Freie Ärzteverbände warnen vor Sicherheitslücken in der TI

Stecker ziehen und auf die Musterklage warten

Freie Ärzteverbände machen mobil gegen Sicherheitslücken in der Telematikinfrastruktur (TI) und gegen die Digitalisierungsstrategie von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Ihre Kritik: Der TI-Konnektor schützt nicht gegen Hackerangriffe auf die Praxissysteme, es gibt viele ungeklärte Fragen und bei Pannen haftet der Arzt. Angestrebt werden Musterklagen: gegen Honorarabschläge bei nicht fristgerechter TI-Anbindung, und wenn angeschlossene Praxen tatsächlich gehackt werden sollten.

Die Ärzteverbände Medi Geno Deutschland, die Freie Ärzteschaft (FÄ) und der Freie Verband Deutscher Zahnärzte (FVDZ) warnen vor Sicherheitslücken in der TI. Auf einer Pressekonferenz am 27. Juni kündigte Dr. Werner Baumgärtner, Vorstandsvorsitzender von MEDI Baden-Württemberg und Medi Geno Deutschland, Musterklagen gegen die Honorarbescheide für Praxen an, die sich der gesetzlich vorgesehenen Installation des TI-Konnektors verweigern und dafür mit einem Honorarabzug rechnen müssen (ein Prozent 2019, 2,5 Prozent 2020).

Sein Verband hat folgerichtig IT-Experten beauftragt, die derzeit in den Praxen eingebaute TI-Technologie auf Sicherheitsmängel zu prüfen. Laut Baumgärtner schützt der TI-Konnektor nicht gegen Hackerangriffe auf Praxissysteme: „Bei der Prüfung der Schutzprofile fanden die Experten verschiedene ungeklärte Fragen zur Sicherheit des TI-Konnektors. Insbesondere schützt der Konnektor selbst bei ordnungsgemäßer Installation nicht zuverlässig gegen Angriffe in die Praxissysteme, obwohl das vonseiten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gegenüber den Ärzten behauptet wird.“

Mit den Gutachterergebnissen hatte sich Baumgärtner an das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), die KBV und die gematik gewandt. Sein Fazit: „Auch schriftliche Anfragen brachten keine Antwort auf die Kernfrage, was der Konnektor als Firewall wirklich leistet und wie er die Arztinformationssoftware vor Angriffen aus der TI schützt. In der letzten Antwort der KBV, die sich auf Aussagen der gematik stützt, wurde aus einem Schutzprofil zitiert, das gar nicht auf die aktuellen Konnektoren zur Anwendung gekommen ist.“

Per Gericht gegen „staatlich erzwungene Vernetzung“

Inakzeptabel findet Baumgärtner, dass Praxen unter Strafe in eine TI gezwungen werden, deren Sicherheit nicht ausreichend geprüft sei und zu der entscheidende Sicherheitsfragen unbeantwortet seien. Die Haftung bei Datenverlust durch Hacking liege gemäß der Datenschutz-Grundverordnung (DSVGO) bei den Praxen, und die Patientendaten seien nicht so sicher, wie dies notwendig wäre. Außerdem fehlt laut Baumgärtner auch eine Datenschutzfolgeabschätzung, die laut DSGVO notwendig ist, bevor ein Anschluss an die TI erfolgt.

Er kündigte an, dass Medi Geno Deutschland gerichtlich gegen die „staatlich erzwungene Vernetzung“ vorgehen wird. Baumgärtner: „Wir kritisieren auch, dass die Sicherheit des Anschlusses der Praxen an die TI nicht in einem Penetrationstest getestet wurde. Eigene Tests der Ärzteschaft sind gesetzlich verboten. Wir hätten den PEN-Test auf unsere Kosten durchgeführt“.

Baumgärtner zufolge liegen ihm 1.300 Meldungen aus Praxen vor, nachdem dort die Konnektoren installiert worden waren. In Einzelfällen gab es bis zu 600 Abstürze der Praxissoftware, verbunden mit entsprechenden Arbeitsausfällen, berichtete er.

Eine unsichere Zwangsvernetzung aller Daten im deutschen Gesundheitswesen monierte Dr. Silke Lüder, stellvertretende Bundesvorsitzende der Freien Ärzteschaft. Lüder: „Wenn mein Patient in der Sprechstunde nicht mehr darauf vertrauen kann, dass das, was er mir über seine gesundheitlichen Probleme berichtet, in meinem Sprechzimmer bleibt, kann ich nicht mehr für ihn arbeiten. Mein Patient wird mir vieles nicht mehr erzählen und ich kann dadurch keine aufschlussreichen Anamnesen mehr erheben und keine richtigen Diagnosen stellen.“ Lüder wies darauf hin, dass Ärzte schon seit Langem digitalisierte Daten in Praxis und Klinik anwenden. Sie forderte eine sichere digitale Kommunikation: Ende-zu-Ende verschlüsselt, ohne staatlichen Zugriff und ohne zentrale Speicherung. Stattdessen baue Bundesgesundheitsminister Jens Spahn populistisch eine unsichere Handykommunikation auf, mit der die ärztliche Schweigepflicht nicht mehr gesichert sei. 

