100 Jahre Akademie für zahnärztliche Fortbildung Karlsruhe – Interview mit Prof. Dr. Winfried Walther

„Fortbildung ist erfolgreich, wenn Praxisroutinen verbessert werden“

In diesem Jahr feiert die Akademie für Zahnärztliche Fortbildung in Karlsruhe ihr 100-jähriges Bestehen: Ihr Direktor, Prof. Dr. Winfried Walther, zur Bedeutung des Instituts damals und heute, zur Rolle innovativer Fortbildungsformate für den Praxisalltag und zur Wirkung der Akademiekonzepte in Standespolitik und Gesellschaft.

Herr Prof. Walther, bevor wir zurückblicken: Welchen Stellenwert hat die Akademie heute für die Zahnärzte in Deutschland, was zeichnet sie bundesweit aus?

Prof. Dr. Winfried Walther:

Ich denke, den Stellenwert der Akademie kann man am besten von den Kolleginnen und Kollegen erfahren, die eine weite Anreise in Kauf nehmen, um in Karlsruhe Fortbildung zu machen. Es ist klar, dass man etwas Besonderes leisten muss, damit eine Fortbildungsinstitution so attraktiv für Zahnärztinnen und Zahnärzte ist. Keinesfalls darf man sich auf seinen Lorbeeren ausruhen. Neue Ideen sind gefragt, die den Praxen helfen und die zahnmedizinische Versorgung verbessern. Unser Stellenwert muss also ständig neu bestimmt und verteidigt werden. Allerdings: Geschichte hilft dabei. Erfahrung und Ausdauer hat den Lehrbetrieb in Karlsruhe jetzt über vier Generationen geprägt.

Die ersten 40 Jahre ab 1920 waren geprägt vom Dualismus des Berufsstands – mit Dentisten und Zahnärzten. Welche Rolle spielte die Akademie damals – auch überregional?

Über die ersten 40 Jahre des Karlsruher Instituts haben wir in den vergangenen Monaten sehr viel gelernt. Die Arbeit an unserer digitalen Festschrift, deren Entstehung jeder im Internet verfolgen kann, hat uns in viele Archive geführt. Durch diese Recherchen können wir den Lehrbetrieb am Institut sehr lebendig darstellen. Das Lehrinstitut in Karlsruhe galt als ein „bahnbrechendes“ Institut und hatte einen hervorragenden Ruf. Die Dentisten waren sehr stolz darauf.

Dann kam das Zahnheilkundegesetz von 1952 und mit ihm eine neue Aufgabenstellung für das Institut. Was waren die Herausforderungen – und wie gelang der Wandel?

Die Überwindung des Dualismus war eine Riesenleistung. Stellen wir uns einmal vor, es gäbe heute immer noch zwei Berufsstände, die für die zahnmedizinische Versorgung verantwortlich wären. Alle vertraglichen Fragen wären noch komplizierter, als sie ohnehin schon sind. Die Dentistischen Lehrinstitute haben nach 1952 den „wesentlichsten Teil dazu beigetragen, den Dualismus zu überwinden“. Das ist eine Feststellung von BdZ Präsident Dr. Erich Müller aus dem Jahr 1960. Die Ausbildung war so gut, dass die Dentisten ab 1952 Zahnärzte werden konnten. In den letzten Jahren der Lehrtätigkeit von 1956 bis 1960 endete die Ausbildung in Karlsruhe direkt mit der Bestallung zur Zahnärztin beziehungsweise zum Zahnarzt.

Bis zum hoch professionellen Akademiebetrieb heute war es ein langer Weg. Was waren die Meilensteine der Entwicklung?

Der erste Meilenstein war ohne Frage, die überhaupt erste Gründung eines Fortbildungsinstituts für Zahnärzte im Jahr 1960. Der damalige Direktor Walther Engel wollte das Institut nicht schließen sondern zu einem Fortbildungsinstitut umwandeln. Das ist ihm – mit viel Unterstützung aber auch gegen Widerstand – gelungen. Seither sind viele weitere Institute beziehungsweise Akademien für Zahnärzte entstanden, aber Karlsruhe ist das Original. Hier wurden uns heute so selbstverständliche Formate wie der Wochenendkurs erfunden und gepflegt.

