Interview mit BZÄK-Präsident Dr. Peter Engel anlässlich seines 70. Geburtstags

„Für eine prosperierende Zukunft der Profession müssen wir kämpfen“

Der zahnärztliche Bereich steht vor massiven Umwälzungen: Die veränderten Ansprüche der jungen Generation haben Einfluss auf die Berufsausübung, die Digitalisierung prägt die Behandlung wie die Patientenbeziehung, fachfremde Investoren ändern die Versorgungslandschaft und die Politik greift in die freiberufliche Selbstbestimmung ein. In dieser Phase des Umbruchs hilft eine Standespolitik des Weitblicks, des aktiven und reflektierten Handelns und der Vertrauensbildung. Ein Gespräch mit BZÄK-Präsident Dr. Peter Engel.

Herr Dr. Engel, was sind die größten Herausforderungen für den zahnärztlichen Berufsstand – heute und künftig?

Dr. Peter Engel: Wir leben in einer Gesellschaft, in der das soziale Gefüge auseinanderzubrechen droht und Missgunst und Neid sich ausbreiten. Die Freien Berufe und der Mittelstand werden zunehmend bedrängt. Gleichzeitig erleben wir in unserer Profession erhebliche Strukturveränderungen bei Praxisformen und Berufsausübung. Der Gesundheitsmarkt wird zunehmend von Fremdinvestoren erobert. Es drohen Vergewerblichung und eine Discountmedizin mit der Kommerzialisierung zahnärztlicher Leistungen. Der Patient wird zur Randerscheinung, der (Zahn)Arzt zur Marionette. Die Gefahr, dass das Geld und nicht der Patient im Vordergrund steht, wächst. Zunehmend.

Die Werte und Grundsätze, mit denen wir aufgewachsen sind – Selbstverpflichtung, Freiberuflichkeit, ein vertrauensvolles Arzt-Patienten-Verhältnis, eine starke Selbstverwaltung – werden mehr und mehr Marktstrukturen geopfert. Aber ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Arzt und Patient hat nichts mit Markt zu tun. Wenn wir unsere Grundwerte aufrechterhalten wollen, stehen gewaltige Aufgaben vor uns, die wir nur bewältigen werden, wenn wir die Belange der nachfolgenden Generation wesentlich stärker berücksichtigen. Das bedeutet auch, verkrustete Strukturen aufzubrechen.

Was ist die bisherige Bilanz Ihrer standespolitischen Arbeit – was schätzen Sie als besonders positiv ein?

Das sind eher die Erfolge der Profession insgesamt: Dazu zähle ich vor allem die Präventionserfolge der Zahnärzteschaft, wie sie in der DMS-V-Studie zur Mundgesundheit zum Ausdruck kommen. Dazu gehört auch der Einsatz für Risikogruppen – Menschen mit Pflegebedarf oder Behinderung, die Vermeidungsstrategien gegen frühkindliche Karies oder Menschen aus sozial schwierigen Verhältnissen. Für ganz wichtig halte ich den ehrenamtlichen Einsatz – zum Beispiel bei großen Katastrophen, in der Flüchtlingsproblematik, beim Einsatz für Obdachlose. Das hilft uns, gesellschaftliche Akzeptanz für den Berufsstand zu schaffen – indem man Vertrauen bildet.

Auch die Positionierung der BZÄK im nationalen und im internationalen Bereich ist erheblich vorangekommen. Wir haben ein gutes Standing bei europäischen und internationalen Institutionen erlangt. Insbesondere auf europäischer Ebene – mit Blick auf die Themen, die von der EU auf den Weg gebracht werden und die in den Praxen ihren Niederschlag finden – sind wir gut und vertrauensvoll vernetzt.

Wenn Sie zurückblicken: Würden Sie etwas ändern wollen?

Ich würde nichts anders machen. Nur vielleicht – aus der mittlerweile erlangten Erfahrung heraus – hin und wieder etwas rigoroser agieren.

Was bedeutet es für Sie, Standespolitiker zu sein?