Überschreitet das SGB hier eine Grenze?

„Mediziner sind keine Digitalisierungsgegner – im Gegenteil!“, sagte FVDZ-Bundesvorstandsmitglied Bertram Steiner. „Wenn wir uns hier auf dem Podium zur Digitalisierung positionieren, dann sicherlich nicht, weil wir mit der Digitalisierung nichts anzufangen wissen. Nein, wir tun es, weil wir wissen, was die Digitalisierung zum Nutzen unserer Patienten leisten kann. Und weil wir wissen, wo sie nur Geld und Zeit verschwendet und Verwirrung stiftet.“

Der Justitiar und Vorstand der Mediverbund AG, Frank Hoffmann, hält es für nicht hinnehmbar, dass das Sozialgesetzbuch Arztpraxen dazu zwinge, sich an eine Telematikinfrastruktur anzuschließen, bei der ungeklärte Fragen hinsichtlich der Sicherheit der Patientendaten bestehen. „Wir halten deshalb den Zwang, einen TI-Konnektor zu installieren, für rechtlich unzulässig und lassen die Rechtmäßigkeit der Honorarabzüge gerichtlich prüfen“, sagte Hofmann, der die Musterklagen koordiniert. „Unser Ziel ist es, auf dem Rechtsweg die Honorarstrafe abzuschaffen. Dann können sich Arzt- und Psychotherapiepraxen gegen den TI-Konnektor und für eine sicherere Vernetzungstechnologie entscheiden – ohne finanzielle Einbußen hinnehmen zu müssen.“ Man behalte sich auch vor, Musterklagen gegen die Verantwortlichen des Zwangs zum Konnektor-Anschluss zu führen, wenn Praxen, die an die TI angeschlossen sind, gehackt werden. „Wir können die betroffenen Praxen an der Stelle nicht alleine lassen und werden deshalb im Sinne einer geteilten Verantwortlichkeit gemäß der DSVGO die Praxen bei Klagen unterstützen – sowohl gegen die Verantwortlichen für die TI-Zwangsinstallation als auch gegen diejenigen, die nicht korrekt installiert haben.“

Auf der Pressekonferenz kamen auch IT-Experten zu Wort. Prof. Dr. Hartmut Pohl, Geschäftsführer der Cyber-Sicherheitsberatung softScheck GmbH, Köln – Sankt Augustin, erklärte, die Penetrationstests gehörten standardmäßig zu den sechs Testmethoden bei der Sicherheitsprüfung von Softwareprodukten und -systemen. Pohl: „Jede dieser Methoden identifiziert andersartige Sicherheitslücken in Hardware und auch in jeder Art Software. Für die Nutzung freigegeben werden kann ein System oder ein Produkt erst nach einem erfolgreichen Security-Test!“ Deshalb schreibe die ISO-Norm vor, dass die Tests über den gesamten Prozess der Software-Entwicklung angewandt werden müssen. „Das bedeutet, dass der Security Testing Process mit allen sechs Methoden bei sicherheitsrelevanten Ergänzungen und Modifizierungen erneut durchlaufen werden muss“, erklärt Pohl, der auch Sprecher des Präsidiumsarbeitskreises ‚Datenschutz und IT-Sicherheit‘ der Gesellschaft für Informatik ist.

Dass Patientendaten für Hacker im Moment leicht zugänglich sind, davon ist IT-Dienstleister Jens Ernst, Geschäftsführer der Happycomputer GmbH, überzeugt. Für eine Arztpraxis hatte er bei einer Sicherheitsprüfung auf verschiedene Arten das Testvirus EICAR über den ordnungsgemäß angeschlossenen TI-Konnektor ins Praxisnetzwerk eingeschleust – und nach eigener Aussage nachgewiesen, dass die integrierte Firewall die Kommunikation nicht kontrolliert habe und alle Ports ausgehend geöffnet worden seien. Der Test lasse auf unzureichenden Schutz schließen.

Auf die Frage einer Journalistin, was ein Arzt denn nun konkret tun könnte, um einem Hackerangriff zu entgehen, lautete die Antwort: „Den Internetstecker ziehen, gesetzliche Honorarabschläge in Kauf nehmen – und auf die Musterklagen warten!“

Die gematik stellt klar: Praxen haften nicht für TI

gematik, 27. Juni 2019*Datenschutz-Grundverordnung

„Das Sicherheitsniveau der Praxis-IT wird steigen“

 Dr. Karl-Georg Pochhammer ist Stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes der KZBV.

 Informationen zum fachgerechten TI-Anschluss

„Der Arzt ist nur für die Systeme innerhalb der Praxis verantwortlich“

Dr. Thomas Kriedel ist KBV-Vorstandsmitglied.

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