Die klinisch-ethische Falldiskussion

"Der Zahn muss raus!“ – Patientenwunsch versus Expertise

Ralf Vollmuth
,
Der Patient besteht auf der Extraktion eines Zahns, der nach Ansicht der MKG-Chirurgin und des Oralchirurgen erhaltungswürdig wie auch erhaltungsfähig ist. Was soll der Hauszahnarzt tun? Was wiegt mehr: die Patientenautonomie oder die einer gewünschten Behandlung entgegenstehenden klinischen Befunde?

Eine Woche nach der operativen Entfernung aller Weisheitszähne stellt sich Patient S. bei seinem Hauszahnarzt Dr. M mit Schmerzen in regio 18 vor. M. geht von einer Wundheilungsstörung oder der intraoperativen und unerkannten Eröffnung der Kieferhöhle aus und stellt den Patienten umgehend der Operateurin Dr. Dr. R. vor, die tatsächlich eine Mund-Antrum-Verbindung mit leichter Sinusitis feststellt und entsprechend therapiert. Im Rahmen ihrer Untersuchung stellt die MKG-Chirurgin nebenbefundlich eine bisher klinisch beschwerdefreie apikale Aufhellung am Zahn 15 fest.

R. empfiehlt dem Kollegen M. die endodontische Versorgung des Zahns 15 mit anschließender Wiedervorstellung zur Wurzelspitzenresektion. M. entscheidet sich zunächst für eine rein konservative Therapie und führt eine Wurzelkanalbehandlung durch; vorsorglich klärt er den Patienten über eine Wurzelspitzenresektion als weitere Behandlungsmöglichkeit auf. Aufgrund persistierender leichter Beschwerden in regio 15 ist nach der vollständigen Aufbereitung zunächst keine Wurzelfüllung angezeigt, sondern der Zahn muss zweimal mit einer Calciumhydroxideinlage und einem temporären Verschluss versorgt werden.

Bei der wiederholten provisorischen Versorgung des Zahns 15 äußert S. indessen nachdrücklich den Wunsch, der Zahn solle entfernt werden. Ursächlich gibt er die anhaltenden Beschwerden und die aus seiner Sicht unzähligen Behandlungssitzungen an. Die Hinweise von M., dass die geäußerten Beschwerden sich gegebenenfalls erst nach einer gewissen Regenerationszeit legen und auch durch die Mund-Antrum-Verbindung und die Reizung der Kieferhöhle verstärkt worden sein könnten, ändern nichts an seinem Wunsch. Auch weiteres Abwarten, eine Bedenkzeit sowie das Einholen einer Zweitmeinung lehnt der Patient kategorisch ab. Ebenso ablehnend steht er einer abermaligen Überweisung in die Praxis von R. gegenüber, woraufhin M. ihn zum Oralchirurgen Dr. F. zur Aufklärung und Durchführung der Extraktion von Zahn 15 überweist.

Auch der Oralchirurg lehnt die Extraktion ab

Bereits am nächsten Tag wird Patient S. bei F. vorstellig, der reizlose Schleimhautverhältnisse bei persistierenden Beschwerden in regio 15 diagnostiziert, der Zahn selbst ist nicht perkussionsempfindlich. Unter Berücksichtigung aller vorliegenden Befunde lehnt F. eine Extraktion ab und rät stattdessen zu einer Verlaufskontrolle beziehungsweise gegebenenfalls zu einer erneuten endodontischen Intervention. Unzufrieden wendet sich S. wieder an seinen Hauszahnarzt und besteht weiterhin auf der Extraktion, deren Durchführung M. konsequent ablehnt, da der Zahn aus seiner Sicht sowohl erhaltungswürdig als auch erhaltungsfähig erscheint. S. äußert sich nach dem Gespräch dahingehend, dass er alle beteiligten Zahnärzte für „inkompetent“ hält, künftig nicht mehr zu M. in Behandlung kommen wolle und schon einen Zahnarzt finden werde, der „diesen verflixten Zahn“ zieht.

Für M. ergeben sich mehrere Fragen: Ist er mit dem unbedingten Patientenwunsch nach der Extraktion des Zahns 15 richtig umgegangen? Hätte er dem Wunsch nach der Extraktion – gerade vor dem Hintergrund einer deutlichen Diskrepanz zwischen der Patientenautonomie und den klinischen Befunden – besser früher zustimmen und auch bei den mitbehandelnden Kollegen darauf dringen sollen? Was wiegt für den Zahnarzt mehr: die Patientenautonomie oder die einer gewünschten Behandlung entgegenstehenden klinischen Befunde?

Oberstarzt Prof. Dr. Ralf Vollmuth

Zentrum für Militärgeschichte

und Sozialwissenschaften der

Bundeswehr

Zeppelinstr. 127/128,

14471 Potsdam E-mail:Dr. med. dent. Maximilian Wilhelm E-mail:

Die Kommunikation ist der Knackpunkt!

Non-Malefizienz (Nichtschadensgebot):

Benefizienz (Wohltunsgebot):

Patientenautonomie:

Gerechtigkeit:

Fazit

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Dr. med. dent. Dirk Leisenberg | Privat

Dr. med. dent. Dirk Leisenberg

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Fachliches Know-how sticht Patientenautonomie

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Den Zahn im Sinne der Patientenautonomie extrahieren oder dem eigenen Know-how folgen und getreu dem Fürsorgegedanken die Behandlung verweigern? |

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Dr. med. dent. Gero Kroth | privat

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