Das bedeutet für mich, die Interessen aller Kolleginnen und Kollegen zu vertreten, von denen wir gewählt worden sind und für die wir eine bestimmte Verantwortung übernommen haben. Doch oft haben wir es schwerer mit uns selbst als mit unseren gesundheitspolitischen Antagonisten. Das ist eine Sache, die ich oft bedauere.

Wenn das so ist – was bringen Ihnen denn all diese Aufgaben ganz persönlich?

Ich profitiere von diesen Dingen enorm, weil ich nicht nur dieses begrenzte Denken und Fühlen auf dem Zahnarztstuhl erfahre, sondern durch andere Menschen inspiriert werde, auf andere Themen komme und Sachverhalte über den Tellerrand hinaus betrachten kann. Das ist es auch, was die europäische und internationale Arbeit ausmacht: Dass man lernt, die ureigensten deutschen Probleme loszulassen, und durch die Erkenntnisse aus anderen Ländern lernt, die eigenen Probleme zu relativieren. Und damit auch das deutsche Gesundheitssystem in einen anderen Kontext setzen kann.

Das ist sicherlich ein Punkt, der mehr junge Kolleginnen und Kollegen motivieren könnte, sich standespolitisch zu engagieren, oder?

Ich würde allen Kolleginnen und Kollegen empfehlen, nicht nur ihre eigene Praxis zu sehen, sondern so viel Erfahrung zu sammeln wie möglich – sei es im direkten Umfeld, über Stammtische, Kongresse, standespolitische Aktivitäten, national, europäisch oder international. Das weitet den Horizont und verändert den Blickwinkel. Das ist so, als ob man bei einem Hühnerhaufen auf den Zaun steigt, statt immer mit den Hühnern mitzulaufen. Die Beobachterperspektive ist häufig sehr hilfreich.

Was ärgert Sie persönlich am meisten?

Unehrlichkeit und Intrigantentum.

Und wofür sind Sie in Ihrem Leben am meisten dankbar?

Für all die Erfahrungen, die ich bisher erleben durfte, im Positiven wie im Negativen, ja, auch im Negativen. Denn das Negative formt einen Menschen am meisten. Nur positive Erlebnisse machen satt, behäbig und überheblich, sie lassen einen am „Was ist“ kleben. Und sie verhindern, die Gedanken in die Zukunft zu richten.

Wie beurteilen Sie unter diesen Gesichtspunkten die gesundheitspolitischen Entwicklungen der vergangenen Jahre – auch in Bezug auf die Berufsausübung der Zahnärzte?

Durchaus negativ. Selbst- und Eigenverantwortlichkeit werden vom Staat überhaupt nicht gewünscht. Für den zahnärztlichen Berufsstand heißt das, dass unsere Verantwortung dem Patienten gegenüber, unsere fachliche Weisungsunabhängigkeit und unser Können von der Politik immer stärker beschnitten werden. Wir werden immer mehr zu Marionetten einer reglementierten Bürokratie. Der Patient ist nur noch eine Randerscheinung, im Prinzip dreht sich alles um Kosten.

Das ist eine Entwicklung, die der Freiberuflichkeit und den Freien Berufen generell nicht gut tut. Wir haben es mit Entmündigung, Schwächung der Selbstverwaltung sowie wachsenden Vorgaben und Regelmechanismen zu tun. Damit einher geht auch eine Schwächung des Mittelstands, daraus folgt eine Schwächung der politischen Stabilität, für die der Mittelstand immer gestanden hat. Und wenn diese Säule wegbrechen sollte, sehe ich das als sehr dramatisch an.

Dann sehen Sie also nicht so zuversichtlich in die Zukunft?

Zurzeit nicht. Wir Zahnärzte stellen fest, dass die Vorgaben durch den Staat zugenommen haben. Und dass damit das, was mein Amtsvorgänger Jürgen Weitkamp als Versozialrechtlichung bezeichnet hat, immer stärker geworden ist.