Der zweite Meilenstein war sicher die Berufung von Michael Heners als Direktor im Jahr 1981. Seither hat die Akademie auch ein wissenschaftliches Profil. Es wird nicht nur Wissen vermittelt, es entsteht auch in Karlsruhe. Weitere Meilensteine sind sicher die innovativen architektonischen Konzepte für moderne Fortbildung, die mit Karlsruhe verbunden sind. Das betrifft sowohl die große Sanierung im Jahr 1981 die auch den Umzug in den Neubau 2014.

Die Akademie hat sich innovative Fortbildung für den Berufsstand (auch bundesweit) ins Programm geschrieben: Was genau ist damit gemeint, und an wen richten sich die Angebote?

Fortbildung muss in den Praxen und schließlich auch beim Patienten ankommen. Sie ist erfolgreich, wenn Praxisroutinen geändert und verbessert werden. Das war immer das große Ziel, wenn in Karlsruhe neue Fortbildungsformate entwickelt wurden. Besonders effizient ist hierbei das Format „Continuing Professional Development“, das ganz auf herkömmliche Wissensvermittlung verzichtet und die Teilnehmer dabei unterstützt, ihre Praxis voranzubringen. Das geschieht in systematischen Arbeitsschritten – der gezielten Evaluation des Ist-Zustands, der moderierten Gruppenarbeit und der Überprüfung des Erfolgs nach den ergriffenen Maßnahmen. Dieses Format ist mittlerweile in viele Curricula integriert.

Die Überwindung des Dualismus – das Zahnheilkundegesetz von 1952

Der Deutsche Bundestag verabschiedete am 14. Februar 1952 einstimmig das Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde. Vorausgegangen war diesem 1948 das Bonner Abkommen der Standesvertretungen der Zahnärzte und der Dentisten. Damals hatten beide Standesvertretungen ihren Willen ausgedrückt, Verhandlungen über die Beseitigung des Dualismus zu führen. Im Ergebnispapier stand, dass die Vertretungen Mängel in der Berufsausbildung beider Stände feststellten, die durch eine neue, einheitliche Studienordnung beseitigt werden sollten.

Das 24 Paragrafen umfassende Zahnheilkundegesetz wurde am 31. März 1952 veröffentlicht. Es regelt formal den Übergang der Dentisten in einen einheitlichen zahnärztlichen Berufsstand. Darüber hinaus beendete es die auf dem Gebiet der Zahnmedizin vorhandene Kurierfreiheit.

Auf der anderen Seite können auch Inhalte innovativ sein. So wurde in Karlsruhe das erste Curriculum zum Training von Sachverständigen ins Leben gerufen. Auch Programme zum Training von Moderatoren zahnärztlicher Qualitätszirkel oder für Patientenberater wurden bei uns konzipiert und angeboten. Hier war das Ziel, Aufgaben, die die Zahnärzteschaft als Ganzes betreffen, zu professionalisieren.

Daraus sind zahlreiche Initiativen in Kollegenkreisen auch bundesweit entstanden – können Sie hier Beispiele nennen?

Es ist ein großes Plus der Akademie, dass wir solche Kollegenkreise haben. Sie sind unsere Basis für Projekte der Versorgungsforschung, für die Gestaltung von Sonderveranstaltungen und zur Bearbeitung von Themen, die unmittelbar mit der Praxis verbunden sind. Besonders aktiv sind zwei Alumni-Verbindungen: der „Arbeitskreis für zahnärztliche Therapie“ – ehemalige Assistenten unserer Poliklinik – und das „Network Integrated Dentisty“, das sich aus Absolventen unseres Masterstudiengangs „Integrated Dentistry“ zusammensetzt.

Die Akademie will auch in die Gesellschaft mit hineinwirken – zum Beispiel mit den Karlsruher Konferenzen oder dem Karlsruher Vortrag. Welcher gedankliche Ansatz steckt dahinter?

