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Dr. Willi Bach

„Auf die Argumentation ‚Wir haben das aber immer so gemacht‘ war ich nicht gefasst!“

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Ich bin im Januar 2023 in die Praxis gekommen und habe anschließend ein Quartal lang in Anstellung mitgearbeitet. Das war gleichzeitig die Kennlernphase. Nach einer zweiwöchigen Umbauphase über Ostern habe ich im April 2023 die Leitung der Praxis übernommen. Die Übergabe inklusive des Praxisnamens lief dank der Beratung von Fachexperten reibungslos. Diese Unterstützung war für mich absolut sinnvoll, da man gerade in der intensiven ersten Phase nicht selbst an alles denken kann. Die Selbstständigkeit war für mich jedoch schon immer gesetzt, denn jeder in meiner Familie ist selbstständig, wenn auch nicht als Zahnmediziner.

Eigentlich wollte ich mit einem Kollegen gründen. Das passte dann aber aufgrund unserer verschiedenen Einstellungen doch nicht. Also machte ich den Schritt allein und denke rückwirkend, das war richtig so – einfach solo. Niemand redete mir rein, ich hatte die volle Entscheidungsfreiheit über Mitarbeiter, Gestaltung und Gerätschaften. Allerdings übernahm ich eine Zweibehandler-Praxis und so fing ich das erste halbe Jahr mit rund 50 Behandlungsstunden pro Woche komplett allein auf. Das war unheimlich viel Arbeit, und dabei war die Büroarbeit noch nicht einmal eingerechnet.

Damit kam ich zusammen locker auf 70 Stunden pro Woche. Dazu kam der Druck, den gesamten Umsatz für das Überleben der Praxis allein erwirtschaften zu müssen. Dadurch entsteht eine mentale Belastung, die nicht zu unterschätzen ist! Nach etwa einem halben Jahr merkte ich, dass die Last für mich zu groß wurde und beschloss, einen zahnärztlichen Kollegen einzustellen. Dadurch reduzierte sich meine wöchentliche Behandlungszeit auf etwa 40 Stunden. Ein weiteres Jahr ­später stellte ich die nächste Kollegin ein. Kurz darauf bekamen meine Frau und ich Nachwuchs. Somit war die ­personelle Erweiterung genau richtig.

Eine weitere große Herausforderung war dann die Umstellung der Praxisorganisation von analog auf digital. Sowohl deren Einrichtung als auch die Mitarbeiter zogen dabei nicht geschlossen mit. Es hat mich Kraft gekostet, alle mitzunehmen und zu motivieren. Auf fest eingefahrene Prozesse und die ­Argumentation „Wir haben das aber immer so gemacht“ war ich nicht gefasst. Eine Mitarbeiterin ging dann in Rente, eine andere woanders hin.

Den Bereich der Mitarbeiterführung mit allem Drumherum habe ich unterschätzt. Ich denke, das geht wahrscheinlich nicht nur mir so. Wir lernen das nicht an der Uni. Da muss man sich selbst entwickeln und weiterbilden. Meine Empfehlung dafür ist ein Coaching im Vorfeld. Ab einer gewissen Praxisgröße ist eine Praxismanagerin unverzichtbar. Seitdem fühle ich mich spürbar entlastet.

Inzwischen passt das Team gut zu mir und zur überarbeiteten Praxis. Wir ­haben das Eigenlabor weiterentwickelt, die Prophylaxe ausgeweitet und die ­Fläche auf 500 Quadratmeter erweitert, weil die Immobile das hergab. Nun gibt es sieben Behandlungszimmer und das Team kommt insgesamt auf 19 Personen inklusive der drei Zahntechniker. Wir sind also personell ordentlich gewachsen. Das bedeutet aber auch, dass ich mich um mehr Menschen kümmern muss – mit dem entsprechenden bürokratischen Aufwand, der Betreuung und der mentalen Herausforderung als Führungskraft.

Das rät der Praxisberater

Wie gehe ich mit einem extrem hohen Druck zu Beginn der Gründungsphase um?

Wir raten dazu, wenn möglich, die Praxis nicht von einem auf den anderen Tag zu übernehmen. Eine vorherige Anstellung, zum Beispiel als Entlastungsassistent für ein paar Wochen, kann dabei helfen, die Praxis kennenzulernen. Auch die Weiterbeschäftigung des Abgebers kann entlastend sein. Es ist ratsam, vor der Gründung noch einmal richtig Urlaub zu machen und den Übergang mit nicht zu vielen Veränderungen auf einmal zu gestalten. Idealerweise sollte die Personalplanung auch im Businessplan abgebildet werden. Es ist Aufgabe des Praxisinhabers, seine angestellten Behandler entsprechend auszulasten. So muss man nicht warten, bis man selbst völlig überlastet ist.


Wie gelingt die Umstellung der Praxisorganisation von analog auf digital?

Die Transformation hin zur Digitalisierung ist immer ein herausfordernder Prozess und ein hoher Kostenpunkt und sollte daher individuell im Gründungskonzept einplant ­werden. Hier hilft es, sich im Vorfeld auf Dentalmessen und bei Veranstaltungen für Existenzgründer einen Überblick zu verschaffen und anschließend Profis hinzuzuziehen. Aktuell­ entstehen viele neue digitale Anbieter und Dienstleister.


Zu welchem Zeitpunkt müssen Expansionswünsche mitgedacht werden?

Der Wunsch nach beliebig viel Fläche und flexibler Erweiterbarkeit ist bei fast allen Gründern sehr gefragt. Es empfiehlt sich, von Beginn an eine gute Planung aufzustellen und den möglichen Bedarf zu erörtern. Leider sind viele Bestandspraxen durch das Gebäude limitiert. ­Wir empfehlen, den Vermieter darüber in Kenntnis zu setzen, dass weiterer ­Flächenbedarf besteht. So kann freiwerdende Fläche direkt angeboten werden, denn oftmals weiß der Vermieter bereits frühzeitig von den Plänen anderer Mietparteien.


Praxisberater Robert Döringer, Bollwerk, Hamburg

Mein Fazit: Rückblickend hätte ich gerne von Beginn an größer gedacht. Wenn wir jetzt weiter expandieren wollten, müssten wir umziehen. ­Insgesamt muss man einen langen ­Atem haben und versuchen, möglichst gelassen zu bleiben. Denn irgendwas geht immer schief bei der Selbstständigkeit. Das ist so.

Für meine Kolleginnen und Kollegen wünsche ich mir, dass sie sich ehrlich mit anderen austauschen können. Nur wer authentisch antwortet, kann durch das Teilen seiner Erfahrungen helfen. Keiner von uns Gründern macht nur gute Erfahrungen. Dass alles rund läuft, wäre schlicht weg gelogen!

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