Vertragsbeziehungen.

  • Es gibt nur eine minimale staatliche, aber keine branchenspezifische Regulierung, das heißt, es wird ein Rechts- und Geldsystem bereitgestellt.

Doch sind diese Bedingungen bei der Versorgung im Krankheitsfall gegeben? Wohl kaum. Kein entwickelter Staat wagt es, sich beim Design seines Gesundheitswesens für den puren Marktmechanismus zu entscheiden. Warum? Die Menschen reagieren hypersensibel auf Probleme oder Bedrohungen im Gesundheitssystem. 

Wenn der Markt regiert

Wer als Gesetzgeber den Marktmechanismus benutzt, ohne dass dessen Erfolgsvoraussetzungen erfüllt sind, muss Marktversagen in Kauf nehmen, muss also für sein Land Phänomene wie unkontrollierte Monopole oder Oligopole mit einseitig diktierten Preisen und Produktqualitäten, eingeschränkte Verfügbarkeiten bis hin zur Nichtversorgung, ineffiziente Ressourcenallokationen und nicht zuletzt Täuschung, Irrtümer, Überforderung von Verbrauchern hinnehmen. Das scheut der Gesetzgeber aus gut nachvollziehbaren Gründen.

Das ordnungspolitische Gegenmodell ist die Institutionenökonomik. 

Das Gegenmodell

Sie verfolgt den Grundsatz, nicht den Marktmechanismus um jeden Preis einzusetzen, sondern Marktversagen zu vermeiden, indem die besonderen Spezifika des jeweiligen Marktes mit einer adäquaten branchengerechten Regulierung berücksichtigt werden. Was sind die Spezifika der Gesundheitsversorgung? Im Wesentlichen lassen sich drei fundamentale Besonderheiten herausstellen:

  • Patientenbesonderheit:Patienten haben ein krankheitsbedingtes Handicap, das mehr oder weniger stark ausgeprägt sein kann, aber keinesfalls ignoriert werden darf. Es führt zwangsläufig zu zeitlichen, räumlichen und personellen Präferenzen, zu langfristigen Beziehungen zwischen dem Patienten als Principal und dem Leistungserbringer als seinem Agent. Die Situation zwischen dem Patienten und seinen Heilberuflern ist im Unterschied zu anonymen Spotmarktsituationen grundsätzlich außergewöhnlich.

  • Produktbesonderheiten:Über die Produkte und Dienstleistungen, die im Krankheitsfall zur Verfügung stehen, herrschen zwischen den Anbietern auf der Leistungserbringerseite und den Nachfragern auf der Patientenseite asymmetrische Informationen. Seien es die diagnostischen Möglichkeiten oder die therapeutischen Konzepte – es handelt sich um hochspezifische Nicht-Laien-Produkte, zu denen der Patient anders als bei Produkten und Dienstleistungen des alltäglichen Gebrauchs keine Informationen hat, um mit dem Anbieter auf Augenhöhe interagieren zu können.

  • Versicherungsbesonderheiten:Alle entwickelten Staaten überlassen die Gesundheitsversorgung nicht einfach den Bürgern selbst, sondern schaffen mehr oder weniger komplexe Versicherungssysteme. Damit wird aber aus dem simplen Zwei-Personen-Spiel des vollständigen Marktes ein komplexes Multi-Personen-Spiel – neben dem Patienten und dem Leistungserbringer ist die Versicherung nun dritter Akteur. Ein Beispiel: Derjenige, der das Arzneimittel für den Patienten auswählt, bekommt es nicht und er bezahlt es auch nicht. Derjenige, der das Arzneimittel bezahlt, hat es nicht ausgewählt und bekommt es auch nicht. Und derjenige schließlich, der das Arzneimittel bekommt, hat es weder ausgewählt, noch bezahlt. In Gesundheitssystemen auf Versicherungsbasis sind wechselnde Koalitionen zwischen den drei Akteuren möglich und normal.

Unfreiwillig im Einsatz Staates 

Zusammengenommen veranlassen diese drei Spezifika jeder modernen Gesundheitsversorgung alle entwickelten Staaten zu branchenspezifischen Regulationen. Wenig überraschend, dass das Ausgestaltungsspektrum dabei enorm ist. Zu diesen Spezifika kommen weitere, allgemeinere entwicklungshistorische, kulturelle Momente der jeweiligen Gesellschaft. So ist vom hippokratischen Eid über das Edikt des Stauferkaisers Friedrich II. zur beruflichen Trennung von Arzt und Apotheker bis hin zur heutigen Form der Verkammerung der Heilberufe die Freiberuflichkeit ein prägendes Element des deutschen Gesundheitswesens. Sei es der niedergelassene Arzt, sei es der niedergelassene Apotheker – die ethische Verpflichtung, den Beruf zum Wohl des Patienten auszuüben, hat einen besonderen, in der Gesellschaft über Jahrhunderte verankerten Stellenwert. 

Begonnen im Mittelalter, aufgegriffen von Bismarck und verstärkt in der Weimarer Republik hat sich der Korporatismus als ein zweites prägendes Element des deutschen Gesundheitswesens etabliert. Mit der Verbändestruktur ist die Nachfrager- und Anbieterseite (wie GKV-Spitzenverband, Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung, Deutsche Krankenhausgesellschaft, ABDA und Deutscher Apothekerverband) klar strukturiert. Spätestens seit den Kostendämpfungsgesetzen ab Mitte der 1970er-Jahre hat der Gesetzgeber diese Struktur für seine Gesundheitspolitik genutzt, indem er die Verbände der Anbieter- und Nachfragerseite zu „beliehenen Unternehmern“ machte – ihnen also spezifische gesetzliche Aufträge erteilte, die sie wiederum auf ihre Mitgliedschaft herunterzubrechen haben: beispielsweise bi- oder trilaterale Rahmen- und Detailverträge abzuschließen, bestimmte Einsparziele zu erreichen, ja sogar neue hybride Anbieter-Leistungserbringer-Institutionen wie den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) oder die gematik zu gründen. Und für den Fall, dass die Verbände die Umsetzung der ihnen auferlegten Aufträge nicht hinbekommen, ist ein mittlerweile weitgehend durchreguliertes Schiedsstellenwesen bis hin zur ministeriellen Ersatzvornahme etabliert worden, so dass im Ernstfall anstelle der Verbände eine Entscheidung und Umsetzung stattfinden kann. 

Für den einzelnen Arzt in seiner Praxis oder den Apotheker in seiner Apotheke findet damit die heilberufliche Tätigkeit in einem besonderen ordnungspolitischen Setting statt, dem er sich – wenn er seinen Beruf in Deutschland ausüben will – nicht entziehen kann. Er ist aber nichtsdestoweniger auch Unternehmer und damit zugleich auch noch in einem weiteren Setting, in dem betriebswirtschaftliche Fakten eine hohe Relevanz haben.


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Das Thema ist heikel

Die Frage, die sich stellt: Dürfen Heilberufler, die in ganz besonderer Weise dem Patientenwohl verpflichtet sind, in einem hochregulierten Gesundheitssystem mit ihren Arztpraxen und Apotheken Gewinne machen? Sind Gewinne bei Heilberuflern unanständig? Sind die Heilberufler in ihrer Unternehmerschaft unausgesprochen dem Altruismus verpflichtet? Selbst die Berufsorganisationen der freien Heilberufe tun sich angesichts des medialen Umfelds, in dem die Diskussion stattfindet, schwer damit, offen zu fordern, dass ihre Mitglieder so vergütet werden, dass ihre Betriebe mit betriebswirtschaftlichem Gewinn arbeiten. 

Das Thema ist heikel. Wenn es um EBM oder BEMA, GOÄ oder GOZ oder die AMPreisV geht, wird allenthalben das Kostenerstattungsprinzip proklamiert. Beispielsweise interpretiert Iris an der Heiden von 2hm & Associates, die für das Bundeswirtschaftsministerium ein Gutachten zur Anpassung der Apothekerhonorierung erstellt hat, die Rechtslage des § 78 AMG so, dass 2004 in der AMPreisV die Apothekervergütung ausschließlich auf Kostenerstattungsbasis hätte festgesetzt werden dürfen. Der Wortlaut des § 78 AMG besagt jedoch, dass lediglich die Anpassung der Apothekervergütung „entsprechend der Kostentwicklung der Apotheken bei wirtschaftlicher Betriebsführung“ zu erfolgen habe – die initiale Festlegung durch das Ministerium war überhaupt nicht auf das Kostenerstattungsprinzip beschränkt.

Die Verfechter des Kostendeckungsprinzips bei der Vergütung der freien Heilberufe tun sich sogar schon schwer, alle betriebswirtschaftlich relevanten Kosten zu berücksichtigen und beschränken sich oft auf die steuerlich abzugsfähigen Kosten. Gerne werden auch nur die Tarifgehälter und nicht die marktbedingt notwendigen, höheren Effektivgehälter berücksichtigt. Iris an der Heiden von 2hm & Associates hat in ihrem Gutachten zur Apothekerhonorierung ein Modell entwickelt, in dem zunächst die Gesamtkosten der Apotheken anhand der Packungen in einen rezeptpflichtigen und einen nicht-rezeptpflichtigen Teil zerlegt werden und dann die RX-Vergütung der Apotheker so justiert wird, dass nur der durch die RX-Packungen „verursachte“ Teil erstattet wird. Eine Kostenzuordnung ausschließlich anhand des Kriteriums Packungen führt aber dazu, dass packungsunabhängige Kosten völlig unberücksichtigt bleiben. 

Im Fokus der Bank ist auch der BWL-Gewinn 

Betriebswirtschaftlich ist völlig klar, dass sich eine Bank, bevor sie dem freien Heilberufler seine Arztpraxis oder seine Apotheke mit einem Darlehen in sechsstelliger Höhe die Gründung finanziert, einen Businessplan vorlegen lässt. Wenn dieser nur die Deckung der steuerlich abzugsfähigen Kosten ausweist, wird sie das Darlehen ablehnen. Sie erwartet vom Heilberufler wie von anderen Unternehmern, dass die Gewinn- und Verlustrechnung des Gründers nicht nur die steuerlich absetzbaren, sondern auch die kalkulatorischen Kosten abdeckt und zusätzlich ein akzeptabler Gewinn ausgewiesen wird. Es genügt also keinesfalls, nur auf das steuerliche Betriebsergebnis zu schauen, vielmehr muss auch das betriebswirtschaftliche Betriebsergebnis fokussiert werden: Das ist der betriebswirtschaftliche Gewinn. 

Bei Personengesellschaften – die einzige Rechtsform, in der die freien Heilberufler Arzt und Apotheker ihre niedergelassene Tätigkeit ausüben können – sind steuerlich nur die direkten Kosten abzugsfähig. Für die profunde betriebswirtschaftliche Analyse ist jedoch eine umfassendere Sicht notwendig. Für einen Vergleich mit Betrieben, die in der Rechtsform von Kapitalgesellschaften betrieben werden – etwa weil man eine Gemeinschaftspraxis mit einem MVZ vergleichen, weil man den Firmenwert ermitteln oder weil man eine bisher inhabergeführte Apotheke in eine Filiale umwandeln möchte –, müssen zwingend zusätzlich die kalkulatorischen Kosten (Opportunitätskosten für den Unternehmer, für sein im Unternehmen gebundenes Eigenkapital sowie für von ihm dem Unternehmen bereitgestellte eigene Räume) berücksichtigt werden. Hierzu dienen über alle Branchen hinweg die maßgeblichen Standards des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW).

Gestattet wird zunehmend nur die Kostendeckung

Bei einigen Protagonisten ist zunehmend die Grundlinie erkennbar, den Heilberuflern bei Vergütungsanpassungen lediglich „Kostendeckung“ zu gestatten – frei nach dem Motto: „Wenn unterm Strich für den niedergelassenen Arzt ein Krankenhausoberarztgehalt oder für den niedergelassenen Apotheker ein Krankenhausapothekenleitergehalt als steuerliches Betriebsergebnis herumkommt, muss das genug sein.“ Wenn jedoch – mit Duldung oder gar aktiver Unterstützung des Gesetz- und Verordnungsgebers – die Vergütungen der freien Heilberufe auf solche Weise angepasst werden, werden die betriebswirtschaftlichen Betriebsergebnisse und Umsatzrenditen der Ärzte, Zahnärzte und Apotheker systemisch gedrückt. 

Das deutsche Gesundheitswesen mit seinen freien Heilberufen und korporatistischen Verbändestrukturen ist auf besondere und vielfältige Weise reguliert. Doch es wäre eine ordnungspolitische Sackgasse, den freien Heilberufler, den niedergelassenen Arzt, Zahnarzt und Apotheker, durch ein entsprechendes Systemdesign sukzessive zu einem Non-Profit-Unternehmen gestalten zu wollen. 

Fazit 

Betriebe, deren betriebswirtschaftliches Betriebsergebnis und deren Umsatzrendite den Wert null haben, haben keinen Firmenwert. Sie haben kein Investitionspotenzial, bekommen keinen Bankkredit. Sie sind für neue Inhaber nicht attraktiv, denn sie sind unter kaufmännischen Aspekten nicht wirtschaftlich überlebensfähig. Man mag ja darüber streiten, wie hoch ein angemessenes Betriebsergebnis für einen Heilberufler sein mag. Es müssen keine zweistelligen Umsatzrenditen sein, aber null geht nicht.


Die Neuformulierung oder Anpassung von EBM, BEMA, GOÄ, GOZ und AMPreisV stehen bei den akademischen Heilberufen an. Eine wichtige Frage dabei wird sein, ob den freien Heilberufen auch angemessene betriebswirtschaftliche Gewinne zugestanden werden. 

Es gibt keine ökonomische Rechtfertigung dafür, den Heilberufen unter Verweis auf ihre ethische Verantwortung einen Gewinnverzicht aufzuerlegen. 

Ein striktes Kostendeckungsprinzip wäre fatal. Es würde bei der Vergütung de facto ein Gewinnverbot für freie Heilberufe bedeuten. Ordnungspolitisch wäre es geradezu aberwitzig, wenn durch solch ein striktes Kostendeckungsprinzip ganze Leistungsbereiche des Gesundheitswesens so honoriert würden, dass die Firmenwerte systemisch auf null gestellt werden. Perspektivisch würden solche Bereiche aus dem Wirtschaftsleben komplett verschwinden. Und mit ihnen die Versorgung, die wir einmal wollten.

Bei diesem Text handelt es sich um einen modifizierten Nachdruck aus observer-gesundheit.de.

Umsatz

./. Wareneinsatz

./. Personalkosten (ohne Inhaber)

./. Raumkosten (jedoch nicht für Räume,   die dem Inhaber gehören) 

./. Fremdkapitalzinsen 

./. sonstige Betriebskosten 

= steuerliches Betriebsergebnis 

./. kalkulatorischer Unternehmerlohn 

./. kalkulatorische Miete 

./. kalkulatorische Eigenkapitalverzinsung

= betriebswirtschaftliches Betriebsergebnis

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