Da können wir einmal exemplarisch den Karlsruher Vortrag betrachten. Seit 1983 gab es 35 Veranstaltungen. Themen aus den Bereichen Gesellschaft, Politik und Wissenschaft wurden einer breiten Öffentlichkeit dargeboten. Ein besonderer Schwerpunkt war dabei der Schutz der Erde. Die Veranstaltung hatte bisweilen über 1.000 Zuhörer und ist schon lange fest im Leben der Stadt Karlsruhe verankert. Die Akademie macht damit deutlich, dass die Zahnärzte sich ihrer Verantwortung für die Gesellschaft als Ganzes bewusst sind und einen Beitrag leisten, gesellschaftliche Probleme zu erkennen und zu lösen.

Welche Rolle spielt die Akademie in der zahnärztlichen Standespolitik?

Ich denke, dass Fortbildung für die Standespolitik insgesamt ein sehr wichtiges Thema ist. In dem Zusammenhang leisten wir sicher gute Dienste. Außerdem war die Akademie schon oft die Feuerwehr, wenn es Diskurse zu Themen gab, die die Zahnärzteschaft direkt betreffen. Das reicht vom Thema „Amalgam“ bis zur Stellungnahme des IQWIG über die Effizienz parodontologischer Behandlungsmaßnahmen.

Immer wieder hat sich die Akademie als Motor beim Wandel des Selbstverständnisses des zahnärztlichen Berufsstands ins Gespräch gebracht – was waren und sind die Anlässe, und welche Ergebnisse sehen wir heute?

Da fällt mir zunächst das Anliegen meines Vorgängers im Amt Michael Heners ein, das „technomorphe“ Bild der zahnärztlichen Tätigkeit zu überwinden. Er hat Referenten, die Zahnkontakte aufs μ gehandhabt sehen wollten aus dem Programm verbannt und Lehrer eingeladen, die systematisch die biologische Grundlage der Funktion erforschten. Das hat sich auch in der Praxis durchgesetzt. Eine andere Entwicklung wurde durch unseren Masterstudiengang „Integrated Dentistry“ angestoßen. Zahnärzte beschäftigen sich selbst mit den gesellschaftlichen Herausforderungen und Wirkungen ihrer Praxistätigkeit und ihrer Profession als Ganzes. Daraus sind viele Projekte für ein besseres Verständnis der gesellschaftlichen Wirkung unseres Handelns entstanden. Ein Beispiel: Eine Masterarbeit analysiert Gerichtsurteile und beschreibt wann und wie der Richter dem zahnärztlichen Sachverständigen in der Urteilsbegründung gefolgt ist. Diese Masterarbeit ist für jeden Sachverständigen hochinteressant. Sie wurde auch im Rahmen der Gutachterfortbildung vorgestellt.

Die Akademie ist nicht nur ein Ort der Fortbildung: Welche Rolle spielt die Wissenschaft, und welche Schwerpunkte gibt es?

Seit 40 Jahren ist unsere Poliklinik ein Ort für klinische Studien. Der erste große Schwerpunkt war ein Thema, das Michael Heners aus Kiel mitbrachte: Die klinische Bewährung von Konuskonstruktionen. Heute sind Implantologie und Endodontologie unsere wichtigsten Schwerpunktthemen. PD Dr. Michael Korsch untersucht beispielsweise aktuell den Augmentationserfolg bei Einsatz von autologem Dentin. Ein anderer Schwerpunkt ist der Erfolg der All-on-4 Technik im Hinblick auf die Gestalt der prothetischen Versorgung. Dr. Andreas Bartols hat sehr umfassende Reihenuntersuchungen über den Effekt unterschiedlicher endodontischer Techniken auf das Behandlungsergebnis veröffentlicht und die Akademie in internationalen Forschungsprojekten wie Advocate vertreten. Dieses EU-Projekt beschäftigt sich mit Konzepten der präventionsorientierten zahnärztlichen Versorgung.