Eigentlich eine düstere Perspektive, auch für jüngere Kollegen …

Nun, das ist eine persönliche Momentaufnahme – und Herausforderung der Stunde. Das sollte aber keinesfalls in Verzweiflung und Resignation münden. Die Erkenntnis, die man daraus gewonnen hat, sollte uns nicht stoppen, uns gegen diese Entwicklungen zu behaupten und immer wieder für die Werte zu kämpfen, die wir als gut erachten. Wir müssen uns den Zeichen der Zeit entsprechend stellen, und damit auch die jüngeren Kollegen – unsere Nachfolgergeneration – mitnehmen. Wenn das nicht erfolgt, wird es uns aufgrund der erheblichen Strukturveränderungen nicht gelingen, die Profession in eine prosperierende Zukunft zu bringen.

Deshalb ist es mir sehr wichtig, dass wir die Bedürfnisse und Bedarfe der jungen Generation erkennen und junge Kolleginnen und Kollegen verstärkt einbinden. Sie haben andere Bedürfnisse bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das hängt auch, aber nicht nur, mit der Feminisierung des Berufsstands zusammen. Anstellung wird interessanter, wir brauchen neue Kooperationsformen, die Niederlassung erfolgt später. All das erfordert eine ganz andere Praxisstruktur und -ausübung. Diese Entwicklungen muss die Standespolitik erkennen – und sich öffnen. Der Berufsstand muss passende Modelle entwickeln und Unterstützung geben. Und wir müssen mehr junge Kolleginnen und Kollegen dazu bringen, sich standespolitisch zu engagieren. Wer heute noch behauptet, der Goldstandard der Einzelpraxis existiert noch wie vor 30 Jahren, der hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt.

Dann wird die Zukunft des Zahnarztberufs also ganz anders aussehen?

Zukunft heißt doch, dass sich etwas verändert. Das muss nicht immer zum Negativen sein. Man sollte keinesfalls den Fehler begehen, zu sagen – jetzt, wo man älter geworden ist –, alles was die Zukunft bringt, ist furchtbar. Keinesfalls darf man resignieren und dabei handlungsunfähig werden. Wichtig ist, neue Strukturen und Prozesse kritisch zu begleiten. Sie sind notwendig, um etwas voranzubringen, aber es ist genauso wichtig, daran zu feilen, bis sie funktionieren.

Welche Wünsche haben Sie an die Politik?

Mehr Glaubwürdigkeit und mehr Kommunikation mit den betroffenen Gruppierungen, bevor auf die Schnelle Gesetze gemacht werden, die alle paar Monate wieder geändert werden müssen. Ich wünsche mir auch mehr Zusammenarbeit der Politik mit der Zahnärzteschaft, da beide für das Gemeinwohl verantwortlich sind. Die Verfolgung von Einzelinteressen, die sich nur um Profit drehen, stellen keine Lösung dar, um gemeinsam eine Zukunft zu gestalten. Bei uns, wie auch in der Politik, brauchen wir weniger Machtstrukturen, dafür mehr Transparenz und mehr Integrationsfiguren.

Mehr Transparenz, mehr Integration – wie kann man diese Ziele denn erreichen?

Durch eine offene Kommunikation. Wichtig ist Zuhören. Es ist eine besondere Gabe, die Geduld aufzubringen, anderen zuzuhören und herauszufinden, wo die Anliegen und Probleme beim Gegenüber sind. Das hilft sehr – in jeder Lebensphase und auf allen Ebenen.

Früher haben die Menschen den Pfarrer aufgesucht, der ihnen zugehört hat, dann haben sie den Arzt gehabt, der Arzt heute hat keine Zeit mehr, und jetzt müssen sie zum Psychologen gehen ... Ich gebe zu, das ist etwas plakativ gesagt, aber kurzum: Das soziale Gefüge löst sich auf und die ureigenen menschlichen Kommunikationswege und die damit verbundenen Werte bleiben auf der Strecke.

Das klingt nach einem sehr nachdenklichen Präsidenten ...

Das darf man doch erwarten. Das bringt die Verantwortung für das Amt mit sich. Wenn man einen bestimmten Beruf, eine Position oder ein Amt bekleidet, wo es manchmal heikel werden kann, macht es Sinn, zu reflektieren und Dinge zu hinterfragen. Das ist nicht nur in der Standespolitik so, sondern auch im Arztberuf, bei Piloten, Busfahrern, Zugführern oder Politikern. Und es schützt vor Fehlern.

Natürlich macht jeder mal Fehler, das ist nicht verwerflich. Verwerflich ist nur, abends nach Hause zu gehen und am nächsten Morgen denselben Fehler nochmals zu machen. Fehler passieren, aber man sollte daraus lernen. Insofern mache ich manchmal gern einen nachdenklichen Eindruck.

 Aber: Mich hat natürlich die großartige rheinische Mentalität geprägt, die einen lehrt, mit dem „menschlich-allzu-Menschlichen“ verständnisvoll umzugehen. Und dazu gehört unbedingt eine gewisse Portion Humor. Und die Erkenntnis, sich selbst nicht ernster zu nehmen, als es unbedingt sein muss.

Damit sind Sie Ihrer Wahlheimat Köln ja ganz eng verbunden ...

Klar! Der Kölner ist damit immer gut gefahren. Ich bin in Köln, obwohl nicht dort aufgewachsen, damit auch gut gefahren. Es steckt eine gewisse Philosophie dahinter: Man muss ein wenig Abstand bewahren, um den Herausforderungen gerecht zu werden. In dem Moment, wo Sie in Hektik verfallen – wie gesagt, mit den Hühnern mitlaufen – fehlt Ihnen die Orientierung. Dann ist man auch nicht mehr in der Lage, folgerichtig und gezielt zu reagieren.

Eine letzte Frage: Welcher politische Sparringspartner hat Sie am meisten beeindruckt?

Das mit dem Beeindrucken ist ja immer so eine Sache: In einer Standesfunktion hat man keine wirklichen persönlichen Kontakte. Diese Kontakte gelten meistens der Funktion, aber nur ganz selten dem Menschen. Fakt ist: In dem Moment, wo man die Funktion nicht mehr bekleidet, verändert sich das ganze Gefüge. Das muss man wissen, und das ist auch okay so.

Ich bin kein Mensch, der mit oder ohne Funktion zu einer Person aufschaut. Viel mehr beeindrucken mich Menschen, die mit ihrem Tun Wichtiges bewirken. Zum Beispiel, wenn ich mit jemandem spreche, der bei Katastropheneinsätzen seine Praxis oder Arbeitsstelle verlässt und drei Wochen damit zubringt, Toten ihre Identität zurückzugeben. Das finde ich höchst beeindruckend. Davor habe ich großen Respekt.

Die Fragen stellte Gabriele Prchala.

Beruflicher Werdegang: Zahnärztekammer Nordrhein: Bundeszahnärztekammer: Sonstige Mitgliedschaften: Mitglied im Aufsichtsrat: Mitglied im Beirat: Bundesverband der Freien Berufe:

  • Geboren am 10.9.1949, verheiratet, drei Kinder

  • 1969–1975: Studium der Zahnheilkunde in Kiel, 1975 Approbation

Beruflicher Werdegang:

  • 1975–1979: Assistent an der Klinik für MKG-Chirurgie, seit 1978 Fachzahnarzt für Oralchirurgie, 1979 Promotion zum Dr. med. dent.

  • 1980–2016: Niederlassung in eigener Praxis in Köln

Zahnärztekammer Nordrhein:

  • 2000–2010: Präsident. Referate: Gesundheitspolitik, Öffentlichkeitsarbeit, Europapolitik, Euregio, GOZ

Bundeszahnärztekammer:

  • seit 2000 Mitglied des Vorstands

  • seit 25.10.2008 Präsident. Gesamtverantwortung/Repräsentanz: Gesundheits- und Sozialpolitik, GOZ und Gebührenrecht, Internationale Zusammenarbeit, Mitglied der deutschen Delegation der World Dental Federation (FDI), der European Regional Organisation (ERO) und des Council of European Dentists (CED)

Sonstige Mitgliedschaften:

  • Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK), Akademie Praxis und Wissenschaft (APW), Freier Verband Deutscher Zahnärzte, Chicago Dental Society/American Dental Association (ADA)

Mitglied im Aufsichtsrat:

  • Deutsche Apotheker- und Ärztebank

  • Deutsche Ärzteversicherung

Mitglied im Beirat:

  • Deutsche Ärzteversicherung

Bundesverband der Freien Berufe:

  • 2013–2019 geschäftsführender Vizepräsident

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