Die Akademie versteht sich als Lebenswelt, die die berufliche Entwicklung vielzähliger Absolventen entscheidend geprägt hat. Wovon konnten diese Kolleginnen und Kollegen am meisten in ihrer Praxis profitieren?

Da lässt sich kaum eine Antwort finden, die für alle Kolleginnen und Kollegen gültig wäre. Wer einen Eindruck davon gewinnen möchte, welche Spuren die Akademie in der Biografie einer Kollegin oder eines Kollegen hinterlassen kann, darf gern das Gästebuch auf unserer Jubiläums-Website aufschlagen. Ein Beispiel möchte ich zitieren. Herr Kollege Dr. Razmilic schreibt: „Ohne die Professoren Heners, Dick, Marotzki, Robra ... und ohne die vielen Kollegen mit denen ich die Fortbildungen und Veranstaltungen verbrachte, wäre meine Denkweise und meine Sichtweise nicht nur beruflich sondern auch privat eine ganz andere. Kollegialität, Praxisnähe, Zusammenarbeit und auch der Blick über den Tellerrand sind für mich die wegweisenden Punkte, die ich in der Akademie erlernt habe.“

Die Fragen stellte Gabriele Prchala.

Das letzte Dentistische Institut schließt

In den zm vom 15. Oktober 1960 findet sich der Festvortrag von Dr. Erich Müller, Präsident des Bundes Deutscher Zahnärzte, vom 27. September 1960 anlässlich der Schließung des letzten Dentistischen Lehrinstituts in München. Das Zahnheilkundegesetz beseitigte den jahrzehntelang bestehenden Dualismus. Die Vollendung des Einheitsstands war jedoch erst 1960 erreicht. Müller stellt fest, „dass die Lehrinstitute einen ganz erheblichen – wenn nicht den wesentlichsten – Teil dazu beigetragen haben, den Dualismus zu überwinden, weil die Steigerung der Anforderungen an die Hörer sowohl während der Ausbildung als auch in der Prüfung schließlich dazu führte, dass die Absolventen der Lehrinstitute in den gleichen Fächern und in gleichen Umfang ihr Können und Wissen nachweisen mussten wie die Studierenden der Zahnheilkunde auf den deutschen Universitäten. Ja, noch wichtiger scheint die Feststellung zu sein, dass die Prüfungsordnung gemäß § 10 ZHG praktisch der Prüfungsordnung für Zahnärzte vom 26. Januar 1955 entsprach, die die Studien- und Prüfungsordnung für Zahnärzte von 1909 ablöste.“

An anderer Stelle unterstreicht Müller, dass die Dentisten die Qualifikation des deutschen Zahnarztes bewiesen haben. Er macht die erfolgreiche Überwindung des Dualismus an zwei erfüllten Voraussetzungen fest. Das seiner Festansprache formulierte er das so:

„Einer späteren Generation wird es überlassen bleiben müssen, die Entwicklung von 1945–1952 einmal zu überprüfen und zu würdigen und dabei aber auch die Konsequenzen nicht zu übersehen, die sich […] daraus ergaben. Möglich war diese Entwicklung nur deshalb, weil gewisse Voraussetzungen erfüllt waren, die bei den früheren Lösungsversuchen fehlten.

1. Der Stand der Dentisten hatte sich im Laufe der letzten Jahrzehnte durch Intensivierung der Aus-und Fortbildung so stark fortentwickelt, dass der Durchschnitts-Dentist im Allgemeinen den gleichen Arbeitsbereich wahrnahm wie der Durchschnitts-Zahnarzt.

2. Die Lehre von den Herderkrankungen erbrachte in den letzten drei Jahrzehnten den Beweis dafür, dass es nicht möglich oder nicht zu verantworten sei, eine Zahnheilkunde auszuüben, die nur den Zahn in den Mittelpunkt des ganzen Geschehens rückte, dabei die Zusammenhänge mit den übrigen Organen des Körpers aber negierte oder vernachlässigte.

So war das ZHG schließlich nicht nur ein erstrebenswertes Ziel, sondern mehr noch die reife Frucht einer jahrzehntelangen Entwicklung.